Vorläufige Fahrerlaubnisentziehung und FoFE: AG Lübeck stellt den Prüfungsmaßstab schön zusammen

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 25.01.2012

Beschlüsse über eine vorläufige Fahrerlaubnisentziehung nach § 111a StPO sind in aller Regel kurz, da Massengeschäft der Gs-Richter. Der nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Beschluss des AG Lübeck macht es aber anders:

 

Dem Beschuldigten war vorläufig die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenngleich er - wie noch näher auszuführen sein wird - jedenfalls nach bisherigem Ermittlungsstand nicht der Begehung einer Katalogtat im Sinn des § 69 Abs. 2 StGB dringend verdächtig ist. Der Beschuldigte ist aber jedenfalls dringend verdächtig, mit dem Kraftrad öffentliche Straßen befahren zu haben, obwohl er - wie er wusste - nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG). Dies genügt bereits für sich, um ihm die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen.

a) Gemäß § 111 a Abs. 1 S. 1 StPO kann dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis endgültig gemäß § 69 StGB entzogen werden wird. „Dringende Gründe“ sind dabei im Sinn eines „dringenden Tatverdachts“ (§ 112 StPO) zu verstehen. Erforderlich ist mithin, dass nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer rechtswidrigen Tat im Sinn des § 69 StGB ist und darüber hinaus ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Gericht den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten und ihm daher die Fahrerlaubnis entziehen wird (vgl. statt vieler Meyer-Goßner, a. a. O., § 111a Rdn. 2 m. w. N.), wobei bei der Prüfung im Rahmen des § 111 a StPO ein auf die Verurteilungschancen bezogenes Wahrscheinlichkeitsurteil aufgrund des vorliegenden Tatsachenmaterials zu treffen ist (vgl. LG Meiningen, Beschluss vom 20.08.2009 - 2 QS 152/09, Tz. 7, zitiert nach juris). Gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 StGB entzieht das Gericht u. a. dann (endgültig) die Fahrerlaubnis, wenn jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt wird und sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die Ungeeignetheit muss sich aus der sog. Anlasstat ergeben. Sie liegt vor, wenn eine Würdigung der körperlichen, geistigen oder charakterlichen Voraussetzungen des Täters und der sie wesentlich bestimmenden objektiven und subjektiven Umstände ergibt, dass seine Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr zu einer nicht hinnehmbaren Gefährdung der Verkehrssicherheit führen würde (vgl. etwa BGH NStZ 2003, 658, 659; eingehend BGH (GrS) NJW 2005, 1958 ff.; Fischer, StGB, 58. A. 2011, § 69 Rdn. 14 m. w. N.). Charakterliche Mängel sind erheblich, wenn sich aus ihnen eine Unzuverlässigkeit im Hinblick auf die Sicherheit des öffentlichen Kraftfahrzeugverkehrs und verkehrsspezifische Gefahren für Rechtsgüter Dritter ergibt. Anzunehmen ist dies regelmäßig bei Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber Interessen oder Rechtsgütern anderer sowie Bedenkenlosigkeit gegenüber dem durch das eigene Fehlverhalten verursachten Gefährdungen (Fischer, a. a. O., Rdn. 18 m. w. N.), insbesondere wenn dies auf verfestigten Fehleinstellungen beruht (vgl. LG Meiningen, a. a. O., m. w. N.). Lediglich wenn ein dringender Verdacht besteht, dass eine Katalogtat nach § 69 Abs. 2 StGB begangen wurde, erübrigt sich bei Fehlen wichtiger Gegengründe eine nähere Prüfung (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 111a Rdn. 2 m. w. N.).

b) Ausgehend hiervon ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis geboten, weil sich der Beschuldigte nach gegenwärtigem Sachstand jedenfalls des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG dringend verdächtig gemacht hat.

Dieser Straftatbestand ist auch dann verwirklicht, wenn ein Fahrzeug einer Klasse geführt wird, für das eine erteilte Fahrerlaubnis nicht gilt. Gilt eine Fahrerlaubnisklasse eines Kraftfahrzeugs nur bis zu einer bauartbestimmten Höchstgeschwindigkeit, so wird der Tatbestand erfüllt, wenn durch technische
Veränderungen eine höhere Geschwindigkeit erzielt wird (vgl. OLG Düsseldorf NJW 2006, 855; König, a. a.O., § 21 StVG Rdn. 2 m. w. N.). So liegt der Fall im Ergebnis auch hier, mit der für die rechtliche Einordnung unerheblichen Abweichung, dass dem Beschuldigten eine auf die Leistung beschränkte Fahrerlaubnis erteilt war. Nach Vornahme der von dem Sachverständigen festgestellten technischen Veränderungen, verbunden mit einer Leistungssteigerung, war das Führen des Kraftrades nicht mehr von der beschränkt erteilten Fahrerlaubnis umfasst, jedes Fahren damit ein solches ohne Fahrerlaubnis.

Zwar gilt die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB nicht für ein Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 StVG. Hingegen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei sog. verkehrs-spezifischen Anlasstaten, also bei solchen die ihrer Natur nach oder wegen ihrer Begehung gerade als Kraftfahrzeugführer die Sicherheit des Straßenverkehrs sowie von Rechtsgütern von Verkehrsteilnehmern betreffen, die Annahme von Ungeeignetheit im Sinn des § 69 Abs. 1 StGB nahe liegt, wenn nicht erhebliche Umstände dagegen sprechen (vgl. Fischer, a. a. O., Rdn. 38). Eine solche verkehrs-spezifische Anlasstat ist auch das Fahren ohne Fahrerlaubnis (BGH NStZ-RR 2007, 40; 2007, 89). Umstände, die einen nahe liegenden Eignungsmangel des Beschuldigten widerlegen oder jedenfalls in Zweifel ziehen könnten, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil liegen hinreichende Umstände vor, welche bei einer selbst umfassenden Prüfung und Gesamtwürdigung die Annahme begründen, dass bei Teilnahme des Beschuldigten am Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeuges auch künftig Verletzungen seiner Pflichten und damit verbunden Gefahren für die Allgemeinheit zu befürchten sind. Der Beschuldigte musste schon angesichts der tatsächlich möglichen Leistung um die Manipulation seines Kraftrades wissen, wenn er diese nicht schon selbst vorgenommen hat. Die Manipulation diente zudem einzig dem Zweck der Leistungssteigerung mit dem nahe liegenden Ziel, den gesteigerten Leistungsumfang auch tatsächlich auszuschöpfen. Dies muss bei lebensnaher Betrachtung nach dem derzeitigen Sachstand unterstellt werden. Der Fall liegt schon insoweit anders als etwa das bloße Führen eines Pkw ohne entsprechende Fahrerlaubnis, um diesen als Fortbewegungsmittel, im Übrigen aber ordnungsgemäß, d. h. entsprechend den sonstigen Vorgaben des Straßenverkehrsrechts, zu nutzen. Hier aber hat der Beschuldigte die Leistungsreduzierung, welche selbst noch eine (zulassungs-)bescheinigte Höchstgeschwindigkeit von immerhin 145 km/h ermöglicht hätte, bewusst technisch ausgeschaltet - oder ausschalten lassen -, um eigene Ziele über die eigentliche Fortbewegung hinaus zu verwirklichen. Wer aber bereit ist, derlei technische Eingriffe vorzunehmen, der offenbart verfestigte Fehleinstellungen, welche die Sicherheitsinteressen anderer Verkehrteilnehmer ignorieren, und damit schwerwiegende charakterliche Mängel.

In diesem Zusammenhang kann schließlich auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beschuldigte bereits am 12.06.2011 mit einem einschlägigen Fahrverhalten und anschließendem Unfall mit einem Pkw aufgefallen ist, unbeschadet ob das Kraftrad schon seinerzeit ohne Fahrerlaubnis geführt wurde (es wurde nach jenem Vorfall offensichtlich nicht auf eine technische Veränderung untersucht). Auch wenn dabei auf die gefährliche Fahrweise und nicht auf den Vorwurf der Anlasstat abgestellt wird, kann dies nach Ansicht des Gerichts jedenfalls bei einer Gesamtwürdigkeit nicht außer Betracht bleiben, offenbart dies doch, dass kein einmaliges situationsbedingtes Fehlverhalten in Rede steht (vgl. dazu Fischer, a. a. O., Rdn. 37), sondern offensichtlich eine Unbelehrbarkeit des Beschuldigen. Für die Bewertung der charakterlichen Voraussetzungen ist dies relevant und zu beachten. Auch erhärtet dies den nach derzeitigem Stand der Ermittlungen dringenden Verdacht, dass dem Beschuldigte, dem es offenbar um mehr als eine nur sportliche Fahrweise zu gehen scheint und der dabei offensichtlich die technischen Möglichkeiten seines Kraftrades austestet und ausschöpft, dessen tatsächliche Leistungsfähigkeit über die verbriefte hinaus jedenfalls bekannt war. Auch das Nachtatverhalten des Beschuldigten, namentlich zunächst ein umgehendes Verlassen der Unfallörtlichkeit (dazu sogleich), die Aufforderung an die Zeugen, keine Polizei zu rufen, sowie schließlich die Versuche das verunfallte Kraftrad wegzuschaffen bzw. wegschaffen zu lassen, sprechen für diese Annahme.

 

AG Lübeck: Beschluss vom 09.12.2011 - 61 GS 125/11    BeckRS 2011, 29818

 

Toll begründet!

 

Hinweis: §§ 142, 315b StGB hat das AG dagegen verneint.

 

Zu § 111a StPO bzw. §§ 69, 69a StPO: Krumm, Fahrerlaubnis und Alkohol, 5. Aufl. 2010

 

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