Wenn die Rechtsanwältin im Wohnzimmer der Tochter des Blumenhändlers Nachhilfe gibt

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 22.03.2012

Er ist Bankdirektor, sie Rechtsanwältin. Heirat 1992, Scheidung 2001.

In einem Vergleich  verpflichtete er sich ab Januar 2005 Elementarunterhalt in Höhe von monatlich 2080 Euro, Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von monatlich 321 Euro und Krankenvorsorgeunterhalt in Höhe von monatlich 484,54 Euro zahlt. Der im Mai 2005 geschlossene Vergleich enthält als Grundlage einen monatlichen Bedarf der Frau in Höhe von 2000 Euro zuzüglich Wohnbedarf, der mit 850 Euro berücksichtigt worden ist. Weiter ist Grundlage des Vergleichs die Verpflichtung der Frau. zur Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung, die mit 900 Euro netto in die Berechnung eingeschlossen ist. Weiter enthält der Vergleich in Nr. 2 folgende Regelung: „Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Bekl. verpflichtet ist, nach Vollendung des 15. Lebensjahres des gemeinsamen Sohnes A, also beginnend mit dem Mai 2008, einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachzugehen.

Er begehrt nun Herabsetzung des Unterhalts auf Null. Sie meint, aus dem aus Vollerwerbstätigkeit erzielten Einkommen sei ihr Bedarf nicht zu decken.

Das OLG  Frankfurt (Urt. v. 29. 11. 2011 − 3 UF 285/09 = NJOZ 2012, 453) wirft der beklagten Ehefrau vor, sich nicht genügend um den Aufbau einer eigenen Rechtsanwaltskanzlei bemüht zu haben.

Auch ihre seitenweisen Auflistungen über ihre Aktivitäten sind größtenteils untauglich. Weder eine Fortbildung im chinesischen Recht in Peking noch der Nachhilfeunterricht für die Tochter der örtlichen Blumenhändlerin sind geeignet, um den Umsatz einer Anwaltskanzlei zu steigern. Weit überwiegend listet sie Treffen mit Freunden und Bekannten, Besuche von runden Geburtstagen, Festakten, Treffen im Chor und Turnverein … auf. Sicherlich erscheint es sinnvoll bei einer Aktivierung der Anwaltstätigkeit auch im privaten Umfeld zu streuen, dass Interesse an der Übernahme anwaltlicher Mandate besteht; hierauf beschränken konnte und dürfte sich die Bekl. aber nicht.

So hat die Bekl. vorgetragen, dass sie die ursprünglich 1988 begonnene und dann nochmals in den Jahren 1996–2002 fortgesetzte Tätigkeit als selbstständige Rechtsanwältin ab Februar 2007 mit der Akquisition im engeren und weiteren Freundeskreis erneut begonnen habe.

Von Ende 2004 bis Oktober 2008 hat die Bekl. nach ihrer eigenen Aufstellung einige wenige Mandate bearbeitet, sich auf diverse Stellen beworben, bei sieben Rechtsberatungen des DAV für Bedürftige hospitiert, fünf Fortbildungen besucht, zwei Vorsprachen bei Rechtspflegern am Gericht für die Übernahme von Nachlasspflegschaften durchgeführt und einen Aushang im Anwaltszimmer mit dem Angebot für Vertretungen angebracht sowie ehrenamtlich in der Kirchengemeinde gearbeitet.

Verteilt auf einen Zeitraum von vier Jahren kann auch unter Berücksichtigung der Kinderbetreuung und der bearbeiteten Mandate nicht von einer Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit ausgegangen werden.

Für ihre weiteren Bemühungen von September 2008 bis April 2010 listet die Bekl. 20 Bewerbungen auf Stellenangebote sowie auf eigene Initiative auf, wobei diese zum Teil auch fachfremd sind (z. B. als Lehrerin, Leiterin des Bauamtes), 21 Fortbildungsveranstaltungen, von denen sich drei auf das chinesische Recht und eine damit verbundene Peking-Reise beziehen, zwei Anfragen bei Rechtspflegern, drei Hospitationen bei Rechtsberatungen, drei telefonische Nachfragen bei Banken/Sparkassen über eine Zusammenarbeit im Immobilienbereich, vier ehrenamtliche Tätigkeiten für die Kirchengemeinde, vier Nachhilfestunden für eine Schülerin, 14 Veranstaltungen für und mit dem Turnverein …, 19 Proben und Auftritte mit dem Chor, sechs Einladungen zu runden Geburtstagen und goldenen Hochzeiten im Bekanntenkreis, vier Aktivitäten für den Bürgerverein … anlässlich von Kerb und Weihnachtmarkt u. Ä. sowie ein Gespräch über das Schalten einer Annonce als Rechtsanwältin, wovon aus Kostengründen Abstand genommen wurde. Daneben hat sie einige Mandate allein und mit Kollegen zusammen bearbeitet. Aus diesen Aktivitäten ist erkennbar, dass die Bekl. auch im ehrenamtlichen Bereich sehr engagiert ist, zur Mandantenakquisition reichen diese Maßnahmen weder qualitativ noch quantitativ aus.

Umgelegt auf eine volle Stelle und einen Zeitraum von weiteren 18 Monaten sind diese Anstrengungen schon in zeitlicher Hinsicht auch unter Berücksichtigung der bearbeiteten Mandate ungenügend.

Von Arbeitssuchenden wird in der Rechtsprechung verlangt, dass diese Aktivitäten im Umfang einer Vollzeittätigkeit entfalten, um eine Arbeitsstelle zu erhalten. Dabei ist ein Umfang von 20–30 Bewerbungen pro Monat zu erwarten. Gleiche Anforderungen an Einsatz sind auch an die Bekl. zu stellen.

Der Senat vermag in den zahlreichen Aktivitäten für den Chor und den Turnverein nicht mehr als reine Freizeitgestaltung zu sehen. Eine zielgerichtete berufliche Maßnahme kann darin ebenso wenig wie in der Wahrnehmung privater Einladungen zu Feiern gesehen werden.

Die Bekl. müsste bei den Gerichten vorsprechen und sich für Pflichtverteidigungen, Betreuungen und Pflegschaften zur Verfügung stellen. Gerade im Bereich des Familienrechts, in dem sie auch die meiste Fortbildung betrieben hat, besteht die Möglichkeit als Verfahrensbeiständin und Umgangspflegerin die Rechte von Kindern wahrzunehmen. Außerdem könnte es hilfreich sein, Kontakt zu Frauenhäuser, Opferschutzeinrichtungen und zu „runden Tischen“ oder dergleichen zu pflegen, Vorträge zu bestimmten Themen zu halten und im Rahmen des zwischenzeitlich auch für Rechtsanwälte weiter gesteckten Rahmens Werbung, etwa durch Internetauftritt, im Branchenbuch usw. zu betreiben, um Mandate zu akquirieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die wirtschaftliche Situation für die Bekl. auf Grund der erhaltenen Unterhaltszahlungen deutlich günstiger gestaltet hat als für Berufsanfänger, die noch Nebentätigkeiten ausüben müssen, um in den ersten Jahren finanziell über die Runden zu kommen.

Schließlich ergeben sich auch Bedenken an der Vorgehensweise der Bekl. daraus, dass sie die Kanzlei in ihrem in 2007 neu erworbenen Eigenheim in ... betreibt. Sie unterhält dabei keinen professionellen Bürobetrieb.

Der Kl. weist insofern zu Recht darauf hin, dass die Kanzlei „Aus dem Wohnzimmer“ unprofessionell auf Mandanten wirkt.

Hoch interessant ist auch, was das OLG zum möglichen Einkommen der Frau meint:

Nach dem Bericht des Instituts für freie Berufe N. zu dem statistischen Berichtssystems für Rechtsanwälte (STAR) ist für das Jahr 2008 von einem durchschnittlichen Honorarumsatz in Einzelkanzleien im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Frankfurt a. M. von 141 000 Euro und einem persönlichen Überschuss von 62 000 Euro im Jahr auszugehen. In anderen Westkammern beträgt der durchschnittliche Überschuss dagegen nur 57 000 Euro.

Bei einem Überschuss von 62 000 Euro ergeben sich monatlich 5167 Euro. Hiervon in Abzug zu bringen sind das Versorgungswerk mit 524 Euro, der Beitrag zur privaten Krankenkasse mit 602 Euro (entspricht den aktuellen Beiträgen der Bekl.) sowie sonstige weiter zu berücksichtigende Kosten. Nach Abzug von Einkommenssteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag ergeben sich netto geschätzt 2975 Euro.

Es ist weiter unter Berücksichtigung dieser Zahlen und den im seinerzeitigen Vergleich festgehaltenen 900 Euro für eine Teilzeittätigkeit zu unterstellen, dass die Bekl. bei zumutbaren Anstrengungen kontinuierlich in der Lage gewesen wäre, ihre Einkünfte zu steigern. Dies insbesondere auch, da ihr auf Grund der Regelung in dem Vergleich bereits 2005 bewusst war, dass ab 2008 eine zeitlich ausgedehnte Tätigkeit von ihr zu erwarten sein dürfte.

Für das Jahr 2008 wird ein Gewinn vor Steuern und Vorsorgebeträgen von 30 000 Euro und für die Folgejahre eine Steigerung um 5000 Euro per annum als realistisch angesehen.

Es ergeben sich damit für die Jahre 2008–2010 im Durchschnitt 35 000 Euro (2008 = 30 000 Euro, 2009 = 35 000 Euro und 2010 = 40 000 Euro), für die Jahre 2011–2013 im Durchschnitt 50 000 Euro und für die Jahre 2014–2016 durchschnittlich 62 000 Euro.

Bei einem Gewinn von 35 000 Euro im Jahr ergeben sich monatlich 2917 Euro gerundet. Nach Abzug der Altersvorsorge von 321 Euro und geschätzten Krankenkassenbeiträgen von damals 500 Euro, sonstiger Kosten, Steuern und Abgaben verbleiben geschätzt rund 1770 Euro.

Bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 50 000 Euro ergeben sich monatlich 4167 Euro. Es ist davon auszugehen, dass die Bekl. bei einem solchen Einkommen erhöhte Einzahlungen in das Versorgungswerk geleistet hätte und die Krankenkassenbeiträge gestiegen sind, so dass ab diesem Zeitpunkt 524 Euro für das Versorgungswerk und 602 Euro für die Krankenversicherung in Abzug zu bringen sind. Es verbleiben dann 3041 Euro. Nach Abzug sonstiger Kosten, Steuern und Abgaben ergibt sich ein geschätztes Nettoeinkommen von gerundet 2390 Euro.

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6 Kommentare

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Dass über so etwas überhaupt noch verhandelt werden muss.

 

Hier einen Unterhaltsanspruch zu konstruieren dient nur dazu, sowohl den Mann als auch die Frau von der Arbeit abzuhalten.

Es lohnt sich einfach nicht.

Ausser für die beteiligten Anwälte und Richter natürlich.

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Nettoeinkommen von 2.390 €? Das dürfte ein Einkommen sein, von dem viele Einzelkämpfer träumen dürften. Andererseits zeigt dies ein interessantes Problem auf. Nämlich ob man aus dem Einkommen gut gehender Einzelkanzleien einerseits und "taxifahrenden" Einzelkämpfern andererseits einfach ohne weiteres einen Mittelwert ermitteln kann. Denn ob sie tatsächlich in der Lage ist, diesen Durchschnittswert zu erzielen, steht ja so nicht ohne weiteres fest.

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Nettoeinkommen von 2.390 €? Das dürfte ein Einkommen sein, von dem viele Einzelkämpfer träumen dürften.

So wird es in der Tat sein.

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1. Die aufgezeigten Versuche der Ehefrau, an Mandate zu kommen, sind in der Tat untauglich, altbacken und peinlich. Einen Anwalt, der im Freundeskreis und in Vereinen um Mandate bettelt, wird niemand beauftragen. Mein Motto lautet: keine Mandate aus jenen Kreisen. Eine professionelle Webseite und ein kleines monatliches Entgelt für Google wirken Wunder.

 

2. Die Illusionen, die sich das OLG über das mögliche Einkommen einer Einzelanwältin macht, die sich genötigt sieht, auf die beschriebene Weise Mandate zu akquirieren, sind aber nicht minder kurios.

 

Ein Jahreshonorarumsatz von 141.000,- Euro für einen Einzel-Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt ist Phantasterei.  Die meisten Kollegen sind nur zu stolz zuzugeben, daß ihr Umsatz weit darunter liegt. Die STAR-Studio beruht auf Umfragen unter Anwälten und nicht auf tatsächlichen Erhebungen. Die Ergebnisse kamen mir schon immer merkwürdig vor. Viele Einzelkämpfer sind froh, wenn sie Monatsumsatz von 6.000,- Euro haben. Der einsame Staranwalt mit Spitzenhonoraren und lukrativen Auftraggebern spiegelt nicht die Wirklichkeit wider. Viele Kollegen halten sich mit BerH, VKH/PKH und Pflichtverteidigungen über Wasser, weil in ihrem Umfeld keine Mandanten lauern, die auch nur die normalen RVG-Gebühren entrichten könnten (die im übrigen trotz 15%iger Inflation in dieser Zeit auch schon seit 8 Jahren nicht mehr erhöht worden sind).

 

Darüber muß man nicht klagen. Jeder sucht sich seinen Beruf ja selbst aus und mag auch mit weniger zufrieden sein. Aber ein völlig realitätsfremdes Einkommen zur Grundlage einer Unterhaltsentscheidung zu machen, ist fragwürdig. Dem entgegen steht im übrigen die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu den Pauschgebühren von Strafverteidigern. Die Verfahrensgebühr der VV 4106 RVG (= 112,00 Euro für den Pflichtverteidiger), die manchmal einen Arbeitsaufwand von 30 Stunden abdecken muß (= 3,70 Euro brutto / Stunde), finden die Strafsenate normal und zumutbar. So kommt man aber nicht auf 12.000,- Euro Umsatz im Monat.

 

 

 

 

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Wenn die Fordernde sich hierfür  "Eine professionelle Webseite und ein kleines monatliches Entgelt für Google wirken Wunder." nicht in der Lage sieht und deswegen vielleicht nicht mehr als 6.000,-€ Umsatz macht, so rechtfertigt dies aber noch keinen Unterhaltsanspruch gegen den Exmann.

Dann muss sie sich entweder etwas mehr anstrengen oder ihre Ansprüche ihrer eigenen Leistungsfähigkeit anpassen.

Zeit genug hatte sie ja wohl dafür.

Geht anderen Leute auch so.

 

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Es gibt sowas wie Eigenverantwortung. Es ist völlig unerheblich, ob sie 500€ 1000€ oder 2000€ verdient, sie und Ihr Mann gehen getrennter Wege und dies muss eben auch irgendwann mal finanziell gelten.

9 Jahre verheiratet und 11 Jahre Unterhalt stehen doch in keinem Verhältnis! Wir leben in einem seltsamen Land...

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