Trunkenheitsfahrer: § 64 StGB-Erörterungen können notwendig sein!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.08.2012
Rechtsgebiete: UnterbringungOLG HammStrafrechtVerkehrsrecht|6079 Aufrufe

§ 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) wird gerne in der tatrichterlichen Praxis übersehen oder  unterschätzt. Beim BGH findet man regelmäßig hierzu Entscheidungen. Hier einmal etwas aus dem verkehrsrechtlichen Bereich - Faustformel: "je mehr sich im tatrichterlichen Urteil zu einem Alkoholproblem des Angeklagten findet, umso eher sind Erörterungen zu § 64 StGB notwendig":

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Amtsgericht Gladbeck verurteilte den Angeklagten am 21. Oktober 2011 wegen „Trunkenheit im Straßenverkehr in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Fahrens ohne Fahrerlaubnis, zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten“. Gleichzeitig wurde die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch 36 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen mit Urteil vom 05. Januar 2012 mit der Maßgabe verworfen, dass es den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 02. August 2011 (Az. 27 Ds 17 Js 372/11 – 242/11) verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und die Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis auf noch 33 Monate festgesetzt hat.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Person hat der Angeklagte „ein Alkoholproblem“, so „konsumiert er regelmäßig am Wochenende im Übermaß Alkohol“ und ist bereits mehrfach wegen alkoholbedingter Straftaten, insbesondere wegen Trunkenheitsfahrten mit Blutalkoholkonzentrationen bis zu deutlich über 2 Promille, teilweise mit Unfallfolge und in einem Fall mit einem fremdgefährdenden Fluchtversuch vor der Polizei, verurteilt worden und stand während der erneut abzuurteilenden Tat unter laufender Bewährung.

Gegen das Berufungsurteil der Strafkammer wendet sich der Angeklagte mit der von ihm form- und fristgerecht eingelegten, auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch in der Sache den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

1.

Soweit sich die Revision mit der allgemeinen Sachrüge gegen den Schuld- und Strafausspruch wendet, war sie gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

2.

Ein sachlich-rechtlicher Mangel des angefochtenen Urteils liegt dagegen darin, dass es sich nicht mit dem Erfordernis einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB auseinander gesetzt hat, obwohl dies im Hinblick auf die mitgeteilten Gesamtumstände zu der Suchtproblematik des Angeklagten sowie seine gleichzeitig im Urteil festgestellte „grundsätzliche Bereitschaft zu einer Alkoholtherapie“ erforderlich gewesen wäre.

Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils hätte sich die Prüfung aufgedrängt, ob eine Maßregel nach § 64 StGB anzuordnen war. In einem solchen Fall ist eine Prüfung der Notwendigkeit einer Unterbringung des Angeklagten unerlässlich. Über die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB ist eine Entscheidung zu treffen (vgl. u.a. Senat, Beschlüsse vom 23. Februar 2012 in III-5 RVs 10/12, 6. März 2012 in III-5 RVs 14/12 und 08. Mai 2012 in III-5 RVs 33/12). Unterbleibt eine Entscheidung, stellt dies einen Rechtsfehler dar.

Der Angeklagte ist bereits seit 1990 wiederholt mit alkoholbedingten Straftaten aufgefallen und hat ersichtlich ein jahrelanges Alkoholproblem, welches sich mit hoher Wahrscheinlichkeit entgegen den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils auch nicht auf einen übermäßigen Alkoholkonsum am Wochenende beschränkt. Gegen die – offenbar auf den Angaben des Angeklagten beruhende – Feststellung, dass der Angeklagte „unter der Woche, wenn überhaupt, in demgegenüber deutlich geringerem Umfang Alkohol konsumiert“ sprechen schon die Tatzeitpunkte des vorliegenden Verfahrens (Trinkbeginn am Mittwoch, 20. April 2012, Tatzeit am 21. April 2012 – Gründonnerstag – um 1305 Uhr, BAK um 1305 Uhr: 1,86 0/00) sowie z.B. auch die im Urteil ebenfalls wiedergegebenen Tatzeiten aus der früheren Verurteilung durch das Amtsgericht Gelnhausen vom 06. November 1997 (Mittwoch, 17. Januar 1996, BAK um 135 Uhr: 2,66 0/00, sowie Donnerstag, 25. Januar 1996, BAK: 1,38 0/00).

Angesichts dieser Feststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagte den in § 64 Abs. 1 StGB beschriebenen Hang aufweist. Hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass dieses den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. BGH Beschluss vom 18. Juli 2007 – 5 StR 279/07).

Es liegt nach den gegebenen Umständen auch die Gefahr nahe, dass der Angeklagte infolge seines Hangs auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten, nämlich weitere Trunkenheitsfahrten unter erheblicher Gefährdung Dritter begehen wird.

Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich auch nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB); im Gegenteil gibt die vom Angeklagten ausweislich des angefochtenen Urteils verbalisierte Therapiebereitschaft Hinweis auf dessen Erreichbarkeit mit den helfenden Mitteln des Maßregelvollzuges.

Die vom Landgericht unterlassene Prüfung ist auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil nach der Neufassung des § 64 Abs. 1 StGB die Maßregel nicht mehr zwingend angeordnet werden muss, sondern nur angeordnet werden „soll“, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Ungeachtet dieser gesetzlichen Formulierung darf nur in besonderen Ausnahmefällen von einer Anordnung der Unterbringung abgesehen werden (vgl. BGH Beschluss vom 13. November 2007 – 3 StR 452/07; BTDrucks. 16/5137, S. 10; 16/1344, S. 12).

Über die Notwendigkeit einer Unterbringungsanordnung ist daher – gemäß § 246 a StPO unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – neu zu verhandeln und zu entscheiden.

Der vorliegende Erörterungsmangel führt gleichzeitig auch zur Aufhebung des Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen, soweit dem Angeklagten eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist, und zwar ungeachtet dessen, dass die erfolgte Versagung der Strafaussetzung für sich genommen rechtlich unbedenklich erscheint, da dem Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen zumindest derzeit ersichtlich keine günstige Sozialprognose gestellt werden kann.

Die Unterbringung gemäß § 64 StGB erfordert eine Gefahrenprognose dahin, dass der Täter infolge seines Hanges zu alkoholischen Getränken oder anderen berauschenden Mitteln erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Erforderlich ist mithin eine Täterprognose, die auf denselben Gesichtspunkten beruht wie die Sozialprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, NStZ 1994, 449). Eine rechtlich und tatsächlich selbständige Beurteilung der Entscheidung über die Unterbringung ist daher losgelöst von der Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung im Regelfall nicht möglich (vgl. BGH NStZ 1994, 449, OLG Hamm, NZV 2002, 383, 384; OLG München, NStZ-RR 2009, 10; OLG Köln, NStZ RR 1997, 360, 361; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 318 Rn. 25; Fischer, StGB, 59 Aufl., § 64 Rn. 29).

Demgegenüber hat das Urteil im Hinblick auf die Höhe der festgesetzten Einzelstrafen sowie die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe Bestand. Aufgrund der grundsätzlich nicht bestehenden Wechselwirkung zwischen Strafe sowie der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 4 StR 636/11- m.N.) ist auszuschließen, dass die Strafe niedriger ausgefallen wäre, wenn das Landgericht zugleich die Unterbringung des Angeklagten angeordnet hätte. Gleiches gilt für die mit dem Urteil festgesetzte Sperrfrist zur Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis.
 

 

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 14.06.2012 - III-5 RVs 47/12

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