BGH: Kein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei Fluchtfahrt und Unfall

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.03.2013
Rechtsgebiete: WiderstandBGHStrafrechtVerkehrsrecht3|11981 Aufrufe

Der Angeklagte flüchtet chaotisch, will an einer Polizeisperre vorbeirasen, verunfallt und verletzt einen Polizisten. Da kann man schon an § 113 StGB denken. Der BGH hatte gerade so einen Fall:

 

2. Durchgreifenden Bedenken begegnet auch die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

a) Nach den Feststellungen (Fall II. 12 der Urteilsgründe) befuhr der erheblich alkoholisierte, absolut fahruntüchtige Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, am 29. Dezember 2011 gegen 06.10 Uhr mit einem Pkw, für den kein Haftpflichtversicherungsschutz bestand, öffentliche Straßen in Eisleben. Einer polizeilichen Verkehrskontrolle versuchte er sich dadurch zu entziehen, dass er wendete und mit hoher Geschwindigkeit (bis zu 180 km/h) flüchtete. Dabei beging er zahlreiche Vorfahrtverletzungen, missachtete das Rotlicht an Kreuzungen und überholte trotz Gegenverkehrs. Andere Verkehrs-teilnehmer konnten nur durch eine umsichtige und reaktionsschnelle Fahrweise einer drohenden Kollision entgehen. Um der Flucht des Angeklagten ein Ende zu bereiten, stellte ein Polizeibeamter vor dem Ortseingang Heiligenthal seinen Streifenwagen quer zur Fahrbahn. Der Angeklagte versuchte nun, das Polizeifahrzeug mit hoher Geschwindigkeit rechts zu umfahren. Dies misslang jedoch, da sich in diesem Bereich neben der Straße eine kleine Baumgruppe befand. Der Angeklagte steuerte sein Fahrzeug deshalb wieder nach links und kollidierte in voller Fahrt mit dem Streifenwagen. Dabei erlitt einer der beiden in dem Fahrzeug befindlichen Polizeibeamten eine Knieprellung, Hautabschürfungen im Stirnbereich sowie ein Schädel-Hirntrauma ersten Grades. Das Landgericht hat das Tatgeschehen u.a. als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB gewertet, da die waghalsige Fahrt dazu gedient habe, „sich der Polizeikontrolle zu entziehen“ (UA S. 22).

b) Diese Feststellungen rechtfertigen keine Verurteilung aus § 113 Abs. 1 StGB. Unter Widerstand ist eine aktive Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll. Die Tat muss demgemäß Nötigungscharakter haben. Allerdings wird ein effektiver Nötigungserfolg nicht vorausgesetzt („unechtes Unternehmensdelikt“, vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 113 Rn. 22; S/S-Eser, StGB, 28. Aufl., § 113 Rn. 40). „Mit Gewalt“ wird Widerstand geleistet, wenn unter Einsatz materieller Zwangsmittel, vor allem körperlicher Kraft, ein tätiges Handeln gegen die Person des Vollstreckenden erfolgt, das geeignet ist, die Vollendung der Diensthandlung zumindest zu erschweren (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1962 – 4 StR 337/62, BGHSt 18, 133, 134; Fischer aaO § 113 Rn. 23). Die bloße Flucht vor der Polizei erfüllt diese Voraussetzungen nicht, auch wenn dabei andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden. Da der Angeklagte die ihn verfolgenden Polizeibeamten mit seinem Kraftfahrzeug weder abgedrängt noch am Überholen gehindert hat und auch nicht auf die Polizeibeamten zugefahren ist, um diese zum Wegfahren und damit zur Freigabe der Fahrbahn zu nötigen, fehlt bereits die für den äußeren Tatbestand erforderliche gewaltsame, gegen die Person des Vollstreckenden gerichtete Handlung (vgl. Senatsbeschluss vom 4. März 1997 – 4 StR 48/97, NStZ-RR 1997, 261, 262). Ebenso wenig wird der für die Verwirklichung des § 113 Abs. 1 StGB erforderliche Vorsatz deutlich, zumal das Landgericht das Unfallgeschehen, das zur Verletzung eines Polizeibeamten geführt hat, lediglich als fahrlässige Körperverletzung gewertet hat. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Es ist auszuschließen, dass in neuer Verhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, die die Annahme des Tatbestandes des § 113 Abs. 1 StGB tragen.

 

 

BGH, Beschluss vom 19.12.2012 - 4 StR 497/12 

 

 

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3 Kommentare

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Dem Angeklagten (Verurteilten) hat das übrigens genau nichts gebracht: "Die gegen den Angeklagten verhängte Einheitsjugendstrafe wird durch die Schuldspruchänderung nicht in Frage gestellt. Durch die Einordnung der Tankvorgänge als versuchter Betrug und durch den Wegfall der Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte hat sich der Unrechtsgehalt der Taten nicht wesentlich verändert. "

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Trotzdem schön zu sehen, dass es auch BGH-Senate gibt, die Revisionsbegehren ernst nehmen und nicht haufenweise Beschwerden wegen Rechtsfehlern als "offensichtlich unbegründet" verwerfen. Außerhalb Bayerns uns Baden-Würteembergs funktioniert wenigstens die justizinterne Qualitätskontrolle einigermaßen.

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