Drittwirkungen tariflicher "Unkündbarkeit"

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 17.02.2014

Viele Tarifverträge sehen vor, dass ältere, langjährig beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ordentlich nicht mehr gekündigt werden dürfen. Das geforderte Alter und die Dauer der nötigen Betriebszugehörigkeit schwanken je nach Branche und Tarifgebiet. Bislang war weitgehend ungeklärt, wie sich eine solche "Unkündbarkeit" auf die Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) im Falle einer betriebsbedingten Kündigung auswirkt. Denn sie kann ja im Einzelfall dazu führen, dass ein Arbeitnehmer nur deshalb zur Kündigung ansteht, weil ein anderer, sozial eigentlich weniger schutzbedürftiger Kollege, bereits ordentlich unkündbar ist.

Beispiel: Der Tarifvertrag bestimmt, dass Arbeitnehmer nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren ordentlich nicht mehr kündbar sind. Das Unternehmen plant einen größeren Personalabbau und entsprechende betriebsbedingte Kündigungen. Vergleichbare Tätigkeiten üben aus: Arbeitnehmer A, 51 Jahre alt und seit 16 Jahren im Betrieb, ledig, keine Kinder. Arbeitnehmer B, 49 Jahre alt, seit 25 Jahren im Betrieb, schwerbehindert (50% GdB), verheiratet, 2 Kinder. Bei einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG wäre B sozial schutzbedürftiger und daher A zu entlassen. A ist aber ordentlich unkündbar.

Erstmals hat nun das BAG einen solchen, wenn auch weniger krassen Fall zu entscheiden gehabt. Das Gericht prüft anhand des AGG, ob die tarifliche Bevorzugung der älteren Mitarbeiter sachlich gerechtfertigt ist. Dabei zieht es insbesondere § 10 AGG heran (man hätte auch über § 5 AGG - positive Maßnahmen - nachdenken können). Die tarifliche Regelung darf nicht zu groben Auswahlfehlern führen:

1. Tarifliche Regelungen über den Ausschluss ordentlicher Kündigungen erweisen sich in Auswahlsituationen nur dann als angemessen und gesetzeskonform i.S.v. § 10 S. 1 AGG bzw. § 1 Abs. 3 KSchG, wenn sie zumindest grobe Auswahlfehler vermeiden.

2. Die Auslegung der einschlägigen Tarifbestimmung kann ergeben, dass der Ausschluss ordentlicher Kündigungen nicht gilt, falls er bei der Sozialauswahl zu einem grob fehlerhaften Auswahlergebnis führen würde.

BAG, Urt. vom 20.6.2013 - 2 AZR 295/12, BeckRS 2014, 65255

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