Unfallflucht nach Wegrollen des Einkaufswagens und Schädigung hierdurch

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.07.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1932 Aufrufe

Der Angeklagte stellte am Tattag seinen Pkw auf dem Parkplatz eines Supermarktes ab. Anschließend holte er einen Einkaufswagen und begab sich zurück zu seinem Fahrzeug. Da sich dort der Hund des Angeklagten losmachte, ließ der Angeklagte den Griff des Einkaufswagens los, um den Hund wieder anzuleinen. Der Einkaufswagen geriet daraufhin auf dem leicht abschüssigen Parkplatz ins Rollen, drehte sich einmal um die Achse und stieß mit dem Griff voran gegen den Pkw des Geschädigten, an dem eine Schramme und eine deutlich sichtbare Eindellung entstanden. Obwohl der Angeklagte den Anstoß bemerkte, begab er sich in den Markt, um einzukaufen:

 

Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 Abs. 1 StGB.

Nach den Feststellungen des Landgerichts stellte der Angeklagte am Tattag seinen Pkw auf dem Parkplatz eines Supermarktes ab. Anschließend holte er einen Einkaufswagen und begab sich zurück zu seinem Fahrzeug. Da sich dort der Hund des Angeklagten losmachte, ließ der Angeklagte den Griff des Einkaufswagens los, um den Hund wieder anzuleinen. Der Einkaufswagen geriet daraufhin auf dem leicht abschüssigen Parkplatz ins Rollen, drehte sich einmal um die Achse und stieß mit dem Griff voran gegen den Pkw des Geschädigten, an dem eine Schramme und eine deutlich sichtbare Eindellung entstanden. Obwohl der Angeklagte den Anstoß bemerkte, begab er sich den Markt, um einzukaufen.

a) Soweit die Revision unter Hinweis auf die Entscheidungen des Amtsgerichts Dortmund (Beschluss vom 1. September 2020 – 723 Cs - 268 Js 1007/20 - 276/20 –, zitiert nach juris) und des Landgerichts Düsseldorf (Urteil vom 6. Mai 2011 – 29 Ns 3/11 –, zitiert nach juris) die Auffassung vertritt, bei der Sachlage liege bereits kein Unfall im Straßenverkehr im Sinne des § 142 StGB vor, da dafür Voraussetzung sei, dass der Vorgang im Zusammenhang mit der Fortbewegung eines Fahrzeugs stehe, folgt der Senat dem nicht. Nach Ansicht des Senats liegt vielmehr auch in der hier zu beurteilenden Konstellation ein Unfall im Straßenverkehr vor.
Zum Zeitpunkt des Unfalls haben sowohl der Angeklagte als auch der Eigentümer des geschädigten Fahrzeugs am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen. Ein – wie hier – allgemein zugänglicher privater Parkplatz gehört zum räumlichen Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs (ständige Rechtsprechung, siehe BGH, Beschluss vom 22. Mai 2017 – 4 StR 165/17 –, zitiert nach juris m. w. N.). Auch derjenige, der sein Fahrzeug auf einer öffentlichen Fläche abstellt, ist während der gesamten Dauer und auch bei Abwesenheit Verkehrsteilnehmer (Türpe in Beck’scher Onlinekommentar zum StVR, 22. Edition, § 1 StVO Rn.14). Der Angeklagte hat nach dem Aussteigen aus seinem Fahrzeug zudem auch zu Fuß am Straßenverkehr teilgenommen, da Verkehrsteilnehmer ist, wer sich als Fußgänger im öffentlichen Verkehrsraum bewegt (vgl. Türpe in Beck’scher Onlinekommentar zum StVR a. a. O; Bender in Münchener Kommentar zum StVR, § 1 StVO Rn. 17).
Allerdings ist nicht jeder Unfall schon deshalb ein "Unfall im Straßenverkehr" im Sinne des § 142 StGB, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. Vielmehr setzt die Annahme eines "Verkehrsunfalls" nach dem Schutzzweck der Norm des § 142 StGB einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang voraus. In dem „Verkehrsunfall” müssen sich gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben (BGH, Urteil vom 15. November 2001 – 4 StR 233/01 –, BGHSt 47, 158-160, Rn. 7; OLG Köln, Urteil vom 19. Juli 2011 – III-1 RVs 138/11 –, Rn. 20, jeweils zitiert nach juris; Fischer, StGB, 71. Auflage, § 142 Rn. 9). Eine solche Reduzierung des Tatbestandes ist erforderlich, um schädigende Geschehensabläufe von der Bewertung als „Verkehrsunfall“ auszuschließen, die völlig außerhalb des Straßenverkehrs liegen (OLG Köln a. a. O.).

Nach Ansicht des Senats liegt hier ein straßenspezifischer Zusammenhang vor, auch wenn der Unfall nicht im Zusammenhang mit der Fortbewegung eines Fahrzeugs steht.

Es trifft zwar zu, dass der Gesetzgeber es gerade aufgrund der Entwicklung des Verkehrs, insbesondere der Verwendung schneller Fahrzeuge und der damit einhergehenden Möglichkeiten, sich bei einem Verkehrsunfall seiner zivilrechtlichen Verantwortlichkeit durch Flucht zu entziehen, für berechtigt gehalten hat, das Feststellungsinteresse eines im Straßenverkehr Geschädigten – anders als das Feststellungsinteresse eines allgemein, außerhalb des Straßenverkehrs Geschädigten – strafrechtlich zu schützen (BT-Drucks. 7/2434, S. 4f). Auch lässt der Wortlaut des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der den Umfang der erforderlichen Feststellungen auf die Feststellungen zum Fahrzeug des Unfallbeteiligten erstreckt, darauf schließen, dass der Gesetzgeber die Vorstellung hatte, dass regelmäßig Fahrzeuge an den Unfällen im Straßenverkehr nach § 142 StGB beteiligt sind.

Es muss aber auch bedacht werden, dass der Gesetzgeber den Täterkreis des unerlaubten Entfernens vom Unfallort auf alle Verkehrsteilnehmer, nicht nur auf Fahrzeugführer, erstreckt hat (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 3. Februar 1960 – 4 StR 562/59 –, BGHSt 14, 116-123, Rn. 10, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 13. August 1979 – RReg 1 St 216/79 –, Rn. 5, jeweils zitiert nach juris), worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist. Nach dem ältesten Vorläufer der heutigen Bestimmung, dem § 22 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909 (RGBl. 1909 S. 437) konnte nur ein Kraftfahrzeugführer "Unfallflucht" begehen. Durch die Verordnung zur Änderung der Strafvorschriften über fahrlässige Tötung, Körperverletzung und Flucht bei Verkehrsunfällen vom 2.4.1940 (RGBl I S 606) wurde eine Bestimmung über die Unfallflucht als § 139a dem Strafgesetzbuch eingefügt. Hierbei wurden unter anderem die Worte "Der Führer eines Kraftfahrzeugs" durch das Wort "Wer" ersetzt. Zur Begründung wurde in der amtlichen Begründung (DJ 1940, 508, 509) ausgeführt: „§ 22 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909 (RGBl. S 437) bedrohte in seinem ersten Absatz den Fahrer eines Kraftfahrzeugs mit Strafe, der es nach einem Unfall unternimmt, sich der Feststellung des Fahrzeugs und seiner Person durch die Flucht zu entziehen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß diese Vorschrift den Bedürfnissen des Straßenverkehrs nicht genügt. Zunächst ist die Beschränkung des Täterkreises auf den Kraftfahrzeugführer nicht mehr am Platze; der Insasse des Kraftwagens, der etwa dem Fahrer Weisungen erteilt hat, der Radfahrer oder Fußgänger, überhaupt jeder Verkehrsteilnehmer muß grundsätzlich unter die Vorschrift fallen, wenn nach den Umständen in Frage kommt, daß sein Verhalten zur Verursachung des Unfalls beigetragen hat ...". Dies hat sich auch durch die Neufassung des § 142 StGB nicht geändert, wonach das Delikt durch einen „Unfallbeteiligten“ begangen werden kann. In § 142 Abs. 5 StPO wird der Unfallbeteiligte definiert als „jeder“, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Hieraus ergibt sich für den Senat, dass auch Unfälle, in denen sich die durch die Teilnahme eines Fußgängers am Straßenverkehr typischerweise ausgehende Gefahr verwirklicht, vom Schutzzweck der Norm erfasst werden sollen.

Weiterhin kann auch ein Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, also – wie hier – im ruhenden Verkehr, ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne des § 142 StGB sein, wie sich bereits aus der Vorschrift des § 142 Abs. 4 StGB ergibt.

Aus dem Vorgenannten folgt für den Senat, im Übereinstimmung mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Urteil vom 7. November 2011 – III-1 RVs 62/11 –, Rn. 6, OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Oktober 2010 – 2 St OLG Ss 147/10 –, Rn. 13, KG Berlin, Beschluss vom 3. August 1998 – (3) 1 Ss 114/98 (73/98) –, Rn. 4f, jeweils zitiert nach juris; OLG Koblenz, MDR 1993, 366, OLG Stuttgart DAR 1974, 194), dass der erforderliche straßenverkehrsspezifische Zusammenhang auch dann gegeben ist, wenn sich die Gefahr verwirklicht hat, die dadurch entsteht, dass sich ein Fußgänger – wie hier der Angeklagte – auf einem Supermarktparkplatz im räumlichen Bereich der dort abgestellten Kraftfahrzeuge bewegt, etwa um zu seinem Fahrzeug zu gelangen. Dabei handelt es sich um eine völlig übliche Nutzung des öffentlichen Verkehrsraums, für die ein derartiger Parkplatz gerade vorgesehen ist (vgl. auch OLG Koblenz MDR 1993, 366). Auch das Mitsichführen eines Einkaufswagens durch den Fußgänger stellt in diesem Zusammenhang einen üblichen Verkehrsvorgang dar. Schäden, die der Fußgänger in Folge des Mitsichführens des Einkaufswagens verursacht, können vor diesem Hintergrund nicht als verkehrsfremd gewertet werden. In ihnen verwirklicht sich vielmehr die typische Gefahr der Verkehrsteilnahme des Fußgängers an einem solchen Ort. Dies gilt nach Ansicht des Senats nicht nur, wenn der Fußgänger mit dem Einkaufswagen direkt an einen auf dem Parkplatz abgestellten Pkw stößt, sondern auch, wenn ihm der der Einkaufswagen, wie hier, entgleitet und einen in der Nähe befindlichen Pkw touchiert, da auch im letzteren Fall ein ursächlicher Zusammenhang zur Teilnahme des Fußgängers am Straßenverkehr besteht (vgl. OLG Koblenz MDR 1993, 366). Ein Unfall im Straßenverkehr scheidet in diesem Fall nach Ansicht des Senats nicht deswegen aus, weil die schließlich unfallursächliche Bewegung des Einkaufswagens nicht mehr willensgesteuert war. Eine willensgesteuerte Bewegung als Unfallursache ist entgegen der Annahme des Amtsgerichts Dortmund a. a. O. keine zwingende Voraussetzung für einen Unfall im Straßenverkehr. So wäre ein solcher auch dann anzunehmen, wenn z. B. beim

Halten an einer Verkehrsampel an einer abschüssigen Straße der Anhänger des vorderen Pkw versehentlich gelöst wird und gegen das hintere Fahrzeug prallt, oder wenn ein abgestellter Pkw an einer abschüssigen Straße wegrollt und ein anderes Fahrzeug beschädigt (so auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Juni 2004 – 1 Ss 70/03 –, Rn. 12, zitiert nach juris).

b) Dass die Höhe der durch den Unfall verursachten Reparaturkosten verfahrensfehlerhaft festgestellt wurde, wirkt sich auf den Schuldspruch nicht aus. Der Tatbestand wird lediglich durch einen völlig belanglosen Schaden ausgeschlossen (Fischer, StGB, 71. Auflage, § 142 Rn. 11). Sachschäden werden als völlig belanglos angesehen, wenn Schadensersatzansprüche üblicherweise nicht gestellt werden (Fischer a. a. O.). Das Landgericht hat festgestellt, dass am Fahrzeug des Geschädigten eine Schramme und eine deutlich sichtbare Eindellung entstanden sind. Bei derartigen Schäden an einem Pkw wird aber nicht üblicherweise auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen verzichtet.

OLG Naumburg, Beschl. v. 06.05.2024 - 1 ORs 38/24

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen