Diskriminierung III: Kündigung im Kleinbetrieb

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 29.07.2015

Eine Kündigung, die gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters (§ 1 AGG) verstößt, ist unwirksam. Dies gilt auch in Kleinbetrieben, in denen kein allgemeiner Kündigungsschutz besteht. Dem Arbeitnehmer, der eine Diskriminierung geltend macht, kommt dabei die Beweiserleichterung des § 22 AGG zugute. Das hat der Sechste Senat des BAG mit Urteil vom 23.7.2015 (6 AZR 475/14) entschieden und damit ein Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts aufgehoben.

Die 1950 geborene Klägerin war seit Ende 1991 bei der beklagten Gemeinschaftspraxis als Arzthelferin tätig. Ihre vier Kolleginnen sind jünger als sie. Im Mai 2013 erhielt sie eine Kündigung zum Jahresende. Kündigungsgrund seien Veränderungen im Laborbereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Außerdem hieß es, die Klägerin sei "inzwischen pensionsberechtigt". Den anderen Arzthelferinnen wurde nicht gekündigt. Die Klägerin hat die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gefordert. Das Kündigungsschreiben lasse eine Benachteiligung wegen ihres Alters vermuten.

Nachdem die Klage in den beiden ersten Instanzen keinen Erfolg hatte, hat das BAG ihr überwiegend stattgegeben. Die Kündigung ist unwirksam, weil sie gegen das Benachteiligungsverbot der §§ 1, 7 Abs. 1 AGG verstoße. Zwar hatte die Beklagte eingewandt, die Kündigung habe lediglich freundlich und verbindlich formuliert werden sollen. Sie sei wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70 bis 80 % der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Die Klägerin sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Zur Überzeugung des BAG hatte sie aber keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass die wegen der Erwähnung der "Pensionsberechtigung" zu vermutende Altersdiskriminierung nicht vorliegt.

Lediglich wegen des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs wurde der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

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5 Kommentare

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Vielen Dank für den dritten Teil.

 

Man darf sich schon Fragen, was denn die beiden Tatsacheninstanzen hier im Sinn hatten. Aus meiner Sicht gibt es kaum ein eindeutigeres Indiz für eine altersmotivierte Kündigung als wie im vorliegenden Fall. Hier hatten ja bereits einige Kollegen von ihren praktischen Erfahrungen mit dem AGG vor den Arbeitsgerichten berichtet. Dieser Fall scheint diesen Eindruck zu bestätigen. Es mag ein "Spießrutenlaufen" für die Klägerin hier gewesen sein mit einem möglichen "happy-end". Für den Arbeitgeber kann es ein "Schrecken ohne Ende" sein, wenn er die Annahmeverzugslöhne für die Dauer des Verfahrens zahlen muss.

 

Ich bin gespannt wie sich dieses Urteil auf den praktischen kündigungsschutzrechtlichen Einfluss des AGGs auswirkt. Gerade bei Kündigungsschutzstreitigkeiten sollte man als Arbeitgeber nicht auf den Boykott des AGGs durch die Gerichte vertrauen, was der vorliegende Streit zeigt.

 

Für eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG dürfte es aber wohl zu spät sein. Glück im Unglück für den Arbeitgeber.

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Das ist wieder so ein typischer Fall. Ich habe das schon einige male versucht vor den Instanzgerichten durchzusetzen, AGG und KSchG - ich meine zur Anspruchskonkurrenz gibt es eine herrvorragende Entscheidung vom LAG Bremen. 

 

Ich habe selten - vielleicht vor dem Strafichter bei kronischen Wiederholungstätern - so fassungs- und verständnisslose Gesichter gesehen, als ob man einweisungsreif sei. Und ein Müh an Bereitschaft sich mit dieser Materie auseinanderzusetzen habe ich auch nie feststellen können. 

 

Gute Entscheidung, endlich.

 

das gute daran ist, dass die Abfindung, sofern man sie im Vergleich über 15 II AGG regelt für den AN steuerfrei - also Brutto gleich netto - ist

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Gast schrieb:

das gute daran ist, dass die Abfindung, sofern man sie im Vergleich über 15 II AGG regelt für den AN steuerfrei - also Brutto gleich netto - ist

So ist es, vgl. BFH, Beschluss v. 27.07.2013, Az. III B 15/13 und http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/037/1603710.pdf#20

Auch umsatzsteuerlich liegt mangels Leistungsaustausch ein nicht steuerbarer sog. echter Schadensersatz vor. Denn es handelt sich um die Zahlung einer Geldentschädigung durch den Schädiger, der für den Schaden aufgrund Gesetz einstehen muss, s. Abschnitt 1.3 Abs. 1 Satz 2 u. 3 UStAE.

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@Gast:

 

Trösten Sie sich. Sie sind nicht alleine. Ähnliche Erfahrungen dürften sämtliche Kollegen gemacht haben, die jemals mit dem AGG zu tun hatten. Als ob ein Arbeitsrichter auch noch nie etwas von unserer Verfassung gehört hätte. Zumindest haben beide Gesetze (Grundgesetz und AGG) die Gemeinsamkeit, daß sie den Deutschen von dritter Seite auferlegt wurden. Vielleicht kommt daher die "Anwendungsscheu".

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