Das "Alleinrennen": Gesetzgeberischer Rohrkrepierer?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.07.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht4|5851 Aufrufe

Na, man könnte so langsam mal denken, dass die ersten rechtskräftigen Verurteilungen wegen der neuen Rennvorschrift des § 316 d Abs. 1 Nr. 3 StGB veröffentlicht werden. Bislang ist aber noch nichts Tolles zu lesen gewesen. Das "Alleinrennen" ist nämlich derart komplex geregelt, dass kaum klar ist, welche Voraussetzungen an eine Verurteilung zu stellen sind. Das LG Stade hat sich mal im Rahmen einer Beschwerde gegen einen § 111a StPO-Beschluss an einer näheren Konkretisierung der Norm versucht:

Nach vorläufiger Bewertung hat der Beschwerdeführer allerdings den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht verwirklicht. Die Tathandlung muss von der Absicht getragen sein, eine „höchstmögliche Geschwindigkeit“ zu erreichen (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 16). Diese Tatbestandsvoraussetzung soll insbesondere dem Erfordernis des Renncharakters gerecht werden. Hingegen sollen bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen - auch wenn sie erheblich sind - nicht von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB umfasst sein (vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 6; Burmann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 9 - beck-online). Strafbar soll sein, wer „objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt“ (vgl. BT-Drs. 18/12936, S. 2). Nach Auffassung der Kammer dient der Kraftfahrzeugverkehr und ein Überholvorgang regelmäßig dem „möglichst“ schnellen Vorankommen (vgl. auch Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. 2018, § 315d, Rn. 18), sodass für die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zum bloßen zügigen Überholen ein Fahren mit Renncharakter hinzukommen muss. Ein Renncharakter ist gegeben, wenn der Fahrer sein Fahrzeug bis an die technischen und physikalischen Grenzen ausfährt. Hierfür sieht die Kammer nach vorläufiger Würdigung des Akteninhalts keine ausreichenden Anhaltspunkte.

LG Stade Beschl. v. 4.7.2018 – 132 Qs 112 Js 13902/18 (88/18), BeckRS 2018, 14896

Also: Wer mit 180 km/h geradeaus durch die Fußgängerzone rast, aber theoretisch noch bis auf 190 km/h aufdrehen kann, der fährt nicht sein Fahrzeug bis an die genannten Grenzen aus....

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4 Kommentare

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Wer mit 180 km/h geradeaus durch die Fußgängerzone rast, aber theoretisch noch bis auf 190 km/h aufdrehen kann, der fährt nicht sein Fahrzeug bis an die genannten Grenzen aus...

...und Porsche-Fahrer geniessen überhaupt praktisch Immunität. Je schneller das Auto, desto straffreier der Fahrer. Eine absurde Konsequenz...

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Das heißt also, dass derjenige, der mit einem vierrädrigen Leichtkraftfahrzeug unterwegs ist, bereits bei 45 km/h ein Alleinrennen in der Fußgängerzone fahren würde.....

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Autoland Deutschland. Um eine Verurteilung wegen kraftfahrzeugbezogener Straftaten zu bewirken, müsste der Gesetzgeber die Rechtsprechung schon deutlich anweisen. Ansonsten wird die Freude am schnellen Fahren sich allzu häufig in Freude zum Freispruch übersetzen - so wie hier.

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Lieber Herr Krumm,

es war vorhersehbar, dass die Praxis Schwierigkeiten damit hat, den "Einzelraser" quasi als Rennfahrer ohne Renngegner zu erfassen. Man wollte das eigentlich gefährliche am Rasen nicht allgemein bestrafen, also nicht anhand objektiver Merkmale (erhebliche Überschreitung der angemessenen bzw. geregelten Höchstgeschwindigkeit oder anhand konkreter Gefährdungen), weshalb man auf die subjektive Intention abstellte. Ich hatte damals im Bundestag eine Stellungnahme verfasst. Mein Fazit:

"Die Intention des Änderungsantrags ist legitim, das „Rasen“ eines einzelnen
Fahrzeugführers in die Strafbarkeit einzubeziehen, auch wenn keine Rennbeteiligung
vorliegt. Doch die konkrete Ausgestaltung regelt sinn- und systemwidrig ein objektiv
gefährliches Verhalten unter dem unpassenden Aspekt der unvollständigen
Rennteilnahme." (Quelle)

Freundliche Grüße

Henning Ernst Müller

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