Mietminderung auch ohne jede Beeinträchtigung - der BGH wackelt nicht (BGH VIII ZR 99/17, Urt. v. 22.8.18)

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 12.09.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtMiet- und WEG-Recht6|5043 Aufrufe

Die Frage, ob ein Mieter auch ohne jede tatsächliche Beeinträchtigung Mängelrechte (Instandhaltung, Minderung) geltend machen kann, war von der h.M. bislang stets bejaht worden. In der Praxis führt dies zu der zumindest bemerkenswerten Konstellation, dass ein Mieter, der vier Wochen lang seinen Urlaub genießt, die Miete für diese Zeit mindern kann, wenn es während seines Urlaubs zu erheblichen Lärmbeeinträchtigungen etwa durch Baulärm in der benachbarten Wohnung kam - Lärm, von dem er aber aufgrund seiner Abwesenheit anders als sein dort verbliebener Nachbar nichts mitbekommen hat. Die h.M. stellt hier nicht auf eine subjektive Beeinträchtigung ab, sondern auf eine objektivierte Sicht der Dinge. Es sei unerheblich, ob sich der Mangel auf den konkreten Mietgebrauch ausgewirkt habe (vgl. BGH, NJW 1987, 432; Palandt-Weidenkaff, BGB, 77.Aufl. 2018 § 536 Rn 16). 

Dieser Ansicht ist das LG Frankfurt a.M. bereits früher entgegengetreten (BeckRS 2010, 10051) und hatte demgegenüber auf die tatsächliche Beeinträchtigung des Mietgebrauchs abgestellt.  In der hier vom BGH (Urt. vom 22.8.2018, VIII ZR 99/17, BeckRS 2018, 21236) nun kassierten Entscheidung blieb das LG seiner Linie im Ergebnis (abstellend auf das vermeintlich fehlende Rechtsschutzbedürfnis des Mieters) treu und meinte, dass eine defekte Gastherme dann, wenn der Mieter gar nicht in der Wohnung wohne, keine Instandsetzungs- bzw. Minderungsrechte des Mieters auslösen würde.

Der VIII. Zivilsenat sieht dies nicht so. Er hält an seiner Rechtsprechung fest und räumt dem - nicht wirklich betroffenen - Mieter auch in diesen Fällen einen Instandsetzungs- und einen Minderungsanspruch ein. 

Mit Urteil des BGH (VIII. Zivilsenat, VIII ZR 99/17) vom 22.August 2018 hat der für das Wohnraummietrecht zuständige Senat das vorangegangene Urteil des LG Frankfurt a.M. aufgehoben und die Sache dorthin zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Zutreffend verweist der BGH darauf, dass ein Rechtsschutzbedürfnis ohne Weiteres besteht. Er hält das Urteil des LG aber auch nicht aus anderen Gründen für richtig (§ 561 ZPO): die Minderung trete kraft Gesetzes ein, auf die fehlende Nutzung der Mietsache komme es nicht an (BeckRS 2018, 21236 Rn 19). 

Man hätte sich gewünscht, dass sich der BGH mit den Argumenten der Gegenmeinung auseinandersetzt; das Urteil ist hier allerdings bemerkenswert kurz ausgefallen. Nach wie vor führt die h.M. zu skurrilen Ergebnissen. Denkt man etwa an den oben erwähnten Fall des Baustellenlärms und den abwesenden Mieter, so wird der "Urlauber" dem Mieter gleichgestellt, der während der vier Wochen brav den "Höllenlärm" ertragen hat. Der "Urlauber" muss den Mangel "Baulärm" nicht einmal vor Abfahrt dem Vermieter gem. § 536c BGB angezeigt haben, um rückwirkend die Mietminderung zu "kassieren"; kennt der Vermieter den Mangel durch den sich tatsächlich gestört fühlenden, im Objekt verbliebenden Mieter aufgrund dessen Mangelanzeige, bedarf es einer weiteren Anzeige grundsätzlich nicht. Bei positiver Kenntnis des Vermieters vom Mangel ist eine Anzeige entbehrlich. Beide erhalten also denselben Minderungsbetrag. Auch läuft die h.M. nicht synchron mit der ebenfalls überwiegend vertretenen Ansicht, wonach besondere Umstände in der Person eines Mieters (z.B.  Neigung zu Allergien bei Schimmelpilz und gesundheitliche Folgen ) bei Minderungsrechten nicht außer Betracht bleiben sollen (vgl. Spielbauer in Spielbauer/Schneider, MietR, 2.Aufl. § 536 Rn 36 mwN; für § 569 I BGB s. BGH, NJW 2007, 2180 mwN).

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6 Kommentare

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Ich halte die Entscheidung für völlig richtig. Für die Frage der Mietminderung kann es weder positiv noch negativ auf subjektive Befindlichkeiten ankommen. Es muss auf die objektive Beeinträchtigung ankommen, andernfalls wir hier bald eine Zerfaserung wie der Schmerzensgeld-Rechtsprechung haben würden und der Rechtsprechung keinerlei Richtlinien im Hinblick auf Prozentsätze etc. mehr entnommen werden könnten. Das mag ggf. der Haus- und Wohnungswirtschaft dienen, die jeden Mietminderungsprozess subjektiv zerreden könnte, wäre aber katastrophal für die Mieterseite.

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Richtige Entscheidung. Wenn ich mir den Spaß erlaube, in Bestlage von München eine luxuriöse Zweitwohnung anzumieten (gleich für welchen Zweck, vielleicht sogar nur für ein gelegentliches amouröses Abenteuer) und die Wohnung dann ein ganzes Jahr leersteht, weil ich einfach keine Lust und Zeit für Abenteuer habe, so möchte ich dennoch die Wohnung in Top-Zustand wissen. Was, wenn sich unerwartet eine Super-Gelegenheit ergibt und dann die Wohnung eiskalt ist, weil die Heizung vom Vermieter nicht gewartet wurde? Für mein Geld möchte ich auch entsprechenden Gegenwert, und selbst wenn ich nicht in der Wohnung anwesend bin, so ist das Wissen um den Top-Zustand einer Top-Wohnung für Top-Abenteuer mir das Geld wert.

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M.E. ist die Entscheidung im Hinblick auf den Instandsetzungsanspruch auch zutreffend. Streiten kann man aber über den Minderungsanspruch. Normativ ist dies durchaus auch in § 536 I 3 BGB festzumachen wenn man der h.M. folgt: auch dann wird man fragen können, ob der nach h.M. vorliegende "Mangel" wirklich nicht unerheblich ist, wenn der Mieter im Baulärmbeispiel etwa davon nichts mitbekommen hat. Ich hätte mir dazu zumindest Differenziertes gewünscht.
 

Nur ein Gedankenspiel:

Wenn es einen Unterschied machen würde, ob der Mieter tatsächlich die Beeinträchtigung erleidet, würde das nicht konsequenterweise auch zur Folge haben müssen, dass wenn er nach der Minderung in Urlaub geht, für diesen Zeitraum wieder die vereinbarte Miete zahlen müsste?

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...und bei Heizungsausfall gibt es keine Mietminderung, weil das frischverliebte Paar sein Zeit ohnehin ständig im kuschelig-warmen Bett verbracht hat. Toll! Das ist Mietrecht, wie man es sich wünscht...

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Hier stimme ich dem anonymen "Gast"zu. § 536 Abs. 1 BGB schon dem Wortlaut nach. Tauglichkeit - konkrete Nutzung ist da gar nicht relevant. - Anders könnte es bei einem Schadensersatzanspruch liegen, je nach Konstellation.

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