Aus der NZA: BAG modifiziert Rechtsprechung zu betrieblicher Übung bei Tariflohnerhöhungen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 06.02.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3821 Aufrufe

Viele Arbeitgeber zahlen über Tarif. Wird der Tariflohn erhöht, können sie entscheiden, ob sie diese Lohnerhöhung weitergeben oder ob der Effektivlohn (wenn er auch über dem neuen Tariflohn liegt) unverändert bleibt und sich nur die Zusammensetzung (Tariflohn/übertarifliche Zulage) verändert. Bislang hat das BAG es stets abgelehnt, dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Effektivlohnerhöhung zu gewähren, es galt der Grundsatz der "Aufsaugung", nicht der "Aufstockung" (zuletzt BAG, Urt. vom 24.2.2016 - 4 AZR 990/13, NZA 2016, 557). Bei einer vollständigen oder gleichmäßigen Anrechnung war die Entscheidung des Arbeitgebers zudem nicht dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterworfen, da sich die Verteilungsgrundsätze nicht veränderten (BAG, Urt. vom 10.3.2009 - 1 AZR 55/08, NZA 2009, 684).

Anders entscheidet der Fünfte Senat des BAG nun für den Fall, dass der Arbeitgeber in der Vergangenheit nicht nur den Tariflohn, sondern auch die übertarifliche Zulage um den Prozentsatz der vereinbarten Tariferhöhung angepasst hat. In einem solchen Falle könne den Arbeitnehmern ein Anspruch aus betrieblicher Übung zustehen, dass der Effektivlohn auch künftig entsprechend steige:

Beschränkt der Arbeitgeber Entgelterhöhungen nicht auf den Arbeitsverdienst, den er durch die arbeitsvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrags zu zahlen verpflichtet ist, sondern erhöht er zugleich den zusätzlich gewährten übertariflichen Entgeltbestandteil in gleicher Weise wie den tariflichen, kommt es für das Entstehen einer betrieblichen Übung in Bezug auf den übertariflichen Vergütungsanteil allein darauf an, wie die Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen mussten und durften.

BAG, Urt. vom 19.9.2018 - 5 AZR 439/17, NZA 2019, 106

 

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