Bewährungsprognose: Strafhaft macht besser!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.06.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|2651 Aufrufe

Eine widerlegbare Vermutung ist auch erstmal eine Vermutung: Wird eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhängt, obgleich zwischen Tat und Urteil erstmals eine Haft in anderer Sache vollzogen wurde, so muss das Gericht erst einmal von einer positive Wirkung der Haft ausgehen und die für die Strafaussetzung nötige positive Sozialprognose bejahen. Andernfalls muss es darlegen können, warum die Haft nicht reichte....Eine tolle Entscheidung des OLG Hamm!

 

 

I.

Das Amtsgericht Paderborn hatte den Angeklagten durch Urteil vom 25.09.2017 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im besonders schweren Fall in sieben Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Auf die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hatte das Landgericht Paderborn durch Urteil vom 22.03.2018 die Berufungen mit der Maßgabe verworfen, dass zusätzlich die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde. Auf die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 04.06.2019 das Berufungsurteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Berufung in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung des Angeklagten zurückgenommen und der Angeklagte seine Berufung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das Landgericht Paderborn mit dem angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wird. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er eine Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die rechtzeitig eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete Revision ist zulässig und hat auf die Sachrüge hin (nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO).

1.

Soweit sich die Revision auch gegen den Strafausspruch wendet, ist sie offensichtlich unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO. Es ist zwar nicht unbedenklich, dass weder das amtsgerichtliche Urteil nähere Feststellungen zu den Wirkstoffgehalten der Betäubungsmittel in den Fällen 1 bis 6 enthält und auch das Landgericht insoweit keine ergänzenden Feststellungen getroffen hat. Dies führt jedoch weder dazu, dass die Berufungsbeschränkung unwirksam ist, noch zu einem den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler bei der Strafbemessung. Das Landgericht hat den Betäubungsmittelmengen und folglich auch den Wirkstoffgehalten ersichtlich nur eine sehr untergeordnete Bedeutung beigemessen, was sich an dem geringen Unterschied von nur einem Monat zwischen den Einzelstrafen zu den Taten 6 und 7 einerseits und den übrigen Taten andererseits zeigt. Es ist auch bei den Taten 1 bis 5 von kleineren Mengen ausgegangen. Insgesamt hat sich das Landgericht zudem an der untersten Grenze des Strafrahmens des § 29 Abs. 3 BtMG bewegt. Der Senat kann daher sicher ausschließen, dass das Landgericht auf noch geringere Einzelstrafen und eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte, wenn der genaue Wirkstoffgehalt in den Fällen 1 bis 6 bekannt gewesen wäre.

Die Erörterung des Landgerichts zeigt zudem, dass es eine eigenständige Wertung bzgl. des besonders schweren Falles des § 29 Abs. 3 BtMG getroffen hat.

2.

Indes halten die Gründe, mit denen das Landgericht die Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie weisen einen durchgreifenden Erörterungsmangel auf. Anders als bei der Strafzumessung berücksichtigt das Landgericht hier nicht, dass der Angeklagte seit nunmehr nahezu fünf Jahren strafrechtlich nicht mehr erneut in Erscheinung getreten ist. Es berücksichtigt vor allem nicht, dass der Angeklagte nunmehr erstmals eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe (ein Jahr und sechs Monate abzüglich des nach § 35 BtMG anzurechnenden Teils) in anderer Sache verbüßt und welche Wirkungen die Vollstreckung dieser Strafe auf die Prognose hat. Der von der Strafhaft ausgehende Warneffekt lässt bei einem Erstverbüßer allgemein erwarten, dass das der bloßen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe nicht vergleichbare Erlebnis von deren Vollstreckung seine Wirkung nicht verfehlt und den Täter befähigt, künftigen Tatanreizen zu widerstehen (KG Berlin, Beschluss vom 28. Februar 2019 – (3) 161 Ss 20/19 (11/19) –, Rn. 4 - 5, juris; vgl. auch: BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 – 2 StR 210/12 – juris; BGH, Beschluss vom 21. März 2012 – 1 StR 100/12 – juris). Diese (widerlegbare) Vermutung greift zwar regelmäßig nur dann, wenn die Führung während des Vollzugs keinen Anlass zu gewichtigen Beanstandungen gegeben hat (OLG Hamm, Beschluss vom 10. März 2020 – 3 Ws 66/20 –, Rn. 14, juris). Der Umstand, dass der Angeklagte offenbar aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug verlegt wurde, könnte deshalb dafür sprechen, dass die Strafvollstreckung ihre Wirkung noch nicht erzielt hat. Hintergründe dazu teilt das angefochtene Urteil aber nicht mit.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Bewertung bzgl. der Voraussetzungen des § 56 StGB – auch bzgl. des Vorliegens besonderer Umstände - gekommen wäre, wenn es diese Gesichtspunkte in seine Abwägung mit eingestellt hätte. Eine Wechselwirkung zwischen der Entscheidung über die Aussetzungsfrage und über die Frage der Unterbringung nach § 64 StGB kann der Senat im vorliegenden Fall angesichts der Feststellungen im angefochtenen Urteil zur langjährigen Straffreiheit des Angeklagten auch schon vor Antritt der Therapie Ende des Jahres 2018 ausschließen. Einer Aufhebung der im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstandenden Nichtanordnung dieser Maßregel bedarf es daher nicht.

 

OLG Hamm, Beschl. v. 14.5.2020 - 4 RVs 55/20

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Wenn zu Strafhaft verurteilte Gefangene während des Strafvollzuges eine Berufsausbildung abschließen, oder in einem Beruf zumindest angelernt werden und für den Beruf praktische Arbeits-Erfahrungen sammeln und sich resozialisierungswillig zeigen, oder wenn sie sich während der Strafhaft von einer Alkoholsucht oder Drogensucht lösen, dann rechtfertigt so etwas wohl eine positivere Sozialprognose.

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