Kriminelle Vereinigung auch bei Tätergruppierungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität (hier „Abzocken“ von älteren Personen durch vorgebliche Polizeibeamte)

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 15.08.2021

Können Tätergruppierungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität eine kriminelle Vereinigung gem. § 129 StGB darstellen und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Diese Frage hat der 3. Strafsenat des BGH in einer Leitsatzentscheidung wie folgt beantwortet (BGH Urt. v. 2.6.2021 – 3 StR 21/21, BeckRS 2021, 21720):

„1. Unter die Legaldefinition der kriminellen Vereinigung können auch Tätergruppierungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ebenso wie sonstige Zusammenschlüsse aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität fallen. Erforderlich hierfür ist neben den sonstigen Voraussetzungen, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgt. Lediglich individuelle Einzelinteressen der Mitglieder der Gruppierung genügen nicht. Das gemeinsame Interesse muss insbesondere über die bezweckte Begehung der konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen.

2. Zur Ermittlung des für eine Vereinigung konstitutiven übergeordneten gemeinsamen Interesses können im Rahmen einer Gesamtwürdigung die äußeren Tatumstände herangezogen werden.“

Sachverhalt: Es geht vorliegend um eine Tätergruppierung von drei Personen, die sich – zum Verschaffen einer fortlaufenden Einnahmequelle von einigem Gewicht – in der Türkei zusammengeschlossen hatte, um sich telefonisch gegenüber älteren, in Deutschland lebenden Menschen als Polizeibeamte auszugeben und diese unter Vortäuschung einer Gefahrenlage zur Herausgabe von Vermögenswerten zu bewegen. Hierzu mieteten sie Büroräume an und beschafften sich die erforderliche technische Ausrüstung, zudem setzten sie ihnen loyale Personen zur Abholung der Beute ein. Der Angeklagte sagte in Kenntnis der Vorgehensweise zu, sich als ein solcher „Abholer“ jederzeit verfügbar zu halten. Als Entlohnung sollte er einen kleineren Anteil aus der Beute und Fahrtkosten erhalten. U.a. „zockten“ sie in Umsetzung dieses Tatplans in mehreren Fällen ältere Damen ab, wobei der Angeklagte das Geld entgegennahm. Das Landgericht hat die Fälle u.a. als gewerbsmäßigen Bandenbetrug gewertet.

Entscheidung des BGH: Der 3. Strafsenat hat die Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges auf die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet, weil eine tateinheitliche Verurteilung auch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung in Betracht kommt. In den Entscheidungsgründen heißt es u.a. wie folgt:

„Wie bereits nach der früheren Rechtslage können Tätergruppierungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ebenso wie sonstige Zusammenschlüsse aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität auch unter den neuen Begriff der kriminellen Vereinigung fallen (vgl. BT-Drucks. 18/11275 S. 11; BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 42). Erforderlich hierfür ist neben den weiteren aufgezeigten Voraussetzungen wie dargelegt, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgt. Lediglich individuelle Einzelinteressen der Mitglieder der Gruppierung genügen nicht. Das gemeinsame Interesse muss insbesondere über die bezweckte Begehung der konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - AK 3 und 4/21, juris Rn. 24; Urteile vom 14. Juni 2018 - 3 StR 585/17, BGHSt 63, 138 Rn. 22; vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 42; LG Köln, Beschluss vom 9. November 2020 - 101 Qs 72/20, NStZ-RR 2021, 74 ff.; BT-Drucks. 18/11275 S. 11; LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 40 f.; SK-StGB/Stein/Greco, 9. Aufl., § 129 Rn. 15; SSW-StGB/Lohse, 5. Aufl., § 129 Rn. 18; s. auch Montenegro, GA 2019, 489, 502; Martin, Kriminalistik 2018, 269, 271). Ein solches Interesse liegt bei Zusammenschlüssen zur Verfolgung weltanschaulich-ideologischer, religiöser oder politischer Ziele regelmäßig bereits mit Blick hierauf vor (vgl. beispielsweise BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 - AK 3 und 4/21, NStZ-RR 2021, 136, 137; vom 3. September 2020 - AK 22/20, juris Rn. 16; vom 22. Juli 2020 - AK 17/20, juris Rn. 22; vom 6. Februar 2020 - AK 1/20, NStZ-RR 2020, 245). Bei der gemeinsamen Begehung von Taten, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind und damit letztlich vor allem dem jeweils beteiligten Individuum wirtschaftliche Vorteile bringen sollen, ist dies allerdings nicht ohne Weiteres in gleicher Weise der Fall. Zur Ermittlung des für eine Vereinigung konstitutiven übergeordneten gemeinsamen Interesses können im Rahmen einer Gesamtwürdigung die äußeren Tatumstände herangezogen werden.

Im Ergebnis ist folglich aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob sich mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses oder lediglich zur Durchsetzung ihrer gegebenenfalls gleichgerichteten Individualinteressen zusammengeschlossen haben. Hierbei können verschiedene objektive, bereits zuvor genannte Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. Hierzu zählen insbesondere der Umfang und das Ausmaß genutzter - gegebenenfalls auch grenzüberschreitender - organisatorischer Strukturen sowie sachlicher Mittel, eine festgelegte einheitliche Willensbildung, eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinschaftliche Regeln, die Anzahl der Mitglieder, ein von den konkreten Personen losgelöster Bestand, eine etwaige Gemeinschaftskasse, die Beanspruchung quasistaatlicher Autorität und die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure. Je ausgeprägter solche Kriterien vorliegen, desto eher lässt sich der Schluss ziehen, dass es den einzelnen Personen - gerade im Bereich allgemeiner, auf Gewinnerzielung ausgerichteter Kriminalität - nicht lediglich um ihre individuellen Vorteile, sondern um weitergehende Ziele geht wie beispielsweise den eigenständigen Fortbestand der Organisation um ihrer selbst willen oder ein spezifisches Machtstreben. Da eine Gesamtbetrachtung geboten ist, müssen nicht sämtliche Merkmale in besonderer Weise vorliegen. Entscheidend ist, ob sie insgesamt den Schluss auf die Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses und die damit einhergehende vereinigungstypische Dynamik zulassen. Bedienen sich die Täter beispielsweise ausschließlich des eingerichteten Gewerbebetriebs eines (auch) legal am Markt operierenden Unternehmens, dessen Geschäftszweck nicht primär in der Begehung von Straftaten liegt, vermag allein ein hoher betrieblicher Organisationsgrad den Rückschluss auf ein übergeordnetes Interesse nicht zu begründen.

Nach diesen Maßstäben ergeben sich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 129 Abs. 2 StPO bislang nicht, sind aber nach den bisherigen Feststellungen nicht von vornherein völlig auszuschließen.

Welche Ziele die an der Gruppierung beteiligten, namentlich die in der Türkei handelnden, Personen verfolgten, hat die Strafkammer bisher nicht weiter aufgeklärt. Allein die bislang festgestellte Anmietung von Büroräumen, die Beschaffung technischer Ausrüstung und die Ausrichtung auf eine längere Dauer reichen nicht aus, um das für eine Vereinigung erforderliche übergeordnete gemeinsame Interesse annehmen zu können. Indes könnten sie in Zusammenschau mit etwaigen zusätzlichen Indizien wie einer Gemeinschaftskasse, näheren Vorgaben für eine einheitliche Willensbildung und der Zahl der beteiligten Personen von Bedeutung sein. Insgesamt erscheint es in der konkreten Fallkonstellation letztlich als nicht generell unmöglich, die bereits vorhandenen ersten Anknüpfungstatsachen um weitere für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Gesichtspunkte zu ergänzen. …“

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