BAG zur unerlaubten grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 04.05.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2240 Aufrufe

Die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung hat bekanntlich gravierende Folgen und zwar vor allem für den Entleiher: Denn nach § 9 Nr. 1 AÜG ist der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher, also der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, aber auch der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und dem Leiharbeitnehmer unwirksam. Stattdessen fingiert § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Wie verhält es nun im Falle grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung, wenn also ein Leiharbeitnehmer aus dem Ausland unerlaubt ins Inland überlassen wird. Hier stellt sich vorab die Frage nach dem anwendbaren Recht. Eine Antwort gibt eine neuere BAG-Entscheidung, die vorab als Pressemitteilung bekannt gemacht worden ist (Urteil vom 26. April 2022 – 9 AZR 228/21 –, PM 14/22). Die noch zum AÜG a.F. ergangene Entscheidung dürfte auf das nach der AÜG-Reform 2017 geltende Recht übertragbar sein.

Der Fall lag wie folgt: Die Klägerin ist französische Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in Frankreich. Sie wurde von einer Gesellschaft, die ihren Sitz in Frankreich hat, zum 1. Oktober 2014 als Fachberaterin/Ingenieurin eingestellt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt kraft Rechtswahl französischem Recht. Vom 1. Oktober 2014 bis zum 30. April 2016 wurde die Klägerin von ihrer Arbeitgeberin, die nicht im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG aF war, im Betrieb der Beklagten in Karlsruhe als Technikerin/Beraterin eingesetzt. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin festzustellen, dass sie zur Beklagten seit dem 1. Oktober 2014 in einem Arbeitsverhältnis steht, und verlangt außerdem Differenz-, Überstunden- und Annahmeverzugsvergütung. Sie hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, zwischen den Parteien sei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF zum 1. Oktober 2014 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Sie sei der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen worden. Der Arbeitsvertrag mit ihrer Arbeitgeberin sei, obwohl für das Arbeitsverhältnis französisches Recht gelte, in Deutschland infolge der unerlaubten Überlassung nach § 9 Nr. 1 AÜG aF unwirksam. Bei der Bestimmung handele es sich um eine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 der Rom I-VO, die unabhängig von der von den Arbeitsvertragsparteien getroffenen Rechtswahl gelte.

Das BAG hält die Klage indes für unbegründet, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF seien nicht erfüllt, selbst wenn die Klägerin der Beklagten als Leiharbeitnehmerin überlassen worden sein sollte. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher kraft Gesetzes gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF setze voraus, dass der zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer geschlossene Leiharbeitsvertrag infolge einer iSv. § 1 AÜG aF unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung nach § 9 Nr. 1 AÜG aF unwirksam ist. Unterliege das Leiharbeitsverhältnis dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union, ordneten weder § 2 Nr. 4 AEntG aF noch das AÜG an, dass § 9 Nr. 1 AÜG aF gegenüber diesem Recht vorrangig gelten soll. Soweit § 2 Nr. 4 AEntG aF – in Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 96/71/EG aF – regele, dass die „Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen“ zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend anzuwenden sind, beziehe sich dies auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften des nationalen Rechts, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern regeln, sowie auf die im Inland geltenden gewerbe-, vermittlungs- und erlaubnisrechtlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmerüberlassung. § 2 Nr. 4 AEntG aF ordne nicht die Geltung von Bestimmungen an, die – wie § 9 Nr. 1 und § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF – den Bestand des Leiharbeitsverhältnisses betreffen. § 9 Nr. 1 AÜG aF sei auch keine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO. Das AÜG gewähre Leiharbeitnehmern, die von ihren Arbeitgebern aus einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union ins Inland überlassen werden, keinen Schutz, der über den hinausgeht, der durch § 2 AEntG aF gewährleistet wird. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF werde gesichert, indem § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AÜG aF die Verletzung der Erlaubnispflicht als Ordnungswidrigkeit ahnden.

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