»in writing ≠ schriftlich«

von Peter Winslow, veröffentlicht am 22.06.2023

So lautet die Überschrift eines Beitrags der »Fauxamis«-Reihe der Delaney Dallmann Legal Linguists Dolmetscher und Übersetzer Partnerschaft. Wenn man den Beitrag nachvollziehen kann – leider ist das nicht ohne weiteres möglich. The writing’s all over the place. Geführt werden wir von einer in der Überschrift genannten Ungleichheit zwischen dem Ausdruck »in writing« und dem Begriff »schriftlich« über eine gesetzliche Teilbestimmung des Begriffs »Schriftform« nach § 126 BGB und die Verwendung des englischen (englischsprachigen?) Ausdrucks »in writing« bis hin zu einer Äquivalenz zwischen diesem Ausdruck und der gesetzlichen Bestimmung des Begriffs »Textform« nach § 126b BGB. Die verzweigte Textgestaltung führt zur Orientierungslosigkeit wie bei einem Irrgarten ohne jegliches Vergnügen. Und das ist nur der Anfang des Beitrags.

Von hier gehen die Legal-Linguisten gleich zu der Anführung der »convenience«-Übersetzung des § 126 Absatz 1 BGB über und bieten Überlegungen betreffend die »convenience«-Übersetzung des Begriffs »Schriftform« mit »written form«. Sie behaupten:

Da der entsprechende Rechtsbegriff in den meisten englischsprachigen Jurisdiktionen nicht existiert, riefe die Verwendung von »the written form« im Rahmen einer Übersetzung nicht dieselben Assoziationen bei einem englischsprachigen Leser hervor, wenn der deutsche Begriff der »Schriftform« nicht erklärt bzw. wenn auf diesen nicht hingewiesen wird. [Meine Übersetzung]

Das war’s. Sie führen nichts zu einem offensichtlichen Problem mit dieser Übersetzung aus: Der deutsche Text des § 126 BGB stimmt nicht mit der »convenience«-Übersetzung des § 126 BGB überein. Während der in der Überschrift der »convenience«-Übersetzung des § 126 BGB verwendete Begriff »written form« auch im ersten, dritten und vierten Absatz der »convenience«-Übersetzung dieses Paragraphen vorkommt, kommt der in der Überschrift des deutschen Texts des § 126 BGB verwendete Begriff »Schriftform« nicht in den Absätzen des deutschen Texts dieses Paragraphen vor.

Etwas ist in der »convenience«-Übersetzung schiefgegangen. Die »convenience«-Übersetzung »written form« ist entweder eine Übersetzung des deutschen Wortlauts »schriftliche Form« aus dem ersten, dritten und vierten Absatz des deutschen Texts dieses Paragraphen oder eine Übersetzung der Überschrift »Schriftform«. So oder so wird in der »convenience«-Übersetzung eine orthographische Gleichheit zwischen Überschrift und Absätzen hergestellt, die im deutschen Text des § 126 BGB nicht vorkommt. Bei dieser Nichtübereinstimmung wird, um Begriffe etwas ungenau zwecks Veranschaulichung zu verwenden, die Beziehung zwischen dem Definiendum und dem Definiens unnötig unklar gemacht. Die »convenience«-Übersetzung ist somit weder richtig noch vollständig.

Dabei wäre die Unrichtigkeit und Unvollständigkeit der »convenience«-Übersetzung eine wichtige Information für die Leserschaft. Denn die Legal-Linguisten empfehlen, »written form« – also die »convenience«-Übersetzung des Begriffs »Schriftform« – als Übersetzung dieses deutschen Begriffs zu verwenden. Zwar empfehlen sie, dieser Übersetzung eine Anm. d. Übers. hinzuzufügen unter Angabe des Zusatzes »as stipulated in section 126 of the German Civil Code«, aber die paradoxe Empfehlung, eine unrichtige Übersetzung zu verwenden, bedarf der Erläuterung. Die Auslassung dieser Information und die Auslassung dieser Erläuterung sind aber nicht die einzigen Mängeln an den Ausführungen der Legal-Linguisten.

Ihre Ausführungen sind auch unbestimmt und unbegründet. Was verstehen sie unter der Metapher »dieselben Assoziationen«? Wenn man etwas durch eine Metapher beschreiben kann, muss man auch imstande sein, auf die Metapher zu verzichten und das Etwas ohne die Metapher zu beschreiben (vergleiche die Ausführungen des Ludwig Wittgensteins zu Gleichnissen in seinem »Vortrag über Ethik«). Das tun die Legal-Linguisten aber nicht. Meinen sie, dass den meisten englischsprachigen Jurisdiktionen kein Rechtsbegriff entsprechend der deutschen Schriftform bekannt sei? Dass daher keine Analogie möglich sei? Meinen sie, dass den meisten englischsprachigen Jurisdiktionen kein Rechtsbegriff bekannt sei, der etwa den Umstand wiedergibt, dass »die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden« muss? Und welchen Nachweis haben die Legal-Linguisten dafür, dass »den meisten englischsprachigen Jurisdiktionen« dieser Rechtsbegriff unbekannt sei? Welche Jurisdiktionen bilden die Mehrheit? Welche die Minderheit? Wie lautet dieser Begriff bei der Minderheit dieser englischsprachigen Jurisdiktionen? Und wieso eignet sich der durch die Minderheit dieser Jurisdiktionen verwendete Begriff nicht als verständliche oder gar allgemeine Übersetzung von »Schriftform«? Die Leserschaft bekommt keine Antworten auf diese Fragen. Also darf man den Legal-Linguisten so viel Glauben schenken wie sie uns Bestimmtheit und Nachweise.

Das ist auch schade. Denn Frau Christin Dallmann – das ist die Frau »Dallmann« in der Firma »Delaney Dallmann Legal Linguists Dolmetscher und Übersetzer Partnerschaft« – kommentierte meinen Beitrag aus dem Jahr 2022 zur englischen Übersetzung des Begriffs »Schriftform«. Ich war damals und bin heute noch der Ansicht, dass der Rechtsbegriff »signed writing« eine stichhaltig annähernde Übersetzung des Begriffs »Schriftform« ist. Frau Dallmann war damals und scheint heute noch anderer Ansicht zu sein. Dieser Beitrag wäre ein passender Anlass gewesen, nicht nur ihre Ansicht klarzustellen und zu verteidigen, sondern auch auf meine Antwort auf ihren Kommentar zu antworten – eine Antwort, die bis heute ausbleibt. Dies gilt umso mehr angesichts des Umstands, dass der Beitrag einem Vorschlag von mir zustimmt. Letztes Jahr war Frau Dallmann nämlich der Ansicht, dass »[…] ›written form as per Sec. 126 of the German Civil Code‹ […] daher die exakteste Übersetzung für die deutsche Schriftform« sei. Dieses Jahr steht im Beitrag ihrer Partnerschaft, dass der Zusatz »as stipulated in section 126 of the German Civil Code« nicht als Teil der Übersetzung des Begriffs »Schriftform«, sondern als Anm. d. Übers. (»a translator’s note«) in die Übersetzung einzufügen ist, wie ich Frau Dallmann am Ende meiner Antwort auf ihren Kommentar ans Herz gelegt habe.

Das ist auch schade. Denn als Barrister hätte Herr Richard Delaney – das ist der Herr »Delaney« in der Firma – die Unterschiede zwischen dem englischen Rechtsbegriff »signed writing« als ernsthaftem Annäherungskandidaten und dem deutschen Rechtsbegriff »Schriftform« in aller Ausführlichkeit erläutern können. Er hätte eine Abwägung der Unterschiede und Ähnlichkeiten bieten können, die gegen die Übersetzung von »Schriftform« mit »signed writing« und für die Übersetzung mit »written form« spricht.

Aber was hat das alles mit der Überschrift »in writing ≠ schriftlich« zu tun? Das ist eine gute Frage. Das hätte ich auch gern gewusst. Soweit ersichtlich, gelte diese Überschrift für die Übersetzung des Ausdrucks »in writing« ins Deutsche. Soweit ersichtlich, sollte »in writing« deswegen nicht mit »schriftlich« übersetzt werden, weil es gute Gründe gibt, die gegen diese Übersetzung sprechen. Ich scherze. Laut den Legal-Linguisten solle »in writing« deswegen nicht mit »schriftlich« übersetzt werden, weil »schriftlich« als ambig betrachtet werden könne, da dies »häufig von Rechtsanwälten als ›Schriftform‹ ausgelegt« werde [meine Übersetzung]. Das ist kein Scherz. Wörtlich steht:

Even if one uses the more generic term “schriftlich”, that too can be seen to be ambiguous in German, as it is frequently construed by lawyers to mean “Schriftform”.

Auch wenn man den allgemeineren Begriff »schriftlich« verwendet, kann dieser im Englischen wie im Deutschen als unklar betrachtet werden, da er hier von Legal-Linguisten mit Steigerungsgrad ohne Steigerung verwendet wird. Hinzu kommt eine Ironie; diese Behauptung leidet unter einer Ambiguität. Denn: Unklar ist, ob die Legal-Linguisten meinen, dass eine Bedeutungspluralität mit Ambiguität gleichbedeutend oder aber dass die angebliche Ambiguität auf die anwaltliche Auslegungspraxis zurückzuführen sei.

Nehmen wir also an, eine Bedeutungspluralität sei mit Ambiguität gleichbedeutend; dementsprechend wäre »schriftlich« deswegen ambig, weil es zwei unterschiedliche Bedeutungen habe, nämlich: (1) »durch Aufschreiben, Niederschreiben festgehalten«, wie etwa beim Duden definiert, und (2) »Schriftform«, wie die Legal-Linguisten behaupten. Auch wenn dies zuträfe, folgte nicht, dass »schriftlich« auch nur fallweise eine Ambiguität aufwiese.

Wer zu Schaden kommt, hat nicht in allen Fällen einen rechtlichen Anspruch gegen eine andere Person. Auf einer Bank kann man im Park sitzen. Eine Bank kann auch ihren Sitz in der Stadt haben. Eine Maus ist ein Nagetier und ein Zeigegerät und ein Kind. Ein Schwein ist ein Tier und ein Lump. Eine Bedeutungspluralität hat nicht ohne Weiteres eine Ambiguität zur Folge. Wenn man einen Vertrag mit einem Kammerjäger über die Bekämpfung von Mäusen abgeschlossen hat, so besteht die Vertragserfüllung nicht in der Bekämpfung von Zeigegeräten – oder von Kindern, soweit der Kammerjäger nicht der Rattenfänger von Hameln ist. »Maus« hat zwar mehrere Bedeutungen, aber die relevante Bedeutung geht klar aus dem Zusammenhang hervor. Das Bestehen einer Ambiguität setzt nämlich mehr als das Vorliegen mehrerer Bedeutungen eines Begriffs, einer Phrase etc. voraus. Das Bestehen einer Ambiguität setzt das Vorliegen eines Zusammenhangs voraus, in dem die mehreren Bedeutungen eines Begriffs, einer Phrase etc. gleichzeitig zum Tragen kommen (könnten).

Also fragen wir: Kommen die beiden angeblichen Bedeutungen des Begriffs »schriftlich« im Rahmen der Übersetzung von »in writing« gleichzeitig zum Tragen? Unsere Antwort? Es kommt darauf an. Auch wenn die Legal-Linguisten keine Worte zu dem Zusammenhang verschwenden, ja nicht einmal ein Wort zu einem Zusammenhang verschwenden, für den die in der Überschrift genannte Ungleichheit zwischen »in writing« und »schriftlich« gälte, könnte man sich einen Zusammenhang denken, in dem die Übersetzung des Ausdrucks »in writing« mit dem Begriff »schriftlich« zur Ambiguität führte – etwa aufgrund schlechter Vertragsgestaltung oder unglücklicher Umstände oder unklarer Beschreibungen außervertraglicher Verhältnisse und so weiter. Ich kann’s nicht gerade, aber man könnte’s. Warum nicht?

Dieses Können führt aber nicht zu der pauschalen Behauptung, dass sich »in writing« nicht mit »schriftlich« übersetzen ließe. Vielmehr führt dieses Können zu einer Kenntnis, die jeder und jedem schon bewusst ist, nämlich: dass man bei der Wortwahl Vorsicht walten lassen muss – sei es im Rahmen einer Übersetzung, sei es im Rahmen der Vertragsgestaltung. —Ich will sagen: »Schriftlich« ist eine gute und einfache Übersetzung von »in writing«, soweit diese Übersetzung nicht im Einzelfall zu einem Auslegungsproblem wie Ambiguität führt. Aber wie gesagt: Das weißt man schon; das gilt in unterschiedlichem Maße für jede Übersetzung.

Und wie verhält es sich bei der zweiten Möglichkeit, dass die Ambiguität auf die anwaltliche Auslegungspraxis zurückzuführen sei? Wenn »schriftlich« in tatsächlicher Hinsicht häufig von Rechtsanwält:innen als »Schriftform« ausgelegt werde, so wäre »schriftlich« nicht »ambig«. Der anwaltliche Umgang mit dem Begriff »schriftlich« wäre zumindest problematisch – die Behauptung unbestimmt. Sollte man wirklich glauben, dass Rechtsanwält:innen »häufig« unterschiedliche Begriffe nicht auseinanderhalten (können)? Und wie hat man hier »häufig« zu verstehen? Etwa in welchen Abständen? Wo ein Umgang vorliegt, liegt ein Verhalten vor. Wo ein Verhalten vorliegt, liegt eine Tatsache vor. Wo eine Tatsache vorliegt, liegt eine Beweislast vor. Die Behauptung, dass »schriftlich« häufig von Rechtsanwält:innen als »Schriftform« ausgelegt werde, ist eine Tatsachenbehauptung, die des empirischen Beweises bedarf und für die die Beweislast bei den Legal-Linguisten liegt. Ich für meinen Teil finde diese Tatsachenbehauptung schwierig und bestreite sie mit Nichtwissen.

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