Der krankgeschriebene Chefarzt - Beweiswert einer AU-Bescheinigung

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 27.08.2023
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtWeitere ThemenMedizinrecht|2366 Aufrufe

Ein Arzt im Krankenstand fährt zu Beginn seiner Erkrankung rund zehn Stunden mit der Bahn zum Familienwohnsitz. Das mache die AU-Bescheinigung des als Chefarzt beschäftigten Arbeitnehmers nicht unrichtig, urteilte das LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.07.2023 – 5 Sa 1/23.

Der Fall

Der angestellte Chefarzt und Facharzt für Orthopädie stritt mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, einer Reha-Klinik in Stralsund, über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Reha-Klinik hatte seine Krankschreibung bis zum Antritt seines Resturlaubs vor einem Jobwechsel vor allem wegen seiner Heimfahrt angezweifelt und sein Gehalt einbehalten.

Die Rostocker Richter:innen hielten das Vorgehen der Klinik nicht für korrekt. Sie bestätigten den Anspruch des Chefarztes auf Zahlung des zuvor einbehaltenen Lohnes (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG).

Bei einem Vergleich zwischen der zehnstündigen Bahnfahrt in der ersten Klasse mit dem Arbeitsalltag eines Chefarztes sei die Belastung im Zug für den Arzt nicht annähernd so hoch wie in der Klinik, argumentierten die Richter:innen.

Ausdrücklich führt das Gericht aus:

Im Zug besteht die Möglichkeit, eine entspannte Körperhaltung einzunehmen und sich bei Bedarf etwas zu bewegen. Als Chefarzt war der Kläger hingegen während des gesamten Arbeitstages durch seine Leitungstätigkeit, durch Mitarbeiter, Patienten, medizinische und wirtschaftliche Fachfragen etc. gefordert. Die Tätigkeit bedingt ein hohes Maß an Konzentration und Reaktionsvermögen sowie Flexibilität.

Wann ist der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert?

Nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers müssen belastbare Tatsachen vorhanden sein, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen. Das ist in der Regel der Fall, wenn ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Kündigung eine AU-Bescheinigung einreicht, die die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt (so entschieden: BAG, Urteil vom 8.09.2021 – 5 AZR 149/21).

Fazit

Krankheiten können auch in einem gekündigten oder einem aus anderen Gründen endenden Arbeitsverhältnis auftreten. In der Ablösungsphase mag zwar die Motivation eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin nachlassen. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass jede Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in diesem Zeitraum makelbehaftet ist.

 

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