EGMR: Kein Streikrecht für Beamte

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 18.12.2023

Das Streikverbot für Beamte, das als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums aus Art. 33 Abs. 5 GG resultiert, verstößt nicht die Gewährleistungen der EMRK. Das hat der EGMR am vergangenen Donnerstag (14.12.2023) entschieden.

Damit hat ein langer Rechtsstreit sein endgültiges Ende gefunden, der maßgeblich von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) getragen worden war. Drei verbeamtete Lehrerinnen und ein verbeamteter Lehrer hatten sich während eines Arbeitskampfes im öffentlichen Dienst an Streikmaßnahmen ihrer angestellten Kolleginnen und Kollegen beteiligt. Daraufhin waren Disziplinarmaßnahmen gegen sie verhängt worden, die das BVerwG letztinstanzlich auf ein sehr geringes Maß reduzierte (100 Euro für jede Verletzung der Dienstpflicht, siehe BVerwG, Urt. vom 27.2.2014 - 2 C 1/13, BVerwGE 149, 117 Rn. 74 = NVwZ 2014, 736). Die Verfassungsbeschwerden wurden 2018 vom BVerfG zurückgewiesen (Urt. vom 12.6.2018 - 2 BvR 1738/12 u.a., BVerfGE 148, 296 = NJW 2018, 2695). Angesichts der bereits hier absehbaren Menschenrechtsbeschwerde hat sich das BVerfG sehr ausführlich nicht nur zum innerstaatlichen Verfassungsrecht (Art. 33 Abs. 5 GG), sondern auch zum konventionsrechtlich gewährleisteten Koalitionsrecht (Art. 11 EMRK) geäußert:

2. a) Das Streikverbot für Beamte stellt einen eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 V GG dar. Es erfüllt die für eine Qualifikation als hergebrachter Grundsatz notwendigen Voraussetzungen der Traditionalität und Substanzialität.

b) Das Streikverbot für Beamte ist als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber zu beachten. Es weist eine enge Verbindung auf mit dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, der Treuepflicht, dem Lebenszeitprinzip sowie dem Grundsatz der Regelung des beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisses einschließlich der Besoldung durch den Gesetzgeber. …

4. Das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in Deutschland steht mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang und ist insbesondere mit den Gewährleistungen der EMRK vereinbar. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR lässt sich eine Kollisionslage zwischen dem deutschen Recht und Art. 11 EMRK nicht feststellen.

Gegen dieses Urteil haben die vier Lehrkräfte Menschenrechtsbeschwerde beim EGMR in Straßburg erhoben. Sie machten geltend, das Streikverbot für deutsche Beamte verstoße gegen die in Art. 11 Abs. 1 EMRK gewährleistete Koalitionsfreiheit. Am 1.3.2023 hat die Große Kammer des EGMR mündlich verhandelt (Video dazu hier).

Mit Urteil vom 14.12.2023 hat der Gerichtshof die Menschenrechtsbeschwerde nun zurückgewiesen. Das Streikverbot sei durch Art. 11 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Die Beschwerdeführer hätten das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen hinsichtlich Besoldung und Versorgung der Beamten stellten sicher, dass diese den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes insgesamt vergleichbar behandelt würden. Die Disziplinarmaßnahmen gegen sie seien nicht unverhältnismäßig gewesen. Es stehe den Lehrkräften im Übrigen frei, auf die Verbeamtung zu verzichten und ihren Beruf als Angestellte auszuüben. Die Entscheidung erging mit 16:1 Stimmen. Die erstmals im Verfahren vor dem EGMR behauptete Verletzung des Diskriminierungsverbots (Art. 14 EMRK) erwies sich wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs - insoweit einstimmig - als unzulässig.

Par ces motifs, la cour,

1. Déclare, à l’unanimité, les requêtes recevables quant au grief fondé sur l’article 11 de la Convention et irrecevable pour le surplus;

2. Dit, par seize voix contre une, qu’il n’y a pas eu violation de l’article 11 de la Convention.

EGMR, Urt. vom 14.12.2023 - 59433/18 et al., - Humpert et al.

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