Ehemaliger Lehrer wegen Volksverhetzung zu Geldstrafe verurteilt

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 06.01.2024
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|15519 Aufrufe

An dieser Stelle hatten wir vor einiger Zeit (zuletzt am 16.5.2023) über den Fall eines Berliner Lehrers berichtet, dem das Land Berlin im August 2021 mit der Begründung gekündigt, er habe die Impfpolitik mit dem Naziregime gleichgesetzt, den Nationalsozialismus verharmlost und dessen Opfer missachtet. Dagegen zog der damalige Berufsschullehrer vor das Arbeitsgericht. In der zweiten Instanz wurde ihm eine Abfindung in Höhe von 72.000 Euro zugesprochen. Das Arbeitsverhältnis wurde allerdings auf Antrag des Landes aufgehoben. Eine Fortsetzung sei dem Land nicht mehr zumutbar, entschied das LAG Berlin-Brandenburg.

Nun wird gemeldet (DPA, Zeit-Online etc.), dass der ehemalige Lehrer wegen Volksverhetzung in zwei Fällen vom AG Tiergarten (Urteil vom 4.1.2024) zu einer Geldstrafe von 3000 Euro verurteilt worden ist. Der 62-Jährige, der damals an einer Berufsschule unterrichtete, habe den Holocaust verharmlost, befand das Amtsgericht. Der Angeklagte hatte im Sommer 2021 über eine Online-Plattform ein Video veröffentlicht, in dem das Tor eines Konzentrationslagers gezeigt wurde. Dabei war durch Bildbearbeitung der Text «Impfen macht frei» eingefügt worden. Zudem habe er laut Anklage in einem weiteren Video die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung mit dem Holocaust verglichen. Dabei habe es sich um "geistige Brandbeschleunigung" gehandelt.

Historisches Unrecht und die Corona-Maßnahmen gleichzusetzen, „ist ein Verharmlosen, eine andere Deutung ist fernliegend“, zitierte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung aus einer früheren Entscheidung des Berliner Kammergerichts. Sie gehe davon aus, dass auch der Fall des Lehrers bis vor das Kammergericht gehen werde, so die Richterin. Das Amtsgericht entschied auf eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 25 Euro (3000 Euro).

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     Dass der Angeklagte den Holocaust in äußerst geschmackloser und abwegiger Weise verharmlost, trifft zu. Muss es ihm dennoch nicht gerade auf die Verharmlosung ankommen? Diese erscheint -vermutlich- eher als „Nebenfolge“ denn Absicht. Letztere dürfte auf ein Aufzeigen einer von ihm als extrem und willkürlich empfundenen staatlichen Gängelung durch die Corona-Maßnahmen gerichtet sein. Auch mag die Verharmlosung des Holocausts Mittel dafür gewesen sein. Das individuelle Recht auf Meinungsfreiheit kennt aber grundsätzlich keine Pflicht für seinen Träger, zu prüfen, ob sich ein Mittel für den bestimmten Zweck (Absicht) als erforderlich bzw. angemessen erweist. 

     Das gleiche Problem dürfte auch bei den sogenannten „Gelbsternträgern“ auftreten, die ebenso geschmacklos ihre persönlichen Beeinträchtigungen mit der Judenverfolgung durch die Nazis in abwegiger Weise gleichsetzen. Nur: was wäre, wenn man sich den „gelben Stern“ anheftete, um gegen Judenfeindlichkeit und die vielen, auch körperlichen Angriffe hierzulande gegen Juden zu demonstrieren? Dann dürfte das Tragen von der Meinungsfreiheit relativ unproblematisch gedeckt sein, obwohl darin ja wohl zumindest im Ergebnis auch eine Verharmlosung des Holocausts zu sehen wäre -- wie im Grunde genommen doch auch in dem Ausspruch: „Nie wieder ist jetzt!“, mit dem aktuell zu Recht gegen Antisemitismus demonstriert wird.

     Jedenfalls dürfte "eine Vermutung zu Gunsten der Freiheit der Rede" sprechen (s. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995, Az. 1 BvR 1476/91, Rn. 123). "Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist allerdings, daß ihr Sinn zutreffend erfaßt worden ist. Fehlt es bei der Verurteilung wegen eines Äußerungsdelikts daran, so kann das im Ergebnis zur Unterdrückung einer zulässigen Äußerung führen" (ebd., Rn. 124). "Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 82, 43 <52>)" (ebd., Rn. 125).

     Dass das Urteil des Amtsgerichts das Grundrecht auf Meinungsfreiheit des Angeklagten nicht verletzt, erscheint zweifelhaft, wenn eine zielgerichtete Verharmlosung der Shoa nicht vorliegt.

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