Konkurrenzen: Gurtverstoß, Haltegebotsverstoß und Verstoß gegen die Pflicht, einem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen - wohl eher Tateinheit

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.02.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1031 Aufrufe

Ein Polizeieinsatz: Der Betroffene ignorierte das - auch anhalten wollte er nicht, erst recht nicht einen Sicherheitsgurt anlegen. Das ist der Stoff, aus dem OWi-Entscheidungen gemacht sind. Das OLG musste sich vor allem mit den Konkurrenzen befassen. Das AG hatte nämlich wegen vorsätzlichen Unterlassens, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu verschaffen in Tatmehrheit mit Nichtbefolgens eines Zeichens eines Polizeibeamten (Haltegebot) in Tatmehrheit mit einem Verstoß gegen die Pflicht zur Anlegung des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes während der Fahrt verurteilt. Das OLG sah auch eine Tateinheit, möglicherweise auch durch ein verklammerndes Dauerdelikt, als realistische Möglichkeit....

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

 1) Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 28.11.2021 gegen 11:40 Uhr die L… zwischen … und … als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen …, ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben.

 Die Polizeibeamten PK F. und PK G. gaben ihm mehrere Anhaltezeichen und schalteten auch das blaue Blinklicht und das Einsatzhorn ein, was der Betroffene zwar bemerkte, aber ignorierte. Er fuhr einfach weiter, wobei ein Überholen für die Beamten aufgrund des Streckenverlaufs zunächst nicht möglich war. Erst nachdem die Beamten das Fahrzeug überholt und ausgebremst hatten, hielt der Betroffene an.

 2) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen tatmehrheitlich begangener Verstöße gegen die §§ 21a Abs. 1, 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 2, 49 Abs. 1, Abs. 3 StVO nicht.

 a) Zutreffend geht das Gericht zunächst davon aus, dass Verkehrsteilnehmer ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Verwendung der Einsatzmittel freie Bahn zu schaffen haben; denn in der konkreten Verkehrssituation ist kein Verkehrsteilnehmer in der Lage, die Frage der Rechtmäßigkeit zu beurteilen, so dass er ohne Prüfung der Sachlage sofort und unbedingt freie Bahn zu gewähren hat (OLG Köln, Beschluss vom 13. Januar 1984 – 1 Ss 905/83 –, juris). Zutreffend geht das Gericht weiter davon aus, dass außer einem Verstoß gegen die §§ 38 Abs. 1 Satz 2, 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO auch eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 36 Abs. 5, 49 Abs. 3 Nr.1 StVO in Betracht kommt; denn nach den Feststellungen liegt es nahe, dass die Polizeibeamten den Betroffenen anhalten und einer Verkehrskontrolle hinsichtlich des nicht beendeten Gurtverstoßes unterziehen wollten, so dass sich die Betätigung des Blaulichtes und des Einsatzhorns auch als eine Weisung der Zeugen an den Betroffenen zum Anhalten darstellen kann (OLG Köln a.a.O.; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann, 27. Aufl. 2022, StVO § 36 Rn. 12 m.w.N.; BeckOK StVR/Ritter, 20. Ed. 15.7.2023, StVO § 36 Rn. 20a m.w.N.).

 b) Das Amtsgericht hat im rechtlichen Ausgangspunkt weiter zwar richtig erkannt, dass es an die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses im Bußgeldbescheid nicht gebunden ist, sondern dieses eigenständig zu bewerten hat. Die insoweit lückenhaften Feststellungen ermöglichen dem Senat jedoch nicht die Prüfung, ob das Amtsgericht zu Recht von einer tatmehrheitlichen Begehungsweise ausgegangen ist. Durch eine rechtsfehlerhafte Verneinung einer natürlichen Handlungseinheit kann der Betroffenen hier beschwert sein. Dies hätte zur Folge, dass nach § 19 Abs. 1 OWiG hinsichtlich des gesamten, dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Verkehrsgeschehens nur auf eine einzige Geldbuße zu erkennen gewesen wäre.

 In der Regel wird es sich in Fällen, in denen der Fahrzeugführer während einer Fahrt nacheinander wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstößt, bei den einzelnen Verkehrsverstößen um jeweils selbstständige Handlungen handeln, und zwar selbst dann, wenn die Verkehrsordnungswidrigkeiten gleichartig sind (vgl. BeckOK OWiG/Sackreuther, 40. Ed. 01.10.2023, OWiG § 19 Rn. 11 m.w.N.). Eine einzige Tat im Sinne einer sog. natürlichen Handlungseinheit kann dann vorliegen, wenn die einzelnen Verkehrsverstöße einen derart engen zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang aufweisen, dass sich der gesamte Lebenssachverhalt bei natürlicher Betrachtung auch für einen unbeteiligten Dritten als ein zusammengehöriges Geschehen darstellt, dessen getrennte Betrachtung eine unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Verkehrsvorgangs darstellen würde (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 20.02.2003 – 1 Ss 23/03, juris Rn. 6). Ein wichtiges Kriterium für die Annahme eines solchermaßen einheitlichen Tatgeschehens sind dabei der zeitliche und örtliche Abstand zwischen den einzelnen Handlungen sowie die Frage, ob die Verkehrsverstöße in subjektiver Hinsicht auf der gleichen Willensbildung des Betroffenen beruhen (Gübner in Burhof, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Rn. 2754 m.w.N.).

 Werden während eines (auch durch Unterlassen verwirklichten) Dauerdeliktes weitere Tatbestände verwirklicht, kann ebenfalls eine natürliche Handlungseinheit gegeben sein. Auch hier ist erforderlich, dass zwischen den Tatbeständen ein innerer Beziehungs- oder Bedingungszusammenhang besteht (Senat, Beschluss vom 8. August 2001 – 1 Ss 182/01 –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Februar 2010 – 2 SsBs 82/09 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Dezember 2006 – 4 Ss 596/06 –, juris; OLG Rostock, Entscheidung vom 27. August 2004 – 2 Ss (OWi) 19/03 I 37/03 –, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 24. November 2004 – 1 Ss 259/04 –, juris). Zur Abgrenzung gegenüber möglicherweise „nur gleichzeitigen“, „nur gelegentlich“ einer Dauertat begangenen Verstößen, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung gefordert, dass Identität in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen in der konkreten Form notwendigen Teil vorliegen muss, dass das Dauerdelikt selbst einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zu dem jeweiligen anderen Verstoß bildet (vgl. (vgl. OLG Rostock a.a.O. Rn. 8 unter Verweis auf BGH VRS 52, 129 = BGHSt 27, 66 = NJW 1977, 442; BGH NStZ 1981, 401 m.w.N.). Die h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, bejaht bei einem Verstoß gegen die Gurtpflicht und einem zugleich begangenen Verstoß im Straßenverkehr Tateinheit, wenn das Führen des Kraftfahrzeuges notwendigerweise zugleich die Ausführungshandlung des weiteren Verkehrsverstoßes darstellt. Dies ist hier der Fall. Der Verstoß gegen die §§ 36 Abs. 1 und 38 Abs. 1 Satz 2 StVO ist vorliegend ohne das (Weiter-)Führen des Kraftfahrzeuges nicht möglich. Es liegt damit Teilidentität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen vor, die nach allgemeiner Meinung zur Annahme von Tateinheit führt (vgl. BGH, a.a.O., m.w. N.; OLG Rostock, a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.).

 c) Gemessen an diesen Grundsätzen tragen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen die rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses nicht. Die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen legen zwar nahe, dass alle Verstöße in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang begangen wurden. Konkrete Feststellungen zur zeitlichen und räumlichen Verortung der von ihm abgeurteilten Verkehrsverstöße fehlen indes. Die weiteren getroffenen Feststellungen, der Betroffene sei trotz mehrerer Anhaltezeichen und eingeschaltetem Blinklicht und Einsatzhorn weitergefahren, obwohl er dies bemerkt hatte, legt die Annahme nahe, dass dem gesamten Fahrverhalten ein einheitlicher Willensentschluss zugrunde gelegen hat. Dieser Umstand stellt ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass dem gesamten vom Bußgeldbescheid erfassten Fahrverhalten ein einheitlicher, die festgestellten Handlungen verbindender Willensentschluss des Betroffenen, sich der Anhalteanordnung der Polizei bzw. deren Verkehrskontrolle hinsichtlich des nicht beendeten Gurtverstoßes (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann, a.a.O.) zu widersetzen, zugrunde lag.

 3) Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass der Tatrichter weitere Feststellungen treffen kann, welche die Annahme mehrerer Taten im materiell-rechtlichen Sinne begründen.

 4) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass sowohl im Fall des § 36 StVO als auch in demjenigen des § 38 StVO der Betroffene als Adressat der von den Zeugen mittels der Einsatzmittel erteilten Aufforderung in Betracht kommt, dass diese Aufforderung aber im Rahmen des § 36 Abs. 5 StVO die Weisung zum Anhalten beinhaltet, während sie im Falle des § 38 StVO nur dahin geht, dem Wegerechtsfahrzeug freie Bahn zu verschaffen. Die Weisung zum Anhalten nach § 36 Abs. 5 StVO setzt weiterhin die Absicht des Polizeibeamten voraus, den Angewiesenen einer Verkehrskontrolle zu unterziehen. Die Aufforderung nach § 38 StVO muss den Zweck, Maßnahmen gegen den aufgeforderten Verkehrsteilnehmer möglich zu machen, nicht verfolgen. Die Aufforderung, freie Bahn zu schaffen, kann vielmehr auch ergehen, wenn sich der Einsatz des Wegerechtsfahrzeugs gegen Dritte richtet (OLG Köln a.a.O.).

 Nach alledem wird das Amtsgericht in der neuen Hauptverhandlung klären müssen, welche Absicht die Polizeibeamten verfolgt haben, als sie das Einsatzhorn und das Blaulicht betätigten. Dabei kommt insbesondere in Betracht, dass die Zeugen den Betroffenen von vornherein mit den Einsatzmitteln zum Anhalten anweisen wollten oder, dass sie von dem Betroffenen zunächst freie Bahn fordern wollten, um die Möglichkeit zu erhalten, an ihm vorbeizufahren und ihn sodann zum Anhalten aufzufordern. Das Amtsgericht wird ferner feststellen müssen, wie der Betroffene die Einsatzmittel unter den zur Tatzeit herrschenden Umständen hat verstehen müssen.

 Sollte das Amtsgericht wieder zu dem Ergebnis gelangen, dass die Taten bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinander stehen, wird zu prüfen sein, ob der Gurtverstoß die Delikte zur Tateinheit verklammert (ablehnend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. März 1986 – 2 Ss (OWi) 531/85 – 215/85 III –, juris m.w.N.; KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 19 Rn. 40 m.w.N.; BeckOK OWiG/Sackreuther, 40. Ed. 1.10.2023, OWiG § 19 Rn. 27).

OLG Zweibrücken Beschl. v. 14.11.2023 – 1 ORbs 2 SsBs 29/23, BeckRS 2023, 39027

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