Reiten und der gerichtliche Sachverstand - oder: ich brauche kein Gutachten, ich kann das selbst

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 10.04.2024

Sowohl in der bau- als auch in der mietrechtlichen Rechtsprechung findet sich vermehrt die Tendenz der Tatgerichte, auf die Einholung von Sachverständigengutachten verzichten zu wollen. Insbesondere der XII. Zivilsenat des BGH beanstandet dies immer wieder zu Recht - aber auch das OLG Celle "erwischte" nun ein Landgericht dabei, wie es aufgrund angeblich eigener Sachkunde der Tatrichterin auf ein Sachverständigengutachten verzichten wollte.

So meinte eine Kammervorsitzende am LG Hannover, einen Streit über den Bau einer Reitanlage aufgrund eigener Sachkunde entscheiden zu können - denn sie reite seit 41 Jahren. Unzureichende Reitsandqualität und die unterlassene Absenkung eines Gullydeckels - all das meinte die Vorsitzende, selbst entscheiden zu können; und sogar abweichend vom bereits eingeholten Sachverständigengutachten. Selbst in der Pressemitteilung - mit Foto der Vorsitzenden ! - wurde die besondere Sachkunde der Reiterin und Richterin hervorgehoben (LG Hannover, 17 O 120/21, Urt. v. 4.5.2023).

Das OLG Celle hob diese Entscheidung zu Recht auf : die Sachkunde der Richterin für den Reitplatzbau sei in keiner Weise dargelegt. Es gehe nicht um die möglicherweise vorhandene Sachkunde des Reitens auf Pferden, sondern um die technischen Fragen den Reitplatzbau betreffend (Urt. 6.3.2024, 14 U 81/23).

Will ein Tatgericht aufgrund eigener Sachkunde entscheiden und kein Sachverständigengutachten einholen, so muss es dies Sachkunde ausführlich darlegen und den Parteien vor der Urteilsverkündung dazu Gelegenheit zur Stellungnahme geben; dies entspricht der Linie der BGH-Senate. Nur in krassen Ausnahmefällen kann von einer solchen Sachkunde ausgegangen werden.

Besonders pikant an dieser Entscheidung ist, dass es vor wenigen Jahren das OLG Celle (Urt. v. 27.5.2021, 5 U 123/20) war, das zu Schäden an einer Tennishalle Folgendes ausführte: "Den Tennissport betreibt zwar keines der erkennenden Senatsmitglieder aktiv. Jedenfalls ein Senatsmitglied sieht sich aber – und das seit ca. Mitte der 1980er Jahre – regelmäßig im Fernsehen übertragene Tennisspiele an. Nach dieser Maßgabe ist dem Senat bekannt, dass auch Tennisspieler sich – selbstverständlich – nicht lediglich innerhalb der Begrenzungslinien des Tenniscourts bewegen, sondern auch – teilweise viele Meter – außerhalb dieser Linien, um vom Gegner geschlagene Bälle noch erreichen und retournieren zu können.“

Mehrere Mitglieder des 5. Zivilsenats des OLG brüsteten sich - da aktive Tischtennisspieler - damit, dass sie mithin auch im Tennissport und beim Ausholen mit dem Schläger entsprechende Erfahrungen hatten. Nun gut - diese Entscheidung des OLG Celle wurde vom XII. Zivilsenat des BGH schon aus anderen Gründen aufgehoben (BGH Urt. v. 2.2.2022, XII ZR 46/21)

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