AG Berlin-Tiergarten großzügig mit E-Scooter-Trunkenheitsfahrer

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.07.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1069 Aufrufe

Ich bin ja auch Befürworter einer die Einzelfallumstände einer Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter berücksichtigenden Beurteilung. M.E ist jedenfalls bei folgenlosen Trunkenheitsfahrten zur Nachtzeit bei einer nicht allzu hohen BAK und nicht allzu langer Strecke die Indizwirkung der Regelfahrerlaubnisentziehung in § 69 Abs. 2 StGB erschüttert. Ob das im Falle der Trinkenheitsfahrt am Tempelhofer Damm gg. 22.27 Uhr mit Schlangenlinien bei 2,02 Promille richtig ist, weiß ich auch nicht so genau. Nach sieben Monaten und Nachweis der Abstinenz fand das AG Tiergarten: Ungeeignetheit steht nicht mehr fest - ein 4-Monate-Fahrverbot reicht auch aus! Vertretbar, wie ich meine.

 

Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 (dreißig) Tagessätzen zu je 30,00 (dreißig) Euro verurteilt.

 Dem Angeklagten wird für die Dauer von 4 (vier) Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

 Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.

 Gründe: 

 abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO

 I.

 Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 30-jährige Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger, ledig und Vater von zwei Kindern (zehn und fünf Jahre alt), die bei der Kindesmutter leben. Er lebt in einer festen Beziehung und erwartet mit seiner Partnerin ein gemeinsames Kind. Der Angeklagte arbeitet als angestellter Trockenbauer und erzielt aus seiner beruflichen Tätigkeit ein monatliches Einkommen von ca. 2.000,00 EUR netto. Er zahlt ca. 700,00 EUR Unterhalt für seine beiden Töchter, die außerdem jedes 2. Wochenende bei ihm wohnen.

 Der Angeklagte ist im Besitz einer Fahrerlaubnis. Der den Angeklagten betreffende Bundeszentralregisterauszug vom 19. März 2024 sowie der Fahreignungsregisterauszug vom 22. September 2023 enthalten jeweils keine Eintragungen.

 II.

 Nachdem der Angeklagte soviel Alkohol konsumiert hatte, dass die ihm am 19. September 2023 um 22:27 Uhr entnommene Blutprobe 2,02 Promille Alkohol enthielt, befuhr er am selben Tag gegen 21.08 Uhr mit dem Elektrokleinstfahrzeug mit dem Versicherungskennzeichen 104 MLB den Tempelhofer Damm in 12101 Berlin. Der Blutalkoholwert zur Tatzeit lag ebenfalls bei 2,02 Promille.

 Infolge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit fuhr der Angeklagte nicht in gerader Fahrlinie, sondern in Schlangenlinien. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können und müssen, dass er infolge des Alkoholgenusses fahruntüchtig war.

 Seit dem Tattag konsumiert der Angeklagte nach eigenen Angaben keinen Alkohol mehr.

 III.

 Der Angeklagte hat sich danach wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 und 2 StGB schuldig gemacht.

 IV.

 Bei der Strafzumessung ist das Gericht vom gesetzlichen Rahmen des § 316 Abs. 1 und 2 StGB ausgegangen, welcher Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorsieht. Innerhalb des so ermittelten Strafrahmens war bei der konkreten. Strafzumessung gemäß § 46 StGB zugunsten des Angeklagten zu werten, dass er sich hinsichtlich seines Fehlverhaltens einsichtig und reuig zeigte und seit dem Tattag – nachgewiesen durch Laboruntersuchungen – keinen Alkohol mehr konsumiert. Das zum Tatzeitpunkt geführte Kraftfahrzeug war ein Elektrokleinstfahrzeug, von dem für andere Verkehrsteilnehmer im Vergleich z.B. mit einem Pkw deutlich geringere Gefahren ausgehen. Zudem ist der Angeklagte bisher strafrechtlich unvorbelastet gewesen.

 Zu seinen Lasten war indes der mit 2,02 Promille Alkohol im Vollblut nicht nur unerheblich über dem Grenzwert der Rechtsprechung zur absoluten Fahruntauglichkeit von 1,1 Promille Alkohol im Vollblut liegende Grad der Alkoholisierung zu werten, der deutlich über das für den Tatbestand erforderliche Mindestmaß hinausgeht. Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Strafzumessungserwägungen hat das Gericht unter nochmaliger zusammenfassender Würdigung auf eine Geldstrafe von 30 (dreißig) Tagessätzen zu je 30,00 (dreißig) Euro erkannt, die ausreichend, jedoch auch zwingend notwendig erscheint, um das begangene Unrecht tat- und schuldangemessen zu bestrafen und allen Strafzwecken zu genügen.

 Zwar liegt durch die Tat ein Regelfall für die Annahme der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vor (§ 69 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB). Gleichwohl konnte aufgrund der Gesamtumstände, der zuvor genannten Strafzumessungsgesichtspunkte und des vom Gericht von dem Angeklagten im Termin gewonnenen Eindrucks von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB abgesehen werden und es genügte die Anordnung eines Fahrverbotes gemäß § 44 Abs. 1 StGB. Der Angeklagte hat die Straftat im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen. Das Gericht hat es unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Angeklagten, der Tatumstände sowie unter Berücksichtigung der Strafzumessungsgesichtspunkte – insbesondere dessen, dass der Angeklagte sich während des gesamten Verfahrens sehr kooperativ zeigte und erstmalig vor Gericht stand – auch unter Berücksichtigung des Nachtatverhaltens des Angeklagten (dokumentierter Verzicht auf den Konsum von Alkohol) als erforderlich aber auch ausreichend erachtet, ein Fahrverbot gemäß § 44 Abs. 1 StGB von vier Monaten anzuordnen.

 V.

 Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf den §§ 464, 465 Abs. 1 StPO.

AG Berlin-Tiergarten Urt. v. 25.4.2024 – 318 Cs 31/24, BeckRS 2024, 11997

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen