Das neue Cannabisgesetz – Teil 10: Darf Cannabis jetzt im Gefängnis angebaut und besessen werden?

von Prof. Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 19.07.2024
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht|2025 Aufrufe

Mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) stellt sich die Frage, ob Cannabis im Gefängnis angebaut und besessen werden darf, also quasi: Hanfanstalt anstatt Haftanstalt?

1. Grundsatz:

Nach § 3 Abs. 2 KCanG dürfen Personen über 18 Jahre am Wohnsitz oder an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt bis zu 50 g Cannabis und bis zu drei Cannabispflanzen besitzen sowie nach § 9 Abs. 1 KCanG drei Cannabispflanzen anbauen. Daraus könnte man also schließen, dass Besitz und Anbau bis zu diesen Mengen im Haftraum erlaubt ist, sofern der Haftraum als Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt eingestuft werden kann.

Strafbar wäre dort erst der Besitz von mehr als 60 g Cannabis und mehr als drei Pflanzen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und c KCanG) oder der Anbau von mehr als drei Cannabispflanzen (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 KCanG). Beim Besitz von mehr als 50 g bis 60 g Cannabis läge eine Ordnungswidrigkeit gem. § 36 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und c KCanG vor.

Die erste Frage ist: was ist ein Wohnsitz und ein gewöhnlicher Aufenthalt?

2. Definition von Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt:

Die Definition dieser Begriffe findet sich in § 1 Nr. 16 und Nr. 17 KCanG.

Danach ist Wohnsitz der Ort, an dem eine Person seit mindestens sechs Monaten eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Kleiner Exkurs: Diese Definition ist schon mit Blick auf eine klassische Wohnung mehr als merkwürdig. Sollte man dem Wortlaut folgend tatsächlich bereits sechs Monate in der Wohnung wohnen müssen, würde man bei einem Umzug das Recht verlieren, drei Pflanzen aus der alten Wohnung mit in die neue Wohnung zu nehmen. Oder man dürfte seine monatliche Ration von 50 g Cannabis aus einer Anbauvereinigung nach einem Umzug erstmal nicht in der neuen Wohnung lagern. Das macht keinen Sinn! Das Ziel, das der Gesetzgeber mit dieser Regelung verfolgt, nämlich dass Studierende und andere Personen, die nur vorübergehend einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, nicht Mitglieder einer Anbauvereinigung werden und keine Konsummöglichkeit erhalten sollen (BT-Drs. 20/10426, 127), könnte auch mit einer eingeschränkten Auslegung erreicht werden: So dürfte insoweit bereits ausreichen, dass durch Abschluss eines Mietvertrages nachgewiesen wird, dass eine Wohnung mindestens sechs Monate bewohnt werden soll (Patzak/Fabricius, 11. Aufl. 2024, KCanG § 1 Rn. 37). Das erscheint mir sachgerechter.

Gewöhnlicher Aufenthalt ist definiert als der Ort, an dem sich eine Person unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt; solche Umstände sind bei einem zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt an einem Ort von mindestens sechs Monaten Dauer anzunehmen, wobei kurzfristige Unterbrechungen unberücksichtigt bleiben.

Damit folgt die zweite Frage: Ist eines hiervon bei einer Inhaftierung im Gefängnis erfüllt?

a) Auffassung des LG Bonn:

Das LG Bonn meint JA (LG Bonn, Beschluss vom 16. April 2024 – 50 KLs 33/20 –, juris):

Denn mit dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) zum 01.04.2024 (vgl. BGBl. I 2024 Nr. 109 vom 27.03.2024) ist der Besitz vom 11,3 g Haschisch zum Eigenkonsum innerhalb des Haftraums, der jedenfalls bei Strafgefangenen der Wohnung gleichsteht, nicht mehr strafbar und ist auch nicht - als Ordnungswidrigkeit - mit einer Geldbuße belegt, sondern gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 Konsumcannabisgesetz (KCanG) für Personen über 18 Jahre ausdrücklich erlaubt, weil die Menge 50 g nicht übersteigt. Dies führt dazu, dass dem Verurteilten - unter Auflösung der bisherigen Gesamtstrafe - die Einzelstrafe von 90 Tagessätzen zu je 5 Euro nunmehr zu erlassen war.

b) Auffassung von Dr. Lorenz Bode:

So sieht es auch Dr. Lorenz Bode aus Sachsen-Anhalt, der in seinem lesenswerten Blog-Beitrag „Cannabispflanzen im Haftraum – jetzt legal?“ in JuWissBlog Nr. 43/2024 v. 11.07.2024 die Wohnungseigenschaft in einem Haftraum schreibt (s. hier):

Vor diesem Hintergrund kann man den Haftraum also durchaus als Wohnung begreifen, mithin als Wohnsitz eines Menschen.

c) Meine Auffassung:

Das sehe ich anders. Ich vertrete in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Auflage 2024, § 1 KCanG Rn. 39, die Auffassung, dass Hafträume in einer Justizvollzugseinrichtung unabhängig von der Haftzeit nicht als Wohnung oder gewöhnlicher Aufenthalt gelten.

Hierzu verweise ich auf die Kommentierung von Kunze in BeckOK Strafvollzugsrecht Hessen § 18 Rn. 3:

Der Haftraum unterfällt jedoch nicht dem Schutzbereich von Art. 13 GG und ist daher nicht als Wohnung iSd Art. 13 GG anzusehen (BVerfG BeckRS 2020, 37354 Rn. 16; BVerfG NStZ 1996, 511). Bediensteten steht grds. jederzeit die Befugnis zur Betretung eines Haftraums zu und zwar unabhängig vom Einverständnis der dort untergebrachten Gefangenen, jedoch mit Einschränkungen zur Wahrung der Intimsphäre. ...

Zum gewöhnlichen Aufenthalt schreibt Ellbogen in MüKoStPO § 8 Rn. 5:

Als Aufenthaltsort kommt daher nicht ein Krankenhaus, eine Heilanstalt oder eine Justizvollzugsanstalt in Betracht.

Der Blick in die Gesetzesmaterialien ist insoweit wenig ergiebig. Man erfährt allerdings, dass die Definition „gewöhnlicher Aufenthalt“ an die Definition in § 9 AO und § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I angelehnt ist.

Nach der Rspr. zu § 9 AO und § 30 Abs. 3 SGB I ist Untersuchungshaft wohl einhellig kein gewöhnlicher Aufenthalt, bei Strafhaft wird ein gewöhnlicher Aufenthalt aber angenommen, wenn außerhalb der Haft keine Wohnung mehr besteht. Dazu Wiesner/Wapler/Loos, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 86 Rn. 6:

Beim Verbüßen einer längeren Freiheitsstrafe kann (passender: „muss“) der gewöhnl. Aufenthalt am Ort der Justizvollzugsanstalt begründet werden (so BVerwG JAmt 2011, 279; Loos ZKJ 2006, 501); die sonstigen Lebensumstände des Gefangenen sind aber zu berücksichtigen (vgl. BVerwG NvwZ-RR 1997, 751). Der Ort der Untersuchungshaft kommt wegen ihres vorläufigen Charakters für die Begründung eines (veränderten) gewöhnl. Aufenthalts nicht in Betracht (BVerwG JAmt 2011, 279).

Ich denke, dass diese Grundsätze auf das KCanG nicht übertragen werden können. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber Hafträume in den Anwendungsbereich des KCanG einbeziehen wollte, da Besitz und Anbau von Cannabis in einer JVA gerade bei Gefangenen mit einer vorhandenen Suchtproblematik das Vollzugsziel der Resozialisierung gefährden könnten (vgl. nur § 2 StVollzG, der inhaltsgleich in alle Vollzugsgesetze der Länder übernommen wurde).

Ergo: Der Haftraum kann kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt sein. Wenn man dies anders sieht, müsste die Haftdauer nach § 1 Nr. 16 und Nr. 17 KCanG aber konsequenterweise voraussichtlich mindestens sechs Monate betragen.

3. Keine Strafbarkeit beim Besitz von nicht mehr als 30 g Cannabis oder Anbau von maximal drei Cannabispflanzen im Haftraum

Selbst wenn der Haftraum kein Wohnsitz und kein gewöhnlicher Aufenthalt ist, bleibt der Besitz von bis zu 30 g Cannabis oder der Anbau von maximal drei Cannabispflanzen straflos (im Fall des LG Bonn kam es aus strafrechtlicher Sicht also auf die Wohnungseigenschaft gar nicht an).

4. Dennoch: Kein Freibrief für Gefangene!

Damit haben Gefangene aber keinen Freibrief, denn die Justizvollzugsanstalten verbieten (wie schon bei Alkohol), jeglichen Besitz und Anbau von Cannabis über die Hausordnung. Verstöße hiergegen werden über das vollzugsrechtliche Disziplinarrecht geahndet. Es bleibt also dabei: Eine Haftanstalt ist keine Hanfanstalt!

Bejaht man allerdings die Wohnungseigenschaft eines Haftraums, müsste man sich konsequenterweise die Frage stellen, ob angesichts der eindeutigen bundesgesetzlichen Erlaubnisregelungen in den §§ 3, 9 KCanG überhaupt durch Hausordnung ein Besitz und Anbau von Cannabis verboten werden darf.

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