Keine Fahrtenbuchauflage bei Faulheit der Behörde: Verwaltungsrichter schaut bei google, faceboox, twitter, xing (=bester Verwaltungsrichter der Welt!)

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.08.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|1523 Aufrufe

Da war das VG Berlin zu recht sauer: Ein schönes Foto in der Akte - der Fahrer könne aber nicht ermittelt werden, so die Behörde. Der Verwaltungsrichter hat das aber sofort geschafft. Hochnotpeinlich für offenbar zu bequeme Verwaltungsmitarbeiter*innen. So kippte dann auch die Fahrtenbuchauflage:

 

Die Anfechtungsklage ist begründet, denn der angefochtene Bescheid vom 8. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

 Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein Fahrzeug oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Der Beklagte hat eine Tatbestandsvoraussetzung dieser Vorschrift rechtsirrig bejaht.

 Die Feststellung des Fahrzeugführers war nämlich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO nicht unmöglich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Behörde des Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter des Verkehrsverstoßes zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Die Angemessenheit der Aufklärung richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Zu den gebotenen Ermittlungsmaßnahmen gehört regelmäßig in erster Linie die kurzfristig, d.h. möglichst innerhalb von zwei Wochen, erfolgende Benachrichtigung des Halters des mit dem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes, damit der Betreffende die Frage, wer zur Tatzeit das Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und – bei eigener Täterschaft – gegebenenfalls Entlastungsgründe vorbringen kann (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 13. Oktober 1978 – BVerwG VII C 77.74 und 49.77 –, juris Rn. 15 und 18 bzw. 12 und 15; Beschluss vom 25. Juni 1987 – BVerwG 7 B 139.87 –, juris Rn. 2). Art und Umfang ihrer Ermittlungstätigkeit darf die Behörde an den Erklärungen des Halters ausrichten, denn es ist ihr nicht zuzumuten, von sich aus wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. April 1971 – BVerwG VII C 66.70 –, juris Rn. 20, und vom 17. Dezember 1982 – BVerwG 7 C 3.80 –, juris Rn. 7).

 Daran gemessen hat der Beklagte nicht die ihr zumutbaren Ermittlungen vorgenommen. Angesichts des Fahrzeugtyps und der Haltereigenschaft der Klägerin als juristische Person des Zivilrechts sowie des guten Frontfotos wäre eine Google-Recherche zu erwarten gewesen. Dem erkennenden Einzelrichter ist es nämlich ohne großen Aufwand, insbesondere ohne Anlegung gesonderter Accounts in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Xing, möglich gewesen, den Geschäftsführer der Klägerin als Fahrzeugführer zu identifizieren. Es ist schlechterdings nicht vermittelbar, dass die Berliner Polizei bei Ermittlung von Personen nicht diese naheliegende Erkenntnisquelle nutzt, zumal die Verwertbarkeit der Information als allgemein zugängliche Quelle, deren Inhalte regelmäßig konform zur Datenschutzgrundverordnung verfügbar sind, unproblematisch ist. Im vorliegenden Fall konnte schon allein anhand des Firmennamens und des Namens des Geschäftsführers über die Google-Bildsuche der Fahrer identifiziert werden. So wurde beim ersten Zugriff ein Foto aus dem Xing-Konto des Besagten bereits in der Google-Trefferliste sowie Bilder der Website des Unternehmens eingeblendet, aus denen sich diese Erkenntnis ergab.

 Soweit sich der Behördenvertreter in der mündlichen Verhandlung in der Weise einließ, dass es gerade bei Firmenfahrzeugen und angesichts der fehlenden Bereitschaft der Halterin an der Aufklärung mitzuwirken, uferlos sei, weitere Recherchen anzustellen, geht dies fehl. Gerade, weil diese Recherche nach dem Stand der Technik so gut wie keinen Aufwand und keine besonderen Kenntnisse erfordert und vorliegend aufgrund des Fahrzeugtyps Audi Quattro insbesondere der Geschäftsführer als Fahrer in Betracht zu ziehen war, drängte sich diese Aufklärungsmaßnahme auf.

 Würde hingegen die Überlegung des Beklagten zutreffen, dass allein die fehlende Mitwirkung zu einer Einstellung der weiteren Ermittlungstätigkeiten im Ordnungswidrigkeitenverfahrens berechtigte, würde dies den vorgeschriebene Untersuchungsgrundsatz nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 160 Abs. 1 und 2 StPO unterlaufen und wird der geschriebenen tatbestandlichen Voraussetzung der Ermächtigungsnorm des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO für eine Fahrtenbuchauflage nicht mehr gerecht (Unmöglichkeit der Ermittlung des Fahrzeugführers). Aus rechtsmethodischer Sicht ist nämlich schon die oben referierte weitgehende traditionelle Auslegung dieser Norm, die sich kaum mehr an der Wortlautgrenze orientiert, um so Verkehrssünder, deren Sanktionierung im Bußgeldverfahren misslingt, „zumindest“ mit einem Fahrtenbuch beauflagen zu können, nicht unproblematisch.

 Hierbei ist auch in Erinnerung zu rufen, dass der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eine präventive und keine strafende Funktion zukommt. Sie setzt tatbestandlich nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 7. Juni 2023 – 1 B 51/23 –, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 30. Mai 2023 – 8 A 464/23 –, juris Rn. 7; OVG des Landes Schleswig-Holstein, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 5 LB 17/22 –, juris Rn. 28). Die oben erwähnte Praxis steht im Widerspruch hierzu, da sie die Fahrtenbuchauflage – infolge fehlender Mitwirkung des Halters – als sanktionierendes Korrektiv zum ergebnislosen Ausgang des Ordnungswidrigkeitenverfahrens versteht.

 Dabei ist zu betonen, dass die grundsätzliche Überlegung, dass sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit an den Erklärungen des Halters ausrichten darf, durch die vorliegende gegebene Pflicht zur Internetrecherche nicht in Frage gestellt wird. Vielmehr stellt sie ein nach dem Stand der Technik und Ausrüstung der Polizeidienststellen in Berlin naheliegendes Aufklärungsmittel dar, dessen Einsatz sich bei vorliegenden Halterdaten und einem brauchbaren Frontfoto aufdrängt.

VG Berlin Urt. v. 26.6.2024 – 37 K 11/23, BeckRS 2024, 16308

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1 Kommentar

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M.E. ist es schon anmaßend, die Ermittlungsmöglichkeiten im Internet Mitte 2024 an einen Bescheid aus dem Jahr 2019 anzulegen. Die Richter machen sich offenbar überhaupt nicht klar, welche Sprünge die Technik immenr noch macht. Viele Täter aber auch nicht ...

Und dann muss man noch bedenken, welche rechtlichen Hindernisse eine solche Bildersuche haben kann. Ich bin mir sicher, dass derselbe Anwalt der Behörde erfolgreich in den Allerwertesten getreten hätte, wenn sie wegen einer Ordnungwidrigkeit(!!) eine Bildersuche durchgeführt hätte (vgl. Warum Polizei RAF-Terroristin Klette nicht eher aufspürte - ZDFheute:

"Polizei darf Pimeyes nutzen - unter bestimmten Voraussetzungen

Grundsätzlich sind dem polizeilichen Einsatz solcher Tools enge datenschutzrechtliche Grenzen gesetzt. Fotos, die im Zuge von Ermittlungen gewonnen wurden, darf die Polizei nicht einfach jederzeit an Dritte weitergeben. Auf Anfrage von ZDFheute heißt es vom Bundeskriminalamt (BKA), der Einsatz solcher Gesichtserkennungs-Tools sei nur im Rahmen einer richterlich angeordneten Öffentlichkeitsfahndung rechtlich zulässig. Die gab es im Fall von Klette allerdings schon seit Jahrzehnten.

Ob Pimeyes überhaupt genutzt wird, will das BKA grundsätzlich "aus kriminaltaktischen Gründen" nicht beantworten."

Und dann noch kriminaltechnische Gründe. Wenn man den ersten Autofahrer mit Gesichtserkennungssoftware zu fassen bekommt, kann das BKA diese Argumentation auf jeden Fall vergessen.

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