LG Nürnberg-Fürth: Gerichtssprache ist Deutsch...aber nicht für den Einspruch gegen den Strafbefehl!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.08.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1425 Aufrufe

Ganz richtig ist die Überschrift ja nicht. Aber fast. Der Angeklagte ist Rumäne und wohnt auch dort. Gegen einen ihm (wegen einer "Nichtstraßenverkehrstat") zugestellten Strafbefehl legte er Einspruch ein - zu spät und auf Rumänisch. Beim AG hatte er keinen Erfolg - und auch die sofortige Beschwerde dagegen legte er als "Einspruch" verspätet und auf Rumänisch ein. Wegen zu langer Postlaufzeit war Wiedereinsetzung möglich...und der Einspruch als sofortige Beschwerde zu werten. Aber: Reichte der Strafbefehlseinspruch "auf Rumänisch" aus?

"KLAR!", meint das LG Nürnberg-Fürth als Beschwerdegericht. 

 

1. Auf die sofortige Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 15.04.2024 aufgehoben.

 2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht Nürnberg erließ gegen die Angeklagte – eine rumänische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Rumänien – auf Antrag der Familienkasse einen Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung. Die Angeklagte ist des Deutschen nicht mächtig. Am 26.01.2024 wurde ihr die rumänische Übersetzung des Strafbefehls an ihrem Wohnsitz zugestellt.

 Am 12.02.2024 ging ein am 02.02.2024 zur rumänischen Post gegebenes Schreiben der Angeklagten vom selben Tag beim Amtsgericht Nürnberg ein, das in rumänischer Sprache abgefasst war. Das Gericht beauftragte dessen Übersetzung. Diese erhellte, dass die – da und auch schon im Ermittlungsverfahren unverteidigte – Angeklagte Einspruch gegen den Strafbefehl einlegte und das näher begründete.

 Das Amtsgereicht Nürnberg verwarf den Einspruch mit Beschluss vom 15.04.2024 als unzulässig. Der Einspruch sei entgegen § 184 GVG nicht in deutscher Sprache verfasst, sodass er dem Formerfordernis des § 410 StPO nicht genüge. Am 22.05.2024 wurde dieser Beschluss samt Rechtsmittelbelehrungin deutscher Sprache an die Angeklagte in Rumänien zugestellt. Am 05.06.2024 ging ein Schreiben der Angeklagten beim Amtsgericht Nürnberg ein. Dabei handelte es sich um eine Übersetzung des Schreibens der Angeklagten vom 02.02.2024 ins Deutsche.

 Das Amtsgericht legte das Schreiben als Beschwerde aus und legte sie der Kammer vor.

 II.

 Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

 1. Das am 05.06.2024 eingegangene Schreiben der Angeklagten ist als sofortige Beschwerde statthaft (§ 411 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO) und diese wurde auch zulässig erhoben.

 a) Die Übersendung des Einspruchsschreibens vom 02.02.2024 nunmehr in deutscher Übersetzung war als sofortige Beschwerde auszulegen. Die Angeklagte reagierte damit erkennbar auf den Beschluss vom 15.04.2024, aus dem sich ergab, dass das Amtsgericht das Ansinnen der Angeklagten wegen der Nichtverwendung der deutschen Sprache im Schreiben vom 02.02.2024 abwies. Dabei wollte es die Angeklagte offensichtlich nicht bewenden lassen, sondern das Blatt zu eigenen Gunsten wenden, weshalb sie eine Übersetzung des Einspruchsschreibens in Deutsche veranlasst hatte (vgl. auch LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24.06.2021 – 12 Qs 39/21, juris Rn. 9).

 b) Die sofortige Beschwerde war zwar verfristet, jedoch war der Angeklagten Wiedereinsetzung zu gewähren.

 aa) Die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO ist mit der Zustellung des Verwerfungsbeschlusses am 22.05.2024 an-, und folglich mit dem 29.05.2024 abgelaufen. Dem stand § 37 Abs. 3 StPO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Übersetzung eines Urteils zuzustellen, wenn dem Prozessbeteiligten gem. § 187 Abs. 1, 2 GVG eine Übersetzung des Urteils zur Verfügung zu stellen ist. Fehlt die Übersetzung, ist die Zustellung unwirksam (LR-StPO/Graalmann-Scheerer, 27. Aufl., § 37 Rn. 120; KK-StPO/Schneider-Glockzin, 9. Aufl., § 37 Rn. 29 m.w.N.), setzt also auch keinen Fristlauf in Gang. Urteil im Sinne des § 37 Abs. 3 StPO ist aber im technischen Sinne zu verstehen (vgl. BT-Drs. 17/12578, S. 11, 14), wobei eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Strafbefehle angenommen wird (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 37 Rn. 31; HK-GS/Bosbach, 5. Aufl., StPO § 37 Rn. 17a; MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl., § 37 Rn. 73a). Eine weitergehende analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 StPO auf Beschlüsse, mit denen ein Einspruch verworfen wird, wird – soweit die Kammer das überschaut – nicht diskutiert und sie dürfte gegen den klaren Gesetzeswortlaut nicht zu begründen sein (vgl. auch LR-StPO/Graalmann-Scheerer, aaO, Rn. 110).

 bb) Allerdings war der Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Firstversäumnis unverschuldet war.

 (1) Das folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 44 Satz 2 mit § 35a Satz 1 StPO. Die ausweislich der Akte der deutschen Sprache unkundige Angeklagte erhielt neben dem auf Deutsch verfassten Verwerfungsbeschluss auch eine deutsche Rechtsmittelbelehrungüber die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde. Damit wurde sie nicht ausreichend belehrt. Wird nämlich eine Entscheidung durch Zustellung bekannt gemacht und versteht der Betroffene nach Aktenlage kein Deutsch, ist ihm die Rechtsmittelbelehrungin einer ihm verständlichen Sprache mitzuteilen (SSW-StPO/Claus, 5. Aufl., § 35a Rn. 11; Gercke/Temming/Zöller/Pollähne, StPO, 7. Aufl., § 35a Rn. 10; MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl., § 35a Rn. 22, je m.w.N. auch zur a.A.). Dem sprachunkundigen muss gleicherweise wie dem sprachkundigen Betroffenen ermöglicht werden, sich effektiv zu verteidigen (vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Buchstabe e EMRK).

 (2) Aber auch wenn man dem vorstehenden Begründungsansatz nicht folgt, wäre hier Wiedereinsetzung nach § 44 Satz 1 StPO zu gewähren. Denn versäumt ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Betroffener eine Rechtsmittelfrist, so kann ihm die Wiedereinsetzung wegen verschuldeter Fristversäumung dann nicht versagt werden, wenn die Säumnis auf den unzureichenden Sprachkenntnissen beruht und er im Übrigen die Sorgfaltspflichten in der Wahrnehmung ihrer Rechte beachtet hat. Dazu ist zu verlangen, dass er sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den Inhalt des bei ihm eingegangenen amtlichen Schriftstücks verschafft. Auf der Grundlage der konkreten Umstände des Einzelfalls muss dann beurteilt werden, innerhalb welcher Zeit ihm welche Maßnahmen zumutbar waren, um ihn in die Lage zu versetzen, den Inhalt des Verwerfungsbeschlusses und der Rechtsmittelbelehrungzu verstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.04.1995 – 2 BvR 2295/94, juris Rn. 20). Hier hat sich die Angeklagte nach Lage der Dinge umgehend um eine Übersetzung des Verwerfungsbeschlusses und der Rechtsmittelbelehrungbemüht und alsbald ihren Schriftsatz ans Amtsgericht Nürnberg übersandt. Damit hat sie das Erforderliche getan, um ihre Rechte gegen den Verwerfungsbeschluss vom 15.04.2024 zu wahren.

 2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Der Einspruch gegen den Strafbefehl war zulässig; er durfte daher nicht gem. § 411 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO verworfen werden.

 a) Unschädlich ist, dass der Einspruch nicht fristgerecht beim Amtsgericht Nürnberg einging. Die Zweiwochenfrist des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO lief bereits am Freitag, dem 09.02.2024, um 24 Uhr ab, sodass der Eingang am Montag, dem 12.02.2024, zu spät erfolgte. Nachdem es aber ausreichte, dass die Angeklagte den Einspruch ausweislich des Poststempels bereits am 02.02.2024 in Rumänien abgesandt hatte, war ihr wegen der längeren Postlaufzeit von Amts wegen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO) Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 23.08.2021 – 12 Qs 57/21, juris 19 ff.).

 b) Unschädlich ist weiter, dass der Einspruch in rumänischer Sprache verfasst war.

 aa) Zwar ist, worauf das Amtsgericht zu Recht verwiesen hat, die Gerichtssprache deutsch (§ 184 Satz 1 GVG). Eingaben an das Gericht in fremder Sprache sind demgemäß grundsätzlich unbeachtlich (BGH, Beschluss vom 09.02.2017 – StB 2/17, juris Rn. 9). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof der Gesamtschau von Art. 1 bis 3 RL 2010/64/EU (ABl. L 280 vom 26.10.2010, S. 1) entnommen, dass diese Vorschriften § 184 GVG nicht entgegenstehen, auch wenn der Adressat eines Strafbefehls der Gerichtssprache nicht mächtig ist, es sei denn, das deutsche Gericht meint, dass der Einspruch gem. Art. 3 Abs. 3 RL konkret eine wesentliche Unterlage darstellt (vgl. EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-216/14, juris Rn. 25 ff., 51). Die Wesentlichkeit eines Dokuments beurteilt sich danach, ob es dafür relevant ist zu gewährleisten, dass der Betroffene imstande ist, seine Verteidigungsrechte wahrzunehmen, und um ein faires Verfahren zu gewährleisten (vgl. Art. 3 Abs. 3 RL). Wenn es sich danach um ein wesentliches Dokument handelt, wird § 184 GVG durch europäisches Recht dahingehend überlagert, dass die Vorlage dieses Dokuments in einer Fremdsprache nicht zur Unwirksamkeit der dort enthaltenen Erklärungen führt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 184 GVG Rn. 2a; SSW-StPO/Rosenau, 5. Aufl., § 184 GVG Rn. 8).

 Für die Kammer unterliegt keinem Zweifel, dass es sich bei dem Einspruch gegen einen Strafbefehl um ein wesentliches Schriftstück im vorstehenden Sinne handelt (a.A. Zündorf, NStZ 2017, 41, 42, der den Verweis auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für ausreichend hält). Im summarischen Strafbefehlsverfahren stellt er das einzige, zudem fristgebundene Mittel eines Angeklagten dar, eine Hauptverhandlung zu erzwingen und so das Forum dafür zu schaffen, der Ausgangshypothese von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht in der Sache entgegenzutreten. Der Einspruch ermöglicht somit rechtliches Gehör. So ist es auch hier: Die Angeklagte, die sich im Ermittlungsverfahren nicht geäußert hatte, führt in dem Einspruchsschreiben dazu aus, dass sich der Sachverhalt anders als im Strafbefehl behauptet zugetragen habe.

 bb) Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt keine andere Bewertung. Der hat die Geltung des § 184 GVG betont und ausgeführt, dass die in einer Fremdsprache abgefasste Rechtsmitteleinlegung erst mit dem Eingang der Übersetzung für das Verfahren beachtlich werde (BGH, Beschluss vom 30.11.2017 – 5 StR 455/17, juris Rn. 3; Beschluss vom 16.05.2000 – 4 StR 110/00, juris Rn. 2). Im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH hat er sodann herausgestrichen, dass diese Judikatur nur den nicht verteidigten Beschuldigten betreffe und deshalb in den von ihm entschiedenen Fällen keine Anwendung fände (BGH, Beschluss vom 30.11.2017 – 5 StR 455/17, juris Rn. 5; Beschluss vom 09.02.2017 – StB 2/17, juris Rn. 10; vgl. weiter SSW-StPO/Rosenau, 5. Aufl., § 184 GVG Rn. 8). Diese Einschränkung trifft den hiesigen Fall jedoch nicht, weil die Angeklagte unverteidigt ist.

 III.

 Der Kostenausspruch beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.

LG Nürnberg-Fürth Beschl. v. 1.7.2024 – 12 Qs 28/24, BeckRS 2024, 15020 

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