Gastbeitrag Dr. Frank Bokelmann: OVG Münster zu “Call a Bike“-Mietfahrrädern

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.11.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht8|6465 Aufrufe

Einmal wieder eine Leserzuschrift, die ich als Gastbeitrag veröffentlichen möchte.

 

Am Freitag hat das OVG Münster einen überraschenden Beschluss in einem Eilverfahren zum Thema Sondernutzung vermeldet.

Hier die Pressemitteilung des OVG vom 20. November 2020:

"Mietfahrräder dürfen in Düsseldorf nicht im öffentlichen Straßenraum abgestellt werden

Die “Call a Bike“-Mietfahrräder der Deutschen Bahn dürfen in Düsseldorf nicht weiter im öffentlichen Straßenraum, etwa auf Gehwegen, abgestellt werden. Dies hat das Oberverwaltungsgericht heute im Eilverfahren entschieden und den vorausgehenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf geändert.

Die Stadt Düsseldorf hatte der Antragstellerin, der Deutsche Bahn Connect GmbH, per Ordnungsverfügung aufgegeben, die “komplette Leihfahrräderflotte“ aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen und das Abstellen der Fahrräder auch in Zukunft zu unterlassen, weil die dafür erforderliche Sondernutzungserlaubnis fehle. Auf Antrag des Unternehmens hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Eilbeschluss vom 15. September 2020 die Nutzung des öffentlichen Straßenraums vorläufig weiter zugelassen, weil das Aufstellen und Anbieten der Mietfahrräder keine Sondernutzung sei. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Stadt Düsseldorf hatte Erfolg.

Zur Begründung seines Eilbeschlusses hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt: Die Ordnungsverfügung sei voraussichtlich rechtmäßig. Das stationsunabhängige Aufstellen der Fahrräder im öffentlichen Straßenraum zwecks Vermietung sei eine Sondernutzung, wofür die Antragstellerin nicht die erforderliche Er­laubnis habe. Die Nutzung des öffentlichen Straßenraums durch das Abstellen der Fahrräder sei kein Gemeingebrauch. Denn die Straße werde hier nicht vorwiegend zum Verkehr genutzt; insbesondere seien die Mieträder nicht nur zum Parken abgestellt. Nach dem Geschäftsmodell der Antragstellerin (“Call a Bike“) stünden sie zwar auch zwecks späterer Wiederinbetriebnahme im Straßenraum. Im Vordergrund stehe aber der gewerbliche Zweck, mit Hilfe des abgestellten Fahrrads den Abschluss eines Mietvertrags zu bewirken. Die Nutzung der Straße unterscheide sich insofern nicht von sonstigem Straßenhandel, der regelmäßig als Sondernutzung zu qualifizieren sei. Die deshalb erforderliche Sondernutzungserlaubnis liege nicht vor, die Antragstellerin habe eine solche auch nicht beantragt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 11 B 1459/20 (I. Instanz: VG Düsseldorf 16 L 1774/20)"

Die Entscheidung ist noch nicht in die Rechtsprechungsdatenbank eingestellt.

Überraschend ist dieser Beschluss, weil das Thema eigentlich seit dem Beschluss des OVG Hamburg vom 19.06.2009 - 2 Bs 82/09 (nextbike ./. Hamburg) erledigt schien.

Mal sehen, ob es Unterschiede im Sachverhalt gibt, die die Abweichung erklären. Nach dem in der Pressemitteilung mitgeteilten Sachverhalt und den Gründen hat das OVG Münster aber wohl bei identischem Sachverhalt abweichend entschieden. Über die Hintergründe kann man nur spekulieren. Ist ein Richter des erkennenden Senats kürzlich über einen E-Scooter gestolpert? Oder passen sich die Räder farblich nicht gut in die Düsseldorfer Altstadt ein?

Was man allerdings schon jetzt sagen kann, ist, dass die Städte sich mit dem Beschluss  des OVG Hamburg nie ganz abgefunden haben und nun nach dem Aufstellen und wilden Parken und Umkippen tausender E-Scooter verstärkt die Kontrolle über das Geschehen zuirück erobern wollen (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, "Straßennutzung durch Bikesharing" vom 17. Januar 2019, WD 5-3000 –166/18). Nun sieht es so aus, als ob für die Anbieter von Mieträdern und Mietscootern harte Zeiten anbrechen.

 

 

Danke, lieber Dr. Bokelmann!

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8 Kommentare

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Der Beschluss des OVG NRW vom 20.11.2020, 11 B 1459/20 ist nun einsehbar unter:

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2020/11_B_1459_20_Beschluss_20201120.html

Es ist schnell zu erkennen, dass der Senat im Kernpunkt, ob das Aufstellen und wiederholte Stehenlassen der zurückgegebenen Mieträder auf der Verkehrfläche zur Vermietung als gewerbliches Angebot eine Sondernutzung darstellt oder nicht, anders entscheidet als das OVG Hamburg. Die Argumente des OVG Münster erscheinen vor dem Hintergrund des Urteils des BVerwG vom 3. Juni 1982, 7 C 73.79, NJW 1982, 2332 ein wenig hilflos, auch wenn man zugeben muss, dass in dem Fall des BVerwG die zu mietenden Pkw nicht mittels einer App angemietet werden konnten, sondern der Mieter nach dem Vertragsabschluss in einem Ladenlokal abholen die Schlüssel und den Standort des gemieteten Pkw bekam.
Irgendwie scheinen die Richter des OVG Münster noch nicht ganz im 21. Jahrhundert angekommen zu sein. Denn die von ihnen getrieben Haarspalterei ist sehr Old School. Natürlich hat das Aufstellen auch ein werbendes Element. Aber daran die gesamte Argumentation aufzuhängen ist sehr gewollt. Denn was täte die Stadt, wenn der Anbieter dazu überginge, einfach aussehende schwarze Räder zu verwenden, die der Nutzer dann zunächst mittels der App orten müsste. Dann wäre die ganze schöne Argumentation schwer angeschlagen.

Da waren die Richter in Hamburg schon 2009 den Richtern in Münster des Jahres 2020 ein ein paar Jahrzehnte voraus, wie man heute noch ausweislich der Leitsätze des alten Beschlusses (hier) erkennen kann.

Vermutlich wollen die Richter sich bei nächster Gelegenheit die E-Scooter zur Brust nehmen und haben mit diesem Beschluss um entsprechende Steilvorlagen der Städte und Gemeinden gebeten. Aber das erscheint mir - obwohl ich mich selbst über die überall herumliegenden E-Scooter ärgere - doch eher als letzte ruhmreiche "Schlacht am Little Bighorn" gegen die Moderne vor dem unerbittlich anstehenden Gang ins Pensionärs-Reservat.

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Ich denke Knackpunkt war die interaktion mit dem Fahrrad zur Anmietung. Das halte ich allerdings für gewagt. Das Straßenrecht in NRW erkennt es - genau wie das Bundesfernstraßengesetz (und im Gegensatz zum Straßenrecht in HH) - noch ausdrücklich als Gemeingebrauch an wenn neben der verkehrlichen Nutzung auch eine andere Nutzung stattfindet, solange die Verkehrliche Nutzung überwiegt.

Wäre allein die Buchung per App schon Sondernutzung, wäre es auch Sondernutzung wenn ich mit meinem Handy bei Amazon bestelle während ich mich auf einer öffentlichen Straße aufhalte. Mit dem Abstellen auf die Interaktion mit dem Fahrrad wird vermutlich auch versucht, das ganze vom Free-Floating CarSharing abzugrenzen - hier wird inzwischen nicht mehr das Handy ans Auto gehalten.

Ich würde die Interaktion mit dem Fahrrad allerdings als aufschließen werten. Wenn ich derartige stationslose Angebote nutze ist für mich im Regelfall auch nicht maßgeblich ob ich ein Fahrzeug sehe, sondern ob ich es in der App finde.

Ich kenne mich zwar etwas im Straßen- und Verwaltungsrecht und auch in Teilen der VwGO etwas aus, allerdings weiß ich nicht ob hier eine Revision bis zum BVerwG zulässig wäre. Gilt der Beschluss des OVG HH schon als abweichende Entscheidung oder müsste es dazu ein Urteil im Hauptverfahren sein? Müsste die Ordnungsverfügung auch auf das Fernstraßengesetz gestützt sein damit Bundesrecht betroffen ist? (Eine Verfügung nur für die Nicht-Bundesstraßen wäre ja sicher nicht sachgerecht)

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Was die Sondernutzung angeht, klingen §§ 16 und 19 des Hamburgischen Wegegesetzes härter, als die Auslegung inzwischen ist. Hamburg ist ja auch ein gebranntes Kind.

Bis heute wird in einer Fußnote auf ein im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Beschluß des BVerfG vom 9. Oktober 1984, 2 BvL 10/82, „Laternengarage“ hingewiesen, mit dem § 16 Abs. 2 Satz 1 HWG gekürzt wurde:

§ 16 Abs. 2 Satz 1 des Hamburgischen Wegegesetzes vom 4. April 1961 (Gesetzbl und Verordnungsbl S 117) ist insoweit mit Art 72 Abs 1, Art 74 Nr 22 des Grundgesetzes unvereinbar und daher nichtig, als diese Vorschrift die Benutzung eines Weges regelmäßig als Einstellplatz für ein Kraftfahrzeug in der Nähe der Wohnung oder der Arbeitsstätte des Fahrzeughalters oder Fahrzeugbenutzers vom Gemeingebrauch ausnimmt.

Und dann gab es da noch den stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 18. Oktober 1991, 1 BvR 1377/91, NVwZ 1992, 53 zum Verstoß gegen die Meinungsfreiheit durch ein Verteilungsverbot von Flugblättern aufgrund des Hamburgischen Wegegesetzes.

Es ist also nicht so, dass ich in Hamburg nicht auf der Straße mit dem Nachbar quatschen oder einfach einen Apfel essen darf. Die Straßen- bzw. Wegerechte der Länder unterscheiden sich im Ergebnis bei solchen Essentials wie Gemeingebrauch oder Sondernutzung weniger als man denken würde.

Und dann war es ja ausdrücklich das Hamburgische OVG, dass seinen Beschluss zu Mieträdern mit dem 3. Und 4. Leitsatz wie folgt veröffentlichte:

Auch das Aufstellen von Mietfahrrädern auf öffentlichen Wegeflächen, auf denen das Abstellen von Fahrrädern straßenverkehrsrechtlich zulässig ist, dürfte - wie das Aufstellen von zugelassenen und betriebsbereiten Mietwagen - Teil des Gemeingebrauchs sein. Solange ein öffentlicher Weg zum Zwecke des Verkehrs genutzt wird, ist es für die straßenverkehrsrechtliche Zulässigkeit und damit für den Gemeingebrauch ohne Bedeutung, ob dieser aus privaten oder geschäftlichen Gründen genutzt wird (wie BVerwG, Urt. v. 3.6.1982, NJW 1982, 2332).

Die Möglichkeit, die Fahrräder mit Hilfe eines Mobiltelefons auf öffentlichen Wegen anzumieten, führt nicht dazu, dass es sich beim Aufstellen der Fahrräder um das gewerbliche Anbieten von Waren oder sonstigen Leistungen auf öffentlichen Wegen handelt.

Im Ergebnis muss m.E. sich das Urteil im Hauptsacheverfahren am Urteil des BVerwG vom 3. Juni 1982, NJW 1982, 2332 messen lassen, auch wenn der Sachverhalt ein klein wenig moderner daher kommt. Und ich bin mir sicher, dass dieses Urteil am Ende das BVerwG sprechen wird, wenn das OVG Münster auch in der Hauptsache bockig sind. Und die Leipziger Richter werden sich wieder mal fragen, warum sie sich schon wieder zweimal mit derselben Sache befassen müssen und das entsprechend kurz abhandeln.

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Ein weites Feld - Nutzung öffentliche Straßenraums für gewerbliche bzw. nicht verkehrliche Zwecke. Man stellt einen LKW mit einer Schuhmacherreparaturmaschineneinrichtung auf den Parkplatz - wär ja blöd, extra Raum anzumieten. Man fährt ja abends weg. - Ein Mobilbordell. - Teures Gewerbegelände kaufen, um die Einsatzfahrzeuge abzustellen? Nö, lieber im Wohnviertel, da wo Platz ist. -  Privat - wie Küche, Betten,Schlafzimmer, Garderobe - auf dem Bürgersteig? Nö, aber die Karre - bloß nicht auf eigenem Grund. Zehntausende LKW nach Deutschland jagen - aber wenn sie stillstehen, unternehmerisch nicht pruduktiv in Betrieb sind - dann schön fein auf Kosten des Deppen deutschen Steuerzahlers auf öffentlichem Parkplatz, gell? 

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Der Beschluss zieht nun Kreise, und die Umsetzung wird radikal, wie der Tagesspiegel aus Berlin berichtet:

https://www.tagesspiegel.de/berlin/kein-gemeingebrauch-berlin-plant-parkverbote-fuer-leihraeder-und-e-roller/26885694.html

"Der Berliner Senat will den Leihrad- und E-Roller-Markt stärker regulieren. Das Parken der Fahrzeuge soll deshalb künftig als sogenannte Sondernutzung gelten.

...

Damit folgt der Senat einer Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts Münster, wonach das Abstellen von gewerblich genutzten Rädern und Rollern auf öffentlichem Straßenland keinen „Gemeingebrauch“ darstellt."

Das wird jetzt ein übles Armdrücken, das mich an den Streß um die Bierbikes erinnert, wo die Gemeinden vor einigen Jahren einen Erfolg erzielten. Wie es diesmal ausgeht, ist derzeit nicht absehbar, da - wie oben schon dargestellt - der Beschluss des OVG Hamburg vom 19.06.2009 - 2 Bs 82/09 (nextbike ./. Hamburg) dem Beschluss des OVG Münster in Begründung und Ergebnis mit m.E. besseren Argumenten entgegen steht. Damit wird also mit Sicherheit recht schnell das OVG BErlin-Brandenburg seinen Spaß haben und am Ende das BVerwG das letzte Wort bekommen - so ca. 2023 bis 2030.

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Da, wie ich jetzt feststellte, der Berliner Senat die neue Definition der Sondernutzung in das Gesetz schreiben will, hat hier dann das BVerfG das letzte Wort. Ich nehme aber an, dass es den Berlinern gehen wird wie damals den Hamburgern, denen das BVerf mit Beschluss vom 9. Oktober 1984 – 2 BvL 10/82 –, BVerfGE 67, 299-329 ihren alten § 16 Abs. 2 Satz 1 HWG um die Ohren gehauen hat (Teilweise nichtig!): "§ 16 Abs. 2 Satz 1 HWG ist insoweit mit Art. 72 Abs. 1, 74 Nr. 22 GG unvereinbar und daher nichtig, als diese Vorschrift die Benutzung eines Weges regelmäßig als Einstellplatz für ein Kraftfahrzeug in der Nähe der Wohnung oder der Arbeitsstätte des Fahrzeughalters oder -benutzers vom Gemeingebrauch ausnimmt."

An dem alten Tenor, der auch im BGBl. I 1984, S. 1367 und im HmbGVBl. 1984, S. 247 abgedruckt wurde und das Gesetz insoweit überschrieb, wird sich das BVerfG bei der Beurteilung des neuen Berliner Gesetzes wohl orientieren, sofern es das Abstallen der Miet-E-Scooter und Miet-Fahrräder als Parken akzeptiert, was sehr wahrscheinlich ist, weil es im Ergebnis vom (weiterhin und von Verfassung wegen her gegen Beschränkungen durch den Landesgesetzgeber sicher geschützten) Parken von entsprechenden Fahrzeugen, die im Eigentum des Nutzers stehen, physisch überhaupt nicht zu unterscheiden ist.

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RA Link hat in einem Aufsatz in der (NZV 2021, 347) nun mit ausführlicher Begründung den Beschluss des OVG Hamburg vom 19.6.2009 – 2 Bs 82/09 unterstützt, was nach dem entgegengesetzten Beschluss des OVG Münster vom 20.11.2020 – 11 B 1459/20 (NJW 2020, Seite 3797) absolut notwendig ist, um eine schädliche Verwirrung über die eigentlich schon 2009 endgültig (und sogar zutreffend) beantwortete Frage, ob das Abstellen von Mietfahrrädern im öffentlichen Raum nach der Nutzung durch einen Mieter bis zur Nutzung durch den nächsten Mieter eine Sondernutzung ist, zu vermeiden.

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Das OVG Münster bezieht in der NZV wieder einmal mächtig Prügel, was sich auch im Fazit ausgrückt:

"Im Ergebnis zeigt sich, dass die Sharing-Modelle entgegen der Entscheidung des OVG Münster als
straßenrechtlicher Gemeingebrauch einzuordnen sind. Hier überwiegt regelmäßig der
Verkehrszweck. Ein Vergleich zu Warenautomaten oder fliegenden Händlern ist nicht sachgerecht.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG und des OVG Hamburg hat ein kommerzieller
Nutzungszweck lediglich eine untergeordnete Bedeutung. ..." (Koschmieder/Huß: Sharing-Modelle als straßenrechtlicher Gemeingebrauch NZV 2021, 407)

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