Neue Norm: die Hinzuziehung von Sachverständigen gem. § 144 I 1 ZPO - relevant vor allem für Miet- und Bausachen

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 11.02.2020

Etwas versteckt und eher unbemerkt hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.2.2020 im Gesetz "zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften" (BGBl. I 2019, 2633) die Norm des § 144 I 1 ZPO geändert - mit ganz erheblicher Bedeutung für Prozesse in Miet- und Bausachen.

Nunmehr ist es möglich, dass Gerichte auch ohne Beweisthema und ohne Beweisbeschluss einen Sachverständigen hinzuziehen. Der Gesetzgeber hat hier versucht, einem vielfach vor allem im privaten Baurecht (Kniffka ua) Rechnung zu tragen, wonach Sachverständige etwa aufgrund ihrer Sachkunde schon viel früher tätig werden könnten, nämlich etwa VOR der Formulierung eines Beweisbeschlusses bei hoch komplexen Mangelthemen. Hilfe kann angesagt sein beim Abschichten, Durchdringen und Strukturieren des Streitstoffs; auch kann er bei einer Beweisaufnahme anwesend sein und Fragen an Zeugen stellen (lassen) dann, wenn es um komplexe Dinge geht, bei denen wiederum dem Gericht die Sachkunde fehlt (vgl. auch die Beispiele bei Windau, zpoblog v. 5.1.2020 ( https://www.zpoblog.de/hinzuziehung-von-sachverstaendigen-§-144-zpo-beweisbeschluss/#more-7825 ). 

Die Regelung ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings hat der Gesetzgeber zahlreiche Fragen eher offen gelassen, so etwa die Kostenfrage. Windau (aaO) verweist zutreffend auf das Ermessen des Gerichts bei von Amts wegen vorzunehmenden Maßnahmen des Gerichts, § 17 III GKG, aber auch auf die Gesetzesbegründung, wonach regelmäßig kein Vorschuss anzufordern ist. Völlig unklar ist indes, wie sich dieser Ansatz etwa mit § 13 I 1 JVEG verträgt, wonach eine besondere Vergütung vom Sachverständigen nur verlangt werden kann, wenn VOR  seiner Tätigkeit ein ausreichender Betrag für die gesamte Vergütung von den Parteien an die Staatskasse gezahlt ist. Zudem sollte den Parteien auch und gerade in diesem Verfahren die Gelegenheit gegeben werden, sich nicht nur zum Verfahren selbst (sie zahlen letztlich den Sachverständigen....), sondern auch zur Person des Sachverständigen Stellung zu nehmen.

In der Praxis kann die Vorschrift bei korrekter Anwendung und hinreichender Transparenz bei der Anwendung durch die Gerichte sehr hilfreich sein. Die ersten bekanntgewordenen Fälle lassen allerdings besorgen, dass teilweise ein all zu laxer Umgang mit der neuen Norm praktiziert werden könnte - so soll in einem vor einem Landgericht anhängigen Verfahren der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige die Feststellungen eines anderen Sachverständigen aus dessen Privatgutachten erläutern. Die Parteien wurden weder dazu noch zur Person des Sachverständigen gehört. In einem anderen Verfahren hat das Gericht einen Sachverständigen hinzugezogen, um sich allgemein die Gefährlichkeit von Schimmelpilz in Wohnungen erläutern zu lassen - dort allerdings kommt es unter keinem Aspekt auf Gesundheitsgefahren an. 

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