Koalitionsvertrag und Cannabislegalisierung

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 27.11.2021

Zur Cannabislegalisierung, über die in den Medien bereits ausführlich berichtet wurde, enthält der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf Seite 87 Folgendes:

Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen.“

Dies ist auf den ersten Blick wenig erkenntnisreich, da offen bleibt, wie die Umsetzung konkret erfolgen soll.

In den letzten Jahren gab es folgende Vorschläge für eine Entkriminalisierung/Legalisierung von Cannabis:

- Vereinheitlichung des § 31a Abs. 1 Satz 1 BtMG und Umwandlung in eine Muss-Vorschrift (BT-Drs. 19/832),

- Einstufung von Cannabisdelikten zum Zwecke des Eigenkonsums in geringer Menge als Ordnungswidrigkeit,

- Einführung von Modellprojekten in verschiedenen Städten (vgl. BT-Drs. 19/515),

- kontrollierte Abgabe von Cannabis in Apotheken und

- kontrollierte Abgabe von Cannabis in sog. Fachgeschäften durch ein Cannabiskontrollgesetz (CannKG, s. BT-Drs. 19/819).

Die Formulierung im Koalitionsvertrag lässt darauf schließen, dass sich die Neuregelung am Cannabiskontrollgesetz orientieren könnte.

Meine persönliche Meinung dazu:

Ich bin ebenfalls der Auffassung, dass Eigenkonsumsdelikte von Erwachsenen mit Cannabis in geringer Menge nicht mehr als Straftat eingestuft werden sollten. Aus Jugendschutzgründen favorisiere ich jedoch die Ordnungswidrigkeitenlösung (s. dazu den Beitrag im Trierischen Volksfreund vom 5.11.2018: https://www.volksfreund.de/region/rheinland-pfalz/drogenexperte-kiffer-sollen-bussgeld-zahlen_aid-34279527), wobei die Zahlung des Bußgelds  – ähnlich wie in Portugal oder in der Schweiz – bei Teilnahme an einem Suchtberatungsgespräch entfallen könnte. Der Vorteil dieser Lösung: Entkriminalisierung von Konsumenten, wobei der Staat (vor allem für Jugendliche) weiterhin das Signal setzt, dass er Cannabis als problematische Droge nicht toleriert. Die Strafverfolgungsbehörden müssten keine Verfahren mehr bearbeiten, die ohnehin nach § 31a BtMG eingestellt werden, und als Ordnungswidrigkeit müssten Verstöße wegen des Opportunitätsprinzips nicht mehr zwingend zur Anzeige gebracht werden. 

Sollte das Cannabiskontrollgesetz tatsächlich Grundlage für eine Cannabislegalisierung sein, stellen sich für mich folgende Fragen:

1. Verdrängung des Schwarzmarktes:

Ein Ziel des Cannabiskontrollgesetzes ist die Verdrängung des Schwarzmarktes. Freigegeben werden können aus gesundheitspolitischen Gründen aber nur Cannabisprodukte mit einem nicht allzu hohen Wirkstoffgehalt für einen relativ hohen Preis. So sollen nach dem Cannabiskontrollgesetz (richtigerweise) Marihuana mit 4 Euro pro Gramm versteuert werden, Haschisch mit 5 Euro und Cannabisöl mit 6 Euro pro Gramm (§ 2 Cannabissteuergesetz-E). Damit wird der Verkaufspreis vermutlich nicht unter 15 bis 20 Euro pro Gramm liegen. Die Folge wird sein, dass auf dem Schwarzmarkt hochwertigere Cannabisprodukte zu geringeren Preisen angeboten werden, wie es gerade in den Staaten der USA festzustellen ist, die Cannabis für den "recreational use" freigegeben haben. Und da das Cannabiskontrollgesetz in § 42 selbst für professionelle Dealer außerhalb der Fachgeschäfte nur noch Freiheitsstrafen bis 3 Jahren vorsieht (heute in der Regel bis zu 15 Jahren), dürfte der Handel außerhalb der Fachgeschäfte weiterhin florieren…

Als Negativbeispiel sollten uns die Coffeeshops in den Niederlanden mit den bekannten Auswirkungen auf einen florierenden Drogentourismus dienen, wie ein Gutachten von Fijnaut und De Ruyver aus dem Jahr 2008 eindrucksvoll belegt. Neben den behördlich genehmigten Coffeeshops gab es in den Niederlanden unzählige „illegale“ Drogenhäuser, in denen Cannabis, aber auch alle übrigen Betäubungsmittel in nahezu unbegrenzter Menge verkauft werden. Fijnaut und De Ruyver kamen daher zu dem Ergebnis, dass die so hoch gepriesene Trennung der Märkte, eines der großen Ziele der niederländischen Drogenpolitik, nicht funktioniert und dass sich die „Coffeeshops zu einer Nahtstelle par excellence zwischen dem gewöhnlichen Konsumenten und der schweren (organisierten) Kriminalität entwickelt“ habe (Fijnaut/De Ruyver, Für eine gemeinsame Bekämpfung der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein, 2008).

Es fragt sich, wie dem vorgebeugt werden soll. Möglicherweise mit mehr Polizeipräsenz? Eine wirksame Strafverfolgung der im Schwarzmarkt tätigen Dealer, die bis zu 30 Gramm Cannabis zum Zwecke des Verkaufs außerhalb der Fachgeschäfte mit sich tragen, wird jedoch oftmals nicht mehr möglich sein. Denn Kleinhändler werden kaum noch von "legalen" Besitzern zu unterscheiden sein. Wie durch das Cannabiskontrollgesetz erreicht werden soll, den „illegalisierten Handel“ besser kontrollieren zu können (S. 1 des Entwurfs), erschließt sich mir angesichts dessen nicht...

2. Jugendschutz:

Oberstes Ziel des Cannabiskontrollgesetzes ist der Jugendschutz. Für mich bleibt aber offen, wie dieses Ziel erreicht werden soll, wenn der Erwerb von Cannabis durch Jugendliche nach dem Cannabiskontrollgesetz nicht mehr strafbar ist. Denn nach § 42 Abs. 1 Cannabiskontrollgesetz-E ist der Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis (egal woher es stammt und wie alt der Besitzer ist), nicht strafbar. Die Möglichkeit der staatlichen Einwirkung auf Jugendliche, die missbräuchlich Cannabis konsumieren oder auf dem Weg dahin sind oder bereits eine Abhängigkeit aufweisen, mit Hilfe eines auf Suchtprävention und -behandlung (z.B. durch Projekte wie FreD) ausgerichteten Jugendstrafverfahrens unter Zuhilfenahme der Jugendgerichtshilfe, geht verloren.

Außerdem wird der Verkauf von Cannabis an Jugendliche nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 CannKG-E nur noch als Delikt mit Bagatellcharakter ausgestaltet (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren) und wirkt damit wenig abschreckend. Bislang ist es ein Verbrechen…

Ich frage mich also, welche Präventionsmaßnahmen derart gut geeignet sein sollen, die Generalprävention eines Gesetzes und die ausgewogenen und bewährten Maßnahmen nach dem JGG sinnvoll und nachhaltig zu ersetzen.

3. Deckung des Bedarfs:

Bereits jetzt gibt es Engpässe bei der staatlich kontrollierten Versorgung von Apotheken mit Medizinalcannabis. Ich bin gespannt, wie der riesige Bedarf an Cannabis für den Freizeitkonsum gedeckt werden soll.

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