Verbot geschäftsmäßiger Suizidhilfe - neuer überparteilicher Gesetzentwurf

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 11.05.2022
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Etwas unter dem Radar der aktuellen Nachrichtenentwicklung (Ukrainekrieg, Aufhebung der Corona-Maßnahmen) hat eine überparteiliche Gruppe von 85 Bundestagsabgeordneten einen neuen Gesetzentwurf zum Thema Suizidhilfe vorgelegt (BT-Drs. 20/904 vom 7. März 2022).

Zur Erinnerung: Im Februar 2020 hat das BVerfG in einer sehr ausführlich begründeten Entscheidung den seit 2015 geltenden § 217 StGB für nichtig erklärt.

In der Entscheidung wird insbesondere auf das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ abgestellt, das aus dem Allg. Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleitet wird.

Leitsatz 1 der Entscheidung lautet:

a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.

c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

Zwar hat das BVerfG dem Gesetzgeber eingeräumt, zum Schutz des Lebens eine geschäftsmäßige Suizidhilfe auch strafrechtlich einschränken zu dürfen. Doch dürfe dies (auch nicht indirekt) dazu führen, dass einem Menschen, der sich selbstbestimmt das Leben nehmen wolle, faktisch gar keine Möglichkeit mehr eröffnet werde, sein Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch auszuüben. In der Folge des § 217 StGB hätten aber sämtliche denkbaren Anbieter solcher Suizidhilfe aufgrund des Strafrechtsrisikos ihre Tätigkeit einstellen müssen.

Leitsatz 4 der Entscheidung:

Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist grundsätzlich geeignet, deren effektiven präventiven Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtfertigen. Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.

Auch eine mittelbare oder faktische Verhinderung sei verfassungswidrig, wie der Leitsatz 2 konstatiert:

Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen.

Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf versucht, der Entscheidung des BVerfG gerecht zu werden, indem einerseits der Absatz 1  der nichtig erklärten Norm unverändert erneut als § 217 Abs. 1 StGB normiert werden soll. Den Einwänden des BVerfG will man mit einem sehr komplex formulierten Absatz 2 gerecht werden, dessen Kern darin besteht, dass die nach dem Tatbestand des Abs.1 strafbare geschäftsmäßige Suizidhilfe dann „rechtmäßig“ sei, wenn sie durch eine zweifache psychiatrische Begutachtung im Mindestabstand von drei Monaten vorbereitet wird. Die Begutachtung müsse bestätigen, dass der Suizidwunsch nicht auf einer psychischen Erkrankung beruht und nach „fachlicher Überzeugung das Sterbeverlangen freiwilliger, ernsthafter und dauerhagfter Natur“ sei. Zusätzlich ist danach ein Beratungsgespräch mit einer weiteren Fachkraft erforderlich, dessen Inhalte im Gesetzeswortlaut relativ genau dargelegt werden. Für den Fall einer unheilbaren fortschreitenden Erkrankung könne ausnahmsweise auf den zweiten Untersuchungstermin verzichtet werden.

Zusätzlich soll mit § 217a StGB die Werbung für die Suizidhilfe in gleicher Weise strafrechtlich unterbunden werden, wie es derzeit mit dem (noch) geltenden § 219a StGB hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs geschieht.

Die Bewertung des Vorschlags fällt zwiegespalten aus. Der Gesetzentwurf versucht möglichst viel vom vorherigen – für nichtig erklärten – Tatbestand des § 217 StGB zu erhalten und der Entscheidung des BVerfG im gerade erforderlichen Umfang nachzugeben. Das Verfahren, das jetzt eingeführt werden soll, erinnert mit der Beratungspflicht an §§ 218, 218a StGB. Das Ziel des Gesetzgebers, die geschäftsmäßige Suizidhilfe nur in solchen Fällen straffrei zu lassen, in denen eine freiverantwortliche ernsthafte Entscheidung des Suizidenten gesichert ist, soll durch zwei psychiatrische Untersuchungstermine abgesichert werden. Meines Erachtens wird aber die komplexe Regelung mit insgesamt drei Untersuchungs- bzw. Beratungsterminen, davon zwei psychiatrischen, dem „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ förmlich nur ganz knapp gerecht. Schon jetzt ist die (vorrangige) Krankenversorgung – insbesondere die psychiatrische – in vielen Regionen derart überlastet, dass Patienten kaum Termine bekommen. Ob dies bei Terminen zur Erlaubnis des selbstbestimmten Suizids anders wäre, kann ich mir kaum vorstellen. Dann aber bestünde der Einwand des BVerfG fort, der Gesetzgeber dürfe nicht mittelbar faktisch eine Geltendmachung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben hindern.

Update 28.6.2022:

In einem lesenswerten Artikel auf lto stellt Maximilian Amos nunmehr drei Gesetzentwürfe vor und vergleicht sie.

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3 Kommentare

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Dass die Entscheidungen des BVerfG auf Ernsthaftigkeit geprüft werden, indem man sie nicht großzügig umsetzt und zu den Rechten Betroffener im Zweifel sogar etwas mehr Abstand hält als verlangt, ist ja leider inzwischen normales Politikgeschäft. Nicht selten muss das Gericht sich deshalb mehrfach mit ähnlichen Themen auseinander setzen. Insofern nix Neues aus Berlin.

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Löst sich das Problem mit den Terminen nicht vielleich dadurch, dass eine solche Untersuchung vermutlich nicht über die GKV oder Pflegeversicherung abgerechnet werden kann und man die Untersuchungen als Privatpatient wahrnehmen und bezahlen muss? Weiß jemand, was die GOÄ dafür als Vergütung vorsieht?

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