Islamistische Straftäter nach Afghanistan abschieben?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 10.06.2024
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Anlässlich des offenbar islamistisch motivierten Anschlags eines afghanischen Staatsangehörigen in Mannheim forderte Bundeskanzler Scholz unter Beifall aus seiner Partei und teilweise aus der Opposition jüngst, Geflüchtete, die schwere Straftaten begangen haben, nach Afghanistan oder Syrien abzuschieben. Bislang herrschen hier noch Abschiebehindernisse. Neben den rechtlichen Hürden stellt sich aus diplomatischer Sicht wohl vor allem die Frage, ob man zum Zwecke der Abschiebung tatsächlich mit dem international geächteten Regime der Taliban zusammenarbeiten sollte.

Ganz besonders gilt dies aber, wenn es um Straftaten aus islamistischen Motiven gehen soll.

Man erinnere sich nur, warum 2001 der von der damaligen Bundesregierung unterstützte Krieg der USA gegen Afghanistan geführt wurde: Unmittelbarer Anlass war der weltweit größte und folgenreichste islamistische Terroranschlag, nämlich der vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York City. Die islamistische Terrororganisation Al Quaida bekannte sich dazu, und es stellte sich heraus, dass diese Terrorgruppe von Afghanistan aus operiert hatte, gestützt bzw. geduldet vom damaligen Regime der Taliban. Die Taliban wurden im Krieg der USA und der Verbündeten, zwischenzeitlich von der Macht in Kabul vertrieben, sind aber im August 2021 dorthin zurückgekehrt und haben ihr System wieder aufgebaut.

Zuvor haben die Taliban-Führer im Doha-Abkommen zwar versichert, sie würden jihadistischen Terror unter Kontrolle halten, zumal solchen, der die USA und den Westen gefährdet. An dem Umsetzungswillen gibt es aber ernsthafte Zweifel. Hier ein Auszug aus der Einschätzung der Konrad-Adenauer-Stiftung (vom Januar 2023):

„Das Doha-Abkommen vom 29. Februar 2020 zwischen den USA und der Taliban-Führung schien die Taliban als neuen potenziellen Sicherheitsgaranten gegenüber jihadistischen Gruppen wie dem ISKP aufzuwerten. Für viele Beobachter bleibt jedoch die Glaubwürdigkeit der Versprechen von Doha fraglich. Beide Seiten beschuldigen sich wiederholt, das Abkommen zu verletzen. Jedoch haben weder die USA noch die Taliban das Abkommen aufgekündigt. Für die neue De-facto-Regierung der Taliban dürfte es schwerfallen, der internationalen Gemeinschaft glaubhaft zu machen, dass sie willens und in der Lage ist, transnationale Terror-Gruppen, allem voran Al-Qaida und al-Qaida-nahen Gruppen, Einhalt zu gebieten. Ernsthafte Zweifel an ihrer Bereitschaft rühren in erster Linie daher, dass sie ihre Verbindungen zu Al-Qaida und den in Afghanistan ansässigen Mitgliedern nie aufgegeben hat. Ganz zu schweigen davon, dass die Taliban-Bewegung keinen wesentlichen Wandel in ihrer politischen Ideologie erkennen lässt. Zudem hat sich parallel dazu ein neuer Jihadismus in Afghanistan etabliert, der die Taliban-Machthaber herausfordert.“

„Der salafistische Jihadismus befindet sich in Afghanistan im Aufwind. Die derzeitige desolate politische und wirtschaftliche Lage im Land bietet ISKP ein enormes Potenzial, neue Mitglieder anzuziehen. Schätzungen zur Anzahl der ISKP-Mitglieder in Afghanistan schwanken zwischen 1.000 und 4.000. Unabhängig von den jeweiligen absoluten Zahlen wurde ein allgemeiner Anstieg der ISKP-Mitglieder seit 2021 festgestellt. Eine größere Zahl von etwa 2.000 ISKP-Mitgliedern konnte während der Machtübernahme der Taliban im August 2021 aus afghanischen Gefängnissen entkommen. Ein UN-Bericht vom Februar 2022 geht davon aus, dass die Zahl der ISKP-Mitglieder in Afghanistan wieder eine Größenordnung von 4.000 erreichen könnte.[8]  In Zukunft könnte ISKP von den Diskursen über lokale Missstände und der zunehmenden Ethnisierung der lokalen Debatten profitieren.“

„Für Deutschland, Europa und seine NATO-Verbündeten besteht derzeit keine konkrete Terror-Gefahr von in Afghanistan ansässigen Gruppen. Dies könnte sich jedoch innerhalb weniger Jahre ändern, falls Afghanistan als Ausbildungsstätte für ausländische Kämpfer oder radikalisierte Einzeltäter sowie als Rückzugsort für international operierende Terrororganisationen attraktiv werden sollte.“

„Nach der Machtübernahme durch die Taliban sehen die Aussichten für die Bekämpfung von Extremismus, Radikalisierung und ethnischen Spaltungen düster aus. Frühere Programme zur Wiedereingliederung ehemaliger afghanischer Kämpfer hatten keinen nachhaltigen Erfolg gezeigt. Die internationalen Wiederaufbaubemühungen hatten es weitgehend versäumt, das religiös-konservative Establishment in den lokalen Gemeinden wie Mullahs, Imame, Moscheeführer oder Gemeinderäte als Reformpartner einzubeziehen. Der religiöse Diskurs wurde weitgehend den Taliban oder radikalen Salafisten-Predigern überlassen.“

Und an diesen Staat soll Deutschland u.a. islamistische Straftäter (zurück-)schicken? Man will also nicht nur mit einer Regierung verhandeln, die von keinem anderen Staat der Welt anerkannt wird. Die Bundesregierung will Afghanistan auch noch Terrorpersonal frei Haus liefern? Und möglicherweise Geld ("wirtschaftliche Unterstützung") dazu legen?

Ich komme aus dem Kopfschütteln über eine solche Irrationalität  wirklich nicht heraus, selbst wenn es nur dem Wahlkampf geschuldet sein sollte und die parteipolitische Konkurrenz der Regierung von der konservativen Union bis hin zur rechtsextremistischen AfD diese Ansicht teilen mögen. Aber ich denke wirklich, es hat schon einmal bessere Ideen zur Sicherheitspolitik gegeben.

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