Kann man zu viele Freiheitsgrade bei einer Einbringung nach § 20 UmwStG haben? (FG Niedersachsen v. 7.2.2024 – 3 K 36/22)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 26.07.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2895 Aufrufe

Steuerlicher Übertragungsstichtag“ und kein Ende – bereits im Verschmelzungsteil des Umwandlungssteuergesetzes (§§ 3-19 UmwStG) gibt es genug Schwierigkeiten damit. § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG legt den Stichtag dadurch fest, dass (zwingend, BMF v. 11.11.2011, BeckVerw 254520, Tz. 02.03, 3. Absatz) der nach § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG maßgebliche Stichtag steuerlich zu übernehmen ist (BMF v. 11.11.2011, BeckVerw 254520, Tz. 02.02). Bestimmungen zur Festlegung des Stichtags durch die Beteiligten, also „übertragender“ und „übernehmender“ Rechtsträger, erübrigen sich hierdurch – für die Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers (§ 13 UmwStG) gilt die Rückwirkung ohnehin nur in den Fällen des § 2 Abs. 2 UmwStG (zB BFH v. 21.9.2017 – VIII R 59/14, BeckRS 2017, 136593). Dennoch kommt es bereits hier zu zahlreichen Konflikten (zB OLG Düsseldorf v. 12.1.2024 – I - 3 Wx 181/23, BeckRS 2024, 5304, zur handelsrechtlichen Schlussbilanz; FG Düsseldorf v. 13.3.2024 – 7 K 2491/21 F, BeckRS 2024, 8760, zur Berücksichtigung der Veränderungen im steuerlichen Einlagekonto nach § 29 KStG).

Im Einbringungsteil des Umwandlungssteuergesetzes (§§ 20-25 UmwStG) wird es dann noch „bunter“. Der Antrag auf Minderbewertung nach § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ist von der übernehmenden Gesellschaft zu stellen, die selbst aber kein Interesse an einer Minderbewertung hat. Diese Komplikation führt zu allerlei Unmut in Bezug auf das Verfahrensrecht („Drittanfechtung des Körperschaftsteuerbescheids“ der übernehmenden Gesellschaft, BFH v. 13.9.2018 – I R 19/16, BeckRS 2018, 37836 Rn. 16 ff.).

Durch § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG werden die „Freiheitsgrade“ – und damit auch die Verwicklungen – noch einmal erhöht: Danach sind das Einkommen und das Vermögen des Einbringenden und der übernehmenden Gesellschaft auf Antrag so zu ermitteln, als ob das eingebrachte Betriebsvermögen mit Ablauf des steuerlichen Übertragungsstichtags (§ 20 Abs. 6 UmwStG) auf die Übernehmerin übergegangen wäre. Durch diesen – ebenfalls von der übernehmenden Gesellschaft zu stellenden (BFH v. 19.12.2018 – I R 1/17, BeckRS 2018, 43783) – Antrag werden in Fällen ua der Ausgliederung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 UmwStG; § 123 Abs. 3 UmwG) die Wirkungen der Umwandlung für den Einbringenden und die übernehmende Gesellschaft auf einen Stichtag bezogen, der höchstens acht Monate vor der Anmeldung der Ausgliederung zur Eintragung in das Handelsregister liegen darf.

Wenn beide Anträge sich gegenseitig „in die Quere kommen“, wird es ernst: In einem neuen Urteil des FG Niedersachsen (v. 7.2.2024 – 3 K 36/22, BeckRS 2024, 4427, rkr.) wollte der Kläger sein Einzelunternehmen in eine neu gegründete Kapitalgesellschaft (§§ 152 ff. UmwG) gegen neue Anteile an der Übernehmerin einbringen (§ 20 UmwStG). Der Spaltungsvertrag für die Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG) sah vor, dass der übertragende Rechtsträger „auf den 31.12.2017, 24:00 Uhr, … für steuerliche Zwecke eine Übertragungsbilanz“ errichtet. Der übernehmende Rechtsträger sollte „auf den 01.01.2018 eine Eröffnungsbilanz, in der er die Buchwerte der Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers fortführt“, errichten. Die vielbeschworene „logische Sekunde“ des 31.12.2017, 24:00 Uhr, in der es zu einem „doppelten“ Ausweis, „nämlich sowohl in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft als auch in der steuerlichen Jahresbilanz der Übernehmerin“ (BFH v. 29.4.2020 – XI R 39/18, BeckRS 2020, 19813, Rn. 24) kommt (zB BMF v. 10.11.2021, BeckVerw 563450, Rn. 41), wurde damit zum Problem.

Denn die übernehmende Gesellschaft gab zunächst nur für den Veranlagungszeitraum 2018 ihre Bilanzen ab (am 17.7.2019), während sie mit Schreiben vom Vortag, 16.7.2019, bereits beantragt hatte, dass „die Einbringung bzw. Ausgliederung … mit steuerlicher Wirkung auf den 31. Dezember 2017 (handelsrechtlich zum 1. Januar 2018)“ erfolgen solle. Erst im weiteren Verlauf gab die übernehmende Gesellschaft am 3.3.2021 (!) eine steuerliche Schlussbilanz („Umwandlungsbilanz“) auf den 31.12.2017 ab, in der sie die Buchwerte des Einzelunternehmens ansetzte. Zusätzlich ergab sich das umkämpfte Problem des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG, da der Kläger im Rückwirkungszeitraum (1.1.2018-24.7.2018, Tag der Eintragung) Entnahmen in einem Umfang vorgenommen hatte, die aus (bisheriger) Sicht der Finanzverwaltung für den Buchwertansatz schädlich sind (BMF v. 11.11.2011, BeckVerw 254520, Tz. 20.19; dagegen BFH v. 7.3.2018 – I R 12/16, BeckRS 2018, 15272; geänderte Auffassung der Finanzverwaltung in BMF v. 11.10.2023, Tz. 20.19; Anfügung eines Satzes 5 in § 20 Abs. 2 UmwStG-E im Jahressteuergesetz 2024; Broemel/Westermann, DStR 2024, 1521, 1525).

Das FG Niedersachsen hat verfahrensrechtlich entschieden, dass in diesem Fall, in dem der klagende Einbringende geltend macht (Rz. 30),

der seiner Besteuerung zugrunde gelegte Veräußerungspreis sei dadurch falsch ermittelt, dass nicht der (für die Besteuerung des Einbringenden nach § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG verbindliche) tatsächlich von der übernehmenden Gesellschaft angesetzte Wert des Betriebsvermögens berücksichtigt worden ist,

die Anfechtung des Einkommensteuerbescheids des Einbringenden zulässig sei. Materiell-rechtlich war dann das Verhältnis von § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG und § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG zu klären – das FG Niedersachsen entscheidet sich dafür, dass der Antrag nach § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG auf Rückwirkung (vom 16.7.2019) maßgeblich sei – und nicht die Tatsache, dass die übernehmende Gesellschaft zunächst eine Bilanz für den Veranlagungszeitraum 2018 vorgelegt habe. Eine Präklusion nach § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG sei dadurch nicht eingetreten. Diese Auffassung wiederum strahlt auf die verfahrensrechtliche Vorfrage aus – wäre die Bilanz 2018 bindend gewesen, wäre eine Drittanfechtung des Körperschaftsteuerbescheids wegen Ablauf der Einspruchsfrist nicht mehr möglich gewesen. Diesen hatte das Finanzamt nämlich – die verfahrensrechtlichen Verwicklungen nicht antizipierend – (auch) dem Kläger bekanntgegeben.

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