Das Unionsrecht schützt beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer mit Wohnsitz in der Schweiz (BMF v. 5.8.2024)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 06.08.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2744 Aufrufe

Die Staatsangehörigkeit im Ertragsteuerrecht – sie spielt eine deutlich geringere Rolle, als Einsteiger in das Fach teilweise meinen. Insbesondere die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des § 1 Abs. 1 EStG knüpft allein an einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an, gerade unabhängig von der Nationalität (BeckOK EStG/Spilker EStG § 1 Rn. 80). Selbst die antragsgebundene unbeschränkte Einkommensteuerpflicht steht – trotz unionsrechtlichen Hintergrunds – allen natürlichen Personen offen (§ 1 Abs. 3 EStG). Durch die Abschaffung des § 6 Abs. 5 AStG a.F. mit seiner dauerhaften Stundung, die nur Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines EWR-Staates, die auch in einen solchen Zuzugsstaat verzogen, zur Verfügung stand (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG a.F.), ist die Bedeutung der Staatsangehörigkeit sogar zurückgegangen.

Geblieben sind indes Vorschriften wie § 2 AStG, der nur deutsche Staatsangehörige betrifft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG; BMF v. 22.12.2023, BeckVerw 632010, Tz. 14, 15) oder auch § 1 Abs. 2 EStG. Daneben ist in „Inbound-Fällen“ die Nationalität auch bei § 50 Abs. 2 EStG beachtlich. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG enthält die grundsätzliche Regelung zum abgeltenden Charakter des Einbehalts der Lohnsteuer, der Kapitalertragsteuer und der besonderen Abzugsteuer nach § 50a EStG für beschränkt Steuerpflichtige. Ausnahmen von dieser abgeltenden Wirkung enthält § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG. Diese können u.a. dazu genutzt werden, Werbungskosten, die beim Abzug von Abzugsteuern häufig nicht oder nicht vollumfänglich berücksichtigt werden können (zB § 43a Abs. 2 Satz 1 EStG), geltend zu machen. Daher kann eine Option zur Veranlagung für beschränkt Einkommensteuerpflichtige gerade bei inländischen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG, § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG) sehr interessant sein. Dies gilt insbesondere für Fälle, bei denen die Option zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) nicht denkbar ist (zB BFH v. 12.8.2015 – I R 63/14, BeckRS 2015, 96155).

Die entsprechende Regelung des § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG (zur historischen Entwicklung BFH v. 3.9.2020 – I R 80/16, BeckRS 2020, 35264 Rn. 21 ff.) klingt zunächst so, als ob sie allen beschränkt Steuerpflichtigen offenstünde. Allerdings enthält § 50 Abs. 2 Satz 7 EStG die Einschränkung, dass sie nur für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines EWR-Staates, die im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, gilt. Als „Verböserung“ müssen die so umschriebenen Steuerpfichtigen zusätzlich einen Progressionsvorbehalt für ihre übrigen Einkünfte hinnehmen (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG), der sonst nur „zeitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt Steuerpflichtige“ sowie erweitert beschränkt Steuerpflichtige (§ 2 Abs. 5 Satz 1 AStG) trifft (BMF v. 12.12.2023, BeckVerw 631000, Rz. 49 ff.).

Ist die Beschränkung auf EU/EWR-Bürger mit entsprechendem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt mit höherrangigem Recht vereinbar? Bezüglich der Diskriminierungsverbote der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen hat der BFH dies Frage bereits bejaht (zum DBA USA BFH v. 3.9.2020 – I R 80/16, BeckRS 2020, 35264). Was aber ist mit dem "besonderen Drittstaat“ Schweiz? Neben dem deutschen DBA aus dem Jahr 1971, das ebenfalls Diskriminierungsverbote enthält (BeckOK EStG/Fetzer EStG § 50 Rn. 201.1), hat die Europäische Union mit diesem ein „Freizügigkeitsabkommen“ (FZA) abgeschlossen. Dieses hat bereits im Kontext des § 6 AStG für Aufsehen gesorgt (BFH v. 6.9.2023 – I R 35/20, BeckRS 2023, 38842).

Im Zusammenhang mit der Option zur Veranlagung von beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern hatte der EuGH zuletzt entschieden, dass der Ausschluss des Wahlrechts zur Veranlagung des § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG eines deutschen Staatsangehörigen, der in der Schweiz ansässig ist, gegen das mit der Schweiz geschlossene Freizügigkeitsabkommen verstößt (EuGH v. 30.5.2024 – C-627/22, BeckRS 2024, 11612).

Mit BMF-Schreiben vom 5.8.2024 setzt die Finanzverwaltung das EuGH-Urteil nun um. Bei der Anwendung des § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG in Verbindung mit Satz 7 EStG soll daher „im Vorgriff auf eine gesetzliche Regelung“ in allen offenen Fällen der Antrag auch zulässig sein, wenn der  beschränkt steuerpflichtige Antragsteller Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines EWR-Staates ist, seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aber in der Schweiz hat.

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