EuGH: Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte II

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 12.08.2024
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1250 Aufrufe

Damit war zu rechnen, wenn auch nicht unbedingt in dieser Deutlichkeit. Schon im Verfahren Lufthansa City Line hatte der EuGH im vergangenen Jahr entschieden, dass Teilzeitbeschäftigte Überstundenzuschläge bereits bei Überschreitung ihrer individuellen Arbeitszeit beanspruchen können, (selbst) wenn der einschlägige Tarifvertrag solche Zuschläge (erst) bei Überschreiten der regelmäßigen, d.h. für Vollzeitbeschäftigte üblichen Arbeitszeit, vorsieht (EuGH, Urt. vom 19.10.2023 - C-660/20, NZA 2023, 1379). In einem weiteren Vorabentscheidungsverfahren, das vom Achten Senat das BAG parallel anhängig gemacht worden war, konnte der EuGH seine Überlegungen aus dem ersten Urteil nun präzisieren und ausbauen. Er weist insbesondere die Überlegung zurück, dass eine solche Regelung Vollzeitarbeit fördern und eine Benachteiligung von Vollzeitarbeitnehmern als Rechtfertigungsgrund durchgreifen könne:

1. Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit

ist dahin auszulegen, dass

eine nationale Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte nur für die Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit von sich in einer vergleichbaren Lage befindenden vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern hinaus gearbeitet werden, eine „schlechtere“ Behandlung von Teilzeitbeschäftigten im Sinne dieses Paragrafen 4 Nr. 1 darstellt, die nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf der einen Seite das Ziel verfolgt wird, den Arbeitgeber davon abzuhalten, für Arbeitnehmer Überstunden anzuordnen, die über die individuell in ihren Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, und auf der anderen Seite das Ziel, zu verhindern, dass Vollzeitbeschäftigte gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden.

2. Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen

sind dahin auszulegen, dass

zum einen eine nationale Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte nur für die Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit von sich in einer vergleichbaren Lage befindenden vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern hinaus gearbeitet werden, eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn erwiesen ist, dass diese Regelung einen signifikant höheren Anteil von Personen weiblichen Geschlechts als Personen männlichen Geschlechts benachteiligt, und zwar ohne dass die Gruppe der durch diese Regelung nicht benachteiligten Arbeitnehmer – die Vollzeitbeschäftigten – gleichzeitig aus erheblich mehr Männern als Frauen bestehen muss, und dass zum anderen eine solche Diskriminierung nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf der einen Seite das Ziel verfolgt wird, den Arbeitgeber davon abzuhalten, für Arbeitnehmer Überstunden anzuordnen, die über die individuell in ihren Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, und auf der anderen Seite das Ziel, zu verhindern, dass Vollzeitbeschäftigte gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden.

EuGH, Urt. vom 29.7.2024 - C-184/22 und 185/22 - KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V., BeckRS 2024, 18596

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