Ein neues, noch näher aufzuklärendes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte: Ein mutmaßlicher Stasi-Mitarbeiter erschoss Benno Ohnesorg

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 22.05.2009

Diese Meldung ist eine Sensation, wie auch die heutigen Medienberichte belegen (so z.B. ZDF Heute): Der Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg aus nächster Nähe erschoss, war Mitglied der SED und mutmaßlicher inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), ja vermutlich sogar eine "Spitzenquelle" für das MfS, wie Helmut Müller-Engberts meint (Quelle: FAZ vom 22.5.2009 S.1 [2]), der mit Cornelia Jabs durch Zufall die entsprechenden Unterlagen im Aktenbestand der MfS fand.

Der Schuss setzte der Studentenbewegung ein Fanal. Welches Signal wäre das für die studentische und außerparlamentarische Bewegung im Juni 1967 gewesen, wenn dieser Hintergrund bekannt gewesen wäre. Tatsache ist, dass der Schuss auf Ohnesorg für die weitere politische Entwicklung in der Bundesrepublik weitreichende Folgen hatte.

Dreimal stand der Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht und dreimal wurde er freigesprochen, weil seine Darstellung nicht widerlegt werden konnte, er habe sich in der aufgeheizten Stimmung des Tages von Demonstranten derartig gedrängt gesehen und sei von 12 Männern tätlich angegriffen worden, so dass er habe schießen müssen. Die zahlreichen Ungereimtheiten der Verfahren gegen Kurras beschreibt Uwe Soukup in seinem Buch "Wie starb Benno Ohnesorg?".

Der Aktenfund erhellt den Täter, nicht aber seine Tat, die jetzt noch mehr als bisher Rätsel aufwirft. Mit Blick auf die jetzt aufgetauchten 17 Aktenbände muss nun alles darangesetzt werden, die Tat  aufzuklären; denn es geht um ein wichtiges Stück deutscher Nachkriegsgeschichte. Vielleicht äußert sich Karl-Heinz Kurras jetzt nochmals dazu, was ihn zu dem Schuss auf Benno Ohnesorg motivierte. Auch die Staatsanwaltschaft Berlin wird sich hoffentlich nochmals mit diesem Fall befassen.

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7 Kommentare

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Für eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten von Herrn Kurras nach § 362 StPO sehe derzeit keinen Wiederaufnahmegrund. Über die Reform des Wiederaufnahmerechts zumal in Mordfällen, die sich Jahre später aufklären, haben wir im Blog bereits diskutiert.

Mein Gedanke, als ich schrieb, die Staatsanwaltschaft Berlin werde sich hoffentlich nochmals mit diesem Fall befassen, ging in erster Linie in eine andere Richtung, nämlich mit Blick auf diejenigen, die Kurras beim MfS geführt haben.

Stefan Aust schreibt in der gestrigen FAZ Nr. 118 S. 33: "Kurras war offenbar ein überzeugter Anhänger des DDR-Sozialismus, aus seinen Berichten wird deutlich, dass er eifrig, gehorsam und skrupellos seinen Spitzeldienste im Auftrag Ost-Berlins nachging. Er war ein Waffenfreak, bekam von seinem Dienstherrn sogar das Geld für eine zusätzliche Pistole. Der Vertrieb seine Zeit auf Schließplätzen, war also offenbar ein versierter Pistolenschütze. Einem solchen Mann soll die Pistole aus Versehen losgegangen sein?" Aust weist auch daraufhin, dass die Akte Kurras auch ein paar Merkwürdigkeiten aufweise, die mit einer bloßen Spitzeltätigkeit nicht ganz abgedeckt seien, so habe er  ungewöhnlich viel Geld von der Stasi bekommen.

Unabhängig von der Frage, ob strafrechtliche Ermittlungen noch möglich oder sinnvoll sind - dass ein "Auftragsmord" der Stasi vorliegt, dafür gibt es bisher ja auch keine Anhaltspunkte -  würde es mich nicht mehr überraschen, wenn (Vorsicht, Spekulation) jetzt noch herauskäme, dass die Stasi, um ihre Quelle zu schützen, auf das Strafverfahren gegen Kurras Einfluss genommen hätte. Der Freispruch Kurras ist für mich der eigentliche "Skandal" an dieser Geschichte und die Berliner Justiz hat sich damals nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Dass hier ein völlig unverständliches Urteil gefällt wurde, zeigt sich noch darin, dass es noch heute Mechthild Küpper in der FAZ nicht gelingt, die Sache juristisch einigermaßen korrekt darzustellen. Dort heißt es (auf Seite 2): "Er erschoss am Abend des 2. Juni 1967 in Berlin den Studenten Benno Ohnesorg. Angeklagt wurde er seinerzeit wegen fahrlässiger Tötung, er wurde mehrfach freigesprochen, weil ihm trotz des Ungehangens des Gerichts an seiner Darstellung der Vorgänge kein Vorsatz nachgewiesen werden konnte." Nein, Frau Küpper, man wollte ihn nicht einmal wegen Fahrlässigkeit verurteilen und nahm selbst die unglaubwürdigsten und widersprüchlichsten Darstellungen des Herrn Kurras zum Anlass, ihm einen Persilschein auszustellen.

In der taz wird heute Bommi Baumann dazu interviewt (S. 5). Auch wenn man seinen Angaben im Allgemeinen nicht unkritsich gegenüberstehen sollte, ist doch Folgendes recht aussagekräftig zur Bedeutung des Verfahrens:

"Was uns damals noch mehr verbittert hat als die Schüsse, war der Freispruch, den der Mann gekriegt hat. Der deutsche Staat hat diese Gerichtsfarce inszeniert, die Polizeigewerkschaft hat 60.000 DM für seine Verteidigung gesammelt, der Polizeiapparat stand voll hinter Kurras."

Natürlich wäre dies nicht passiert, wenn herausgekommen wäre, dass der Mann in Stasi-Diensten stand und SED-Mitglied war. Und dass dies nicht herauskam, daran hatte die Stasi das größte Interesse.

Aber diese Sachverhalte sind tatsächlich nicht mehr juristisch zu klären, sondern nur noch historisch.

Könnte/ müsste Herr Kurras nicht wenigstens disziplinarrechtlich für seine (von ihm mittlerweise zugegebenen) Stasi-Tätigkeiten belangt werden oder darf er damit rechnen, seine Pension weiterhin in voller Höhe zu erhalten, falls er nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden kann?

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@ABC

Berlins Innensenator Körting (SPD) hat gestern das zuständige Landesverwaltungsamt angewiesen, die Pensionsansprüche zu untersuchen (Quelle: FAZ vom 26.5.2009 Nr. 120 S. 1, 4). Das ist ein richtiger Schritt, aber es bedarf da noch einiger Aufklärung.

Zunächst hat Herr Kurras sowohl seine SED-Mitgliedschaft als auch seine IM-Tätigkeit bestritten. Zwischenzeitlich leugnet er "nur" noch, monatlich Geld für seine Tätigkeit erhalten zu haben, was aber ausweislich der Akten der Fall gewesen sein soll.

Auf die weiterhin laufenden Recherchen der Historiker in der Birthler-Behörde dürfen wir gespannt sein.

Vielen Dank für Ihre Antwort! Ich kannte gestern morgen die Online-Presseartikel hierzu leider noch nicht...

Laut SPIEGEL ONLINE Empörung über Pension für Stasi-Spitzel scheint es schwierig zu sein:

(...)Trotzdem hat das Landesverwaltungsamt von Berlin (LVWA) inzwischen ein Disziplinarverfahren gegen Kurras eingeleitet. Auftraggeber ist der Berliner Innensenator Erhart Körting (SPD). Um Kurras seine Pensionsansprüche abzuerkennen, müsse dem ehemaligen Polizisten allerdings ein schwerwiegendes Dienstvergehen nachgewiesen werden, sagte LVWA-Direktor Andreas Baumgart SPIEGEL ONLINE.(...)

Theoretisch ist es durchaus möglich, dass Kurras die Pension aberkannt wird, auch wenn dem hohe juristische Hürden entgegenstehen", sagt auch der Berliner Anwalt Alexander Friedhoff, Spezialist für Beamtenrecht. Abhängig sei ein solcher Schritt jedoch vom Umfang der Spitzeltätigkeit - von den Vorwürfen also, die auf Basis der Stasi-Unterlagen gegen Kurras erhoben werden.

Dazu kommt die Länge derartiger Verfahren: "Erfahrungsgemäß kann sich so etwas über mehrere Jahre hinziehen", sagt Friedhoff. Auch LVWA-Direktor Baumgart rechnet mit einer Verfahrensdauer von nicht weniger als drei Jahren. Gut möglich also, dass der heute 81-jährige Kurras den Ausgang nicht mehr erlebt.(....)

 

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Wenn auch etwas verspätet, so will ich doch zur Komplettierung der Diskussion nachtragen:

Nach einer dpa-Meldung (Quelle: FAZ vom 26.10.2009 S.7) ermittelt sowohl der Generalbundesanwalt als auch der Berliner Generalstaatsanwalt wegen einen gegen Kurras bestehenden Spionage- und Mordverdacht. Der Berliner Generalstaatsanwalt prüft aufgrund mehrerer privater Anzeigen, ob die Verfahren gegen Kurras wieder aufgerollt werden müssen.

Mal sehen, was dabei herauskommt.

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