Zum Beginn des Demjanjuk-Prozesses in München

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 01.12.2009

Nicht nur organisatorisch misslang der Prozessauftakt leider völlig, sondern man ließ es auch an der notwendigen Sensibilität fehlen, zumal wenn die Journalisten in der "Demjanjuk Sammelstelle" (Änderung um 22:44 Uhr: richtig muss es heißen "Sammelzone" siehe meinen Beitrag unten) warten mussten. Als Angehöriger der Münchner Justiz hätte ich es mir, wie auch viele meiner Richterkolleginnen und -kollegen, ganz anders gewünscht. Jetzt kann ich nur hoffen, dass aus den Fehlern die notwendigen Lehren gezogen werden.

Aber auch der anstehende Prozess kann nicht zum Ruhm der deutschen Justiz beitragen. Nicht nur der bereits von der Verteidigung am ersten Prozesstag formulierte Vorwurf der "Doppelstandards" wird den Prozess begleiten (Warum Demjanjuk als einem ganz kleinen Rad in der Mordmaschinerie und nicht die anderen?), sondern auch die Frage, wie es die deutsche Justiz mit Naziverbrechen hielt und hält.

In der heutigen FAZ Nr. 279 zitiert der Journalist Friedrich Schmidt aus gutem Grund den emeritierten Strafrechtslehrer Christiaan F. Richter von der Universität Amsterdam mit den Worten: "Um Demjanjuk würde sich niemand kümmern, wäre an ihn nicht der Kilo hängen geblieben, er sei ´Iwan der Schreckliche` - der er nachweislich nicht ist." In den Köpfen vieler dürfte sich diese Verwechslung aber fest gesetzt haben.

Wichtig ist jetzt, wie vor den Augen der Weltöffentlichkeit dieser Prozess bei der Wahrheitssuche abäuft, dessen Beweisführung vor allem an einem mit Dienstausweis der SS hängt. Der Angeklagte will keine Angaben machen. Ausgang des Verfahrens offen.

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13 Kommentare

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Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Sammelstelle:

"Eine Sammelstelle hat mehrere Bedeutungen:

  • bei der Polizei, beim Rettungsdienst, bei der Feuerwehr und beim Katastrophenschutz Stätten (Plätze/Räume),
  • bei der Sammlung von Stoffen beispielsweise die
    • die Abfallsammelstelle."

Was haben Sie gegen die Verwendung des Begriffs "Sammelstelle"?

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Genauer gesagt stand dort "Demjanjuk Sammelzone" in der die Leute eingepfercht wurden  -  "bereithalten für die Selektion" zum Einlaß oder was hat sich der Verantwortlich gedacht (falls er/sie gedacht hat)? Ich hätte mir wirklich etwas mehr Fingerspitzengefühl von der Münchener Justiz gewünscht. Ich hoffe der weitere Ablauf des Verfahrens entwickelt sich zum Besseren.

 

MfG

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@ Gordi und Ze´ev

Nicht "Sammelstelle", sondern richtig hätte es in meinem Beitrag "Sammelzone" heißen müssen. Besten Dank für Kritik bzw. den zutreffenden Hinweis. Ich habe gerade nochmals die Pressefotos durchgesehen und fand im Beitrag des Münchner Merkur S. 11 auch das entsprechende Foto.

Ob Sammelstelle oder -zone, beides keine guten und auch keine üblichen Begriffe. "Wartezone" wäre schon besser; oder "Zuhörer/Presse xy-Prozess bitte hier warten".

Und warum lässt man Nebenkläger/Zeugen überhaupt draußen warten?

Die im SZ-Artikel (hier) angesprochenen Raumprobleme hätte man auch absehen können, wenn sich schon 270 Journalisten akkreditieren. Aber insofern stimme ich mit den dort wiedergegebenen Stimmen überein - eine Verlegung in ein Theater , Kino o.ä. kommt nicht in Frage, ebenso wenig eine Videoübertragung in einen anderen Raum. Und es bestätigt sich offenbar, was man eigentlich bei solchen "sensationellen" Prozessen immer wieder bemerken kann: Ab dem zweiten Sitzungstag erlahmt das Medien- und Publikumsinteresse, da ist der Saal plötzlich leer.

Dass "draußen" die Leute warten, das darf es nicht geben, wenn alle anderen (nach Sicherheitsüberprüfung) das Strafjustizzentrum betreten können!

Wenn sich 270 Journalisten akkreditieren und seitens des Vorsitzenden keine Poolbildung erfolgt, dann würde ich die Videoübertragung in einen anderen Sitzungssaal bevorzugen, bevor ein Teil in den besetzten Sitzungssaal nicht mehr eingelassen werden kann. Meiner Erinnerung nach hat das BVerfG dies vor einigen Jahren auch abgesegnet. Ich bemühe mich, die Entscheidung noch nachzutragen. 

Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist ein Griundpfeiler im Strafprozess und - wenn möglich - sollte dem in einem möglichst weitem Umfang Rechnug getragen werden. Mir wäre die Übertragung lieber als der Hinweis: kein Platz mehr im Sitzungsssaal  

Im Rahmen dieses Prozesses drängt sich die Frage auf: "Was soll das eigentlich?". Auch wirft dieser Prozess interessante strafrechtliche Fragen/Probleme auf - insbesondere: "Wie verantwortlich ist das ausführende Organ, welches selber unter erheblichen Druck (Angst vor der Tötung) stand?". Kann man diese Frage eigentlich beantworten?

 

Interessant ist auch, dass die Aufklärung und Aburteilung der Nazi-Verbrechen durch die deutsche Justiz bisher kaum bis gar nicht (zum Teil sehr widerwillig) erfolgt ist. Andere Verfahren dieser Art führten bislang auch zumeist zu Freisprüchen. Hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren angesichts der gängigen Rechtsprechung (und dünnen Beweislage) nicht einstellen müssen?

 

Auch kann das Prozessgericht hier nur verlieren - Verurteilt man Herrn Demjanjuk - wird man auch die anderen Nazi-Verbrecher auf der untersten Stufe (von denen noch einige leben) zur Verantwortung ziehen müssen. Spricht man ihn frei, wird es heißen, die Deutschen sind noch immer Nazis. Ein Dilemma.

 

Aus meiner Sicht sollte sich die Strafrechtswissenschaft (und die Historiker zur Frage der Freiwilligkeit der "Trawinki") zunächst mit der Frage der Verantwortlichkeit der "untersten Stufe" beschäftigen - insbesondere, wenn es sich selber um Gefangene handelt.

 

Abschließend muss ich sagen, als deutscher Jurist beschämt mich dieses Verfahren. Nicht etwa weil (endlich) versucht wird, dass die Nazi-Verbrechen juristisch aufgearbeitet werden, sondern die Art und Weise. Herrn Demjanjuk hängt nach, dass der "Iwan der Schreckliche" sein soll, der er nachweislich nicht ist. Was das Verfahren hier bewirken soll ist mir schleierhaft - erscheint aber mehr als unwürdig.

 

 

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@ MS

(1) "Was soll das eigentlich?" - Das in § 152 Abs. 2 StPO niedergelegte Legalitätsprinzip zwingt zur Verfolgung. Nach den durchgeführten Ermittlungen kam die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist. Bei den gegebenen Tatvorwurf zwang dies zur Anklage. Ganz dünn erscheint mir vorliegend die Beweissituation nicht, nachdem das Bayerische Landeskriminalamt die Echtheit des Dienstausweises bestätigt hat.

(2) Demjanjuk will sich zum Tatvorwurf nicht äußern. Gleichwohl wird sich das Gericht mit der aufgeworfenen Problematik befassen müssen, unter welchem Druck der Angeklagte stand. Zumindest nicht auszuschließen ist, dass dies ein Grund (entschuldigender Notstand) für einen Freispruch geben könnte.

(3) Wahrlich: Für die Justiz leider eine no-win-Situation.

(4) "Was das Verfahren bewirken soll?" - Die Antwort ist schlicht: Die Aufklärung des Tatvorwurfs in öffentlicher Hauptverhandlung. Pathetischer: Die Hauptverhandlung soll die Wahrheit ans Licht und Gerechtigkeit für die Opfer bringen. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.

Ein nachdenklicher, lesenswerter Kommentar des in Warschau lebenden Slawisten Gerhard Gnauck (in der Welt). Gnauck zweifelt, ob Demjanjuk ein individueller Schuldanteil nachweisbar sein wird. Insbesondere geißelt er die Überzeugung der Staatsanwaltschaft, die von "Rassevernichtungswillen" spricht, obwohl D. nicht viel mehr war als ein Kriegsgefangener, der sich mit dem Teufel verbündet hat, um sein Leben zu retten:

http://www.welt.de/die-welt/kultur/article5471474/Eine-Frage-der-Schuld....

Was tun mit einem Angeklagten, der schweigt, während Belege über individuelle Schuld völlig fehlen? Nicht nur eine solche Schuld will die Anklage ihm nachweisen. Sie behauptet darüber hinaus, der Angeklagte - ein Jahr zuvor verwundeter Kriegsgefangener der Deutschen, zwei Jahre danach Kraftfahrer der U.S. Army - habe den Rassevernichtungswillen der NS-Ideologie in sich aufgenommen und bereitwillig an der Tötung von Juden mitgewirkt, weil er sie aus rasseideologischen Gründen selbst gewollt habe. Das klingt, als wolle sich die Staatsanwaltschaft in dem Dunkel, in dem sie tappt, selbst Mut zusprechen.

Abschließend aber ein versöhnlicher Schlusssatz, den sicher die meisten unterschreiben können:

Hoffen wir also darauf, dass das Gericht dem Freispruch voller Zweifel gegenüber einer Verurteilung voller Zweifel den Vorzug gibt. Hoffen wir darauf, dass Demjanjuk am Ende doch noch etwas sagt. Aber bei allen Zweifeln im Einzelfall - eine wichtige Gewissheit war in München, anders als bei manchen früheren NS-Prozessen, mit Händen zu greifen: Wir wissen auch ohne Demjanjuk, was in Sobibor geschehen ist. Dieses Wissen kann niemand mehr erschüttern.

Wer sich für den Prozess interessiert, dem lege ich den Prozessbericht von Frau Gisela Friedrichsen im
SPIEGEL Nr. 50 vom 7.12.2009 S.75 ff ans Herz mit der Unterüberschrift "Ist die Justiz gnadenlos? John Demjanjuk mimt vor dem Landgericht München das sterbende Opfer und verhöhnt damit die Hinterbliebenen."

Mit vielen Kolleginnen/Kollegen habe ich über diesen Artikel diskutiert und dabei ganz vergessen, auf ihn im Blog aufmerksam zu machen.

Ich möchte gern auf eine Wiederholung einer Arte-Dokumentation am kommenden Samstag 12.12. hinweisen:

Mittwoch, 9. Dezember 2009 um 21.50 Uhr

Wiederholungen:
12.12.2009 um 14:55
Der Fall Ivan Demjanjuk
(Deutschland, 2009, 45mn)
SWR
Regie: Wolfgang Schoen, Frank Gutermuth, Sebastian Kuhn

Arte schreibt hierzu:

http://www.arte.tv/de/woche/244,broadcastingNum=1047151,day=1,week=51,ye...

Bei dem Prozess in München geht es aber nicht nur um Schuld oder Unschuld des Angeklagten Ivan Demjanjuk, es geht auch um die Glaubwürdigkeit der deutschen Justiz bei der Verfolgung von NS-Verbrechen. Deutsche SS-Männer mit einem vergleichbaren Rang wie Demjanjuk, die in Sobibor oder in anderen Vernichtungslagern Dienst taten, wurden von westdeutschen Gerichten nur dann verurteilt, wenn ihnen konkrete Mordtaten oder die Teilnahme an Exzessen nachgewiesen werden konnten. Sonst wurden sie freigesprochen.
Im Fall des Ivan Demjanjuk ist die Beweislage dünn, das räumen sogar die Ermittler der Zentralen Stelle ein. Der SS-Ausweis Demjanjuks und Verlegungslisten sind die einzigen Beweise und die zeigen nur, dass Demjanjuk 1943 in Sobibor war, nicht, dass er dort eigenhändig getötet hat. Der Niederländer Christiaan F. Rüter, einer der profiliertesten Kenner der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Deutschland, hält eine Verurteilung Demjanjuks deshalb für sehr unwahrscheinlich.
Christiaan F. Rüter: "...es ist mir völlig schleierhaft, wie irgend jemand, der die deutsche Rechtsprechung bis jetzt kennt, meinen kann, dass man ... Demjanjuk bei dieser Beweislage verurteilen kann."
Folgt das Gericht der jahrzehntelangen Rechtspraxis in der Bundesrepublik, kann es Demjanjuk aufgrund dieser Beweislage nicht verurteilen. Tut es das doch, dann verstößt es gegen das Gleichheitsprinzip und die deutsche Justiz muss sich fragen lassen, warum all die anderen NS-Täter nicht verurteilt wurden. Wird Demjanjuk aber freigesprochen, wird sie viel Kritik einstecken müssen für den fragwürdigen und außerhalb Deutschlands immer wieder kritisierten schonenden Umgang mit NS-Tätern.
Christiaan F. Rüter: "Wird verurteilt, dann frag ich, wo sind die tausend deutschen KZ-Bewacher? Wird nicht verurteilt, dann wird klar, dass alle Deutschen noch Nazis sind. Dieses Verfahren kannst du politisch nicht gewinnen."
Damit scheint ein Verlierer des Prozesses bereits festzustehen: die deutsche Justiz.

 

Eine kleine Randnotiz:

Samuel K. wird in München als Zeuge aussagen. Er gibt ganz offen zu: Auch ich war Trawniki.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-67596356.html

Angeklagt wurde er nie. Vielleicht ändert sich das aber noch. Erste Vorermittlungen gegen den 89-Jährigen wurden aufgenommen. Auch hier mag man sagen: besser spät als nie. Nur drängt sich die Frage auf: Warum erst jetzt?

Als Beschuldigter wurde K. nie geführt, damals interessierte die Justiz sich allenfalls für Haupttäter - und auch die kamen oft ungeschoren davon. Beispielsweise endete das Verfahren gegen den Trawniki-Kommandanten und SS-Sturmbannführer Karl Streibel 1976 in Hamburg mit einem Freispruch. Nachrangige ausländische SS-Gehilfen, darin waren sich deutsche Ämter bis vor wenigen Jahren einig, sollten nicht strafrechtlich verfolgt werden.

Erst das Verfahren gegen Demjanjuk signalisiert eine späte, sehr späte Kehrtwendung der Justiz.

@ Tribble #11:

"hat möglicherweise 1947 im Raum Ulm vorsätzlich einen Menschen überfahren, der möglicherweise Jude war" "private Ermittlungen"

Auch wenn 1947 schwere Zeiten waren: das fällt erst jetzt jemandem auf? Grotesk.

Natürlich verfüge auch ich über keine weiteren Kenntnisse als das, was über die Medien verbreitet wurde. Mir erscheint das aber auch bizarr und ich will die Meldung zunächst einmal nicht ernst nehmen. Richtig ist es allerdings, dass die zuständige Staatsanwaltschaft dem jetzt mal nachgeht.

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