"No-Angels"-Sängerin Nadja Benaissa zu zweijähriger Bewährungsstrafe verurteilt

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 26.08.2010

Das Amtsgericht Darmstadt hat die 28-jährige Sängerin Nadja Benaissa der Gruppe No-Angels wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen antragsgemäß zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt (Bericht auf n-tv hier). Als Bewährungsauflage sind 300 gemeinnützige Arbeitsstunden in einer Einrichtung zu leisten, die HIV-Infizierte betreut, zudem muss die Sängerin eine Psychotherapie absolvieren.

Die Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung gestanden, im Wissen um ihre HIV-Infektion mit zwei Männern ungeschützten Sex gehabt zu haben. Ein Partner, der im Prozess als Nebenkläger auftrat, infizierte sich. Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass die Angeklagte ihre Partner zwar „nicht absichtlich in Gefahr“ gebracht, jedoch „zumindest billigend in Kauf genommen“ habe, diese anzustecken.

Eine zweijährige Bewährungsstrafe bildet die äußerste Grenze. Juristisch wäre schon deshalb im Fall eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft die Entscheidung problembehaftet. Ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wird es nicht geben, gleichwohl wird dieses Urteil kontrovers diskutiert werden.

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7 Kommentare

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@ Mat

Das ist genau die Frage, wenn das erkannte Risiko sich auch tatsächlich verwirklicht.

Der Bericht auf n-tv, auf den ich eingangs verlinkt habe, schließt mit folgendem Absatz:

>> Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) kritisierte die Gerichtsentscheidung: "Ich halte dieses Urteil für falsch. Es wird der HIV-Prävention dramatischen Schaden zufügen. Wir sehen die Politik nun in der Pflicht, das Strafrecht der Lebensrealität anzupassen", erklärte DAH-Bundesvorstandsmitglied Carsten Schatz. Die DAH-Frauenreferentin Marianne Rademacher ergänzte: "Wenn die Verhütung vor allem Frauen und HIV-Positiven einseitig zugeschrieben wird, setzen wir die gemeinsame Verantwortung zweier Menschen außer Kraft." <<

Das zweite Statement leuchtet mir ein (Stichwort für Strafrechtler: Fremd- oder Selbstgefährdung?); die erste Aussage erschließt sich mir nicht.

 

JBY.bernd.heintschel-heinegg schrieb:

>>Die DAH-Frauenreferentin Marianne Rademacher ergänzte: "Wenn die Verhütung vor allem Frauen und HIV-Positiven einseitig zugeschrieben wird, setzen wir die gemeinsame Verantwortung zweier Menschen außer Kraft." <<

Das zweite Statement leuchtet mir ein (Stichwort für Strafrechtler: Fremd- oder Selbstgefährdung?); die erste Aussage erschließt sich mir nicht.

Die durchaus nachvollziehbare Meinung, ob und wie verhütet wird, liege in der gemeinsamen Verantwortung der Geschlechtspartner, lässt keinen unmittelbaren Rückschluss auf die juristisch relevante Frage zu, wer die Schuld an den Folgen einer Infektion trägt. Der Punkt ist, dass einer von beiden diese Verantwortung nicht zu seinem Wohle wahrnehmen konnte, weil ihm durch den anderen der nötige Kenntnisstand vorenthalten wurde. Die am prägnantesten von Gisela Friedrichsen dem Urteil entgegen gehaltene Behauptung, das Opfer hätte sich doch selbst schützen können und müssen, legt hingegen eine autistische Entscheidungsfindung der Partner beim gemeinsamen Geschlechtsverkehr zugrunde und löst die eben noch postulierte Verantwortungsgemeinschaft wieder auf.

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Ganz schön happig. Denn was heißt das Urteil übersetzt: Sie hat willentlich und wissentlich jemand anderen mit HIV anstecken wollen. Ob das wirklich das Ergebnis der Hauptverhandlung ist?

Ich kann mir das nicht so vorstellen. Die ganzen Berichte vom Prozess zielten doch eher in Richtung fahrlässiger Umgang und auch nicht in Richtung Ansteckungsvorsatz

In der LTO gibt es dazu ein interessantes Interview mit dem Hinweis, dass hier an sich auch ein dolus eventualis ausscheide:

http://www.lto.de/de/html/nachrichten/1299/Zwei-Jahre-auf-Bewaehrung-ein...

 

Im Übrigen ist es natürlich auch nicht hilfreich, dass man ungeschützten Verkehr als sozialadäquant bezeichnet, denn damit dämmt man diese Erkrankung (mit den anderen Geschlechtskrankheiten) natürlich nicht ein und führt natürlich auch nicht zu einem gesteigerten Problembewusstsein. Denn danach muss ja schließlich jeder davon ausgehen, dass der fremde Sexualpartner stets kerngesund. Eine abenteuerliche Vorstellung.

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egal schrieb:

Denn danach muss ja schließlich jeder davon ausgehen, dass der fremde Sexualpartner stets kerngesund. Eine abenteuerliche Vorstellung.

 

Und das ausgerechnet in einer Disco, wo die Dichte sexuell aktiver Menschen mit Abstand am höchsten ist. Die zumutbaren Intervalle bei regelmässigen Tests sind auch zu gross um eine Infektion zwischen den Tests sicher auszuschliessen. Von daher kann selbst ein verantwortungsbewusster sexuell aktiver Mensch unter keinen Umständen mit Sicherheit davon ausgehen, dass keinerlei Infektion mit was auch immer vorliegt. Sozialadäquates Verhalten im Nachtleben kann demnach nur sein, dem potenziellen Sexpartner und sich selbst eine Infektion zu unterstellen und sich entsprechend zu verhalten.

Und das Problem mit der Prävention ist doch, wer lässt sich denn nach solchen Urteilen noch Testen? Damit vor Gericht Aussage gegen Aussage steht wenn es trotz safer Sex zu einer Infektion kommt und man eine hohe Freiheitstrafe riskiert?

Kann man eigentlich herausbekommen ob die Richter, die solche Urteile sprechen, Mitglieder fundamentalistischer Sekten sind oder sich im rechtsradikalen Umfeld bewegen?

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loellie schrieb:

Und das Problem mit der Prävention ist doch, wer lässt sich denn nach solchen Urteilen noch Testen?

Möglicherweise diejenigen, die ihre Partner/innen nicht anstecken bzw. nach potentiellen Risikokontakten Gewissheit haben möchten. Gerüchteweise hört man ja auch, dass eine medizinische Behandlung durchaus sinnvoll sein kann.

Aber Hauptsache schön sachfremd polemisieren…

 

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Das die Einschätzung sämtlicher im deutschen Sprachraum tätiger AIDS-Hilfen und Selbsthilfegruppen hier als sachfremde Polemik bewertet wird war vorhersehbar.

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