Der depressive Mann (mit Krampfadern)

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 09.03.2012
Rechtsgebiete: TrennungsunterhaltErwerbspflichtFamilienrecht6|5662 Aufrufe

Sie ist Ärztin, er gelernter Bauzeichner. Ein Studium für Industriedesign hat er bereits vorehelich abgebrochen. Nach der Heirat 1989 (die Ehe blieb kinderlos) hat er in der Praxis seiner Frau Hilfstätigkeiten ausgeführt.

Trennung im August 2008. Man einigte sich zunächst auf einen Trennungsunterhalt von 2.300 € (zuzüglich Krankenkassenbeitrag) bis Juli 2009.

Ab August 2009 begehrt er weiter Trennungsunterhalt mit der Begründung, er könne nicht arbeiten, da er unter einer Depression leide.

Für die Zeit von August 2009 bis Dezember 2010 hält das OLG ihn nach Einholung eines Sachverständigengutachtens für halbschichtig erwerbspflichtig und unterstellt ihm ein fiktives Einkommen von 620 €.

Ab Januar 2011 nimmt das OLG vollschichtige Erwerbsfähigkeit an:

Wenn der Kläger alle ihm zumutbaren Maßnahmen unternommen hätte, um seine Erwerbstätigkeit wieder herzustellen, hätte er ab Januar 2011 wieder vollschichtig arbeiten können. Ihn traf insoweit eine Obliegenheit, alle zumutbaren Mitwirkungshandlungen zu unternehmen, um seine Krankheit behandeln zu lassen. Diese Verpflichtung zur Wiederherstellung seiner Gesundheit hat der Kläger verletzt. Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit der Kläger; Zweifel gehen deshalb zu seinen Lasten.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. im Termin kann zurzeit bei der Suche nach einem Therapieplatz mit einer Wartezeit von 14 Wochen gerechnet werden. Bei einer Behandlungsdauer von 3-4 Monaten hätte der Kläger spätestens bis Dezember 2010 die Therapie erfolgreich absolvieren können. Dabei geht der Senat davon aus, dass eine Krankheitseinsicht erst im Januar 2010 vorgelegen hat.

Die Bemühungen des Klägers, einen Therapieplatz zu finden, genügen nicht den Anforderungen. Es reicht nicht aus, sich lediglich überwiegend telefonisch an die Therapeuten zu wenden, auf den Anrufbeantworter zu sprechen bzw. auf einen Rückruf zu warten. Der Kläger hätte in der Praxis vorsprechen können und in den Fällen, in denen kein Ansprechpartner vorhanden war, ggf. warten müssen. Darüber hinaus hätte sich der Kläger auch an seinen Hausarzt oder die Krankenkasse wenden können. Dies hat der Kläger vorwerfbar unterlassen, so dass ihm ein fiktives Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit zuzurechnen ist.

Dass anderweitige körperliche Einschränkungen der Aufnahme einer vollschichtigen Tätigkeit entgegenstehen, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt; Krampfadern hindern die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in der Regel nicht.

Bei nun fiktivem Einkommen von 1.100 € errechnet der Senat einen Anspruch des Mannes auf Elementarunterhalt in Höhe von gerundet 1.348,00 € zuzüglich Altersvorsorgeunterhalt von gerundet 401,00 €.

OLG Hamm v. 13.02.2012 - II-6 UF 176/11

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6 Kommentare

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Yvonne Winkler schrieb:

Hilfe zur Selbsthilfe könnte man das nennen.

Ja.

Wäre schön wenn das auch bei Frauen zur Regel werden würde.

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In vergleichbaren Fällen sollte für Männer, wie für Frauen das Gleiche gelten.

Also kinderlose Ehe etc.

 

 

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Die Argumentation spricht der Natur der Krankheit Depression Hohn - deren Kennzeichen ist ja gerade die Passivität und Handlungsunfähigkeit. Dies dem Patienten vorzuwerfen und zum Nachteil anzurechnen, ist genauso logisch wie wenn man Frauen die Kosten für Kindererziehung komplett aufbürden würde, denn naturgemäß können ja nur sie schwanger werden...

habe mir auch gedacht, dass aus dem Urteil eine völlige Unkenntnis der Symptomatologie einer Depression spricht.

Auch in unserem Alltagssprachgebrauch kennzeichnen wir alle ja mit dem Begriff Depression einen Zustand, der eine alltäglich merkbare Neigung zu freudestrahlendem, das Leben in Angriff nehmen wollendem, völlig hoch motiviertem, glücklichen Verhalten ausdrücken soll. Wenn ich mich recht erinnere.

Ich habe mal eine Frau gekannt, die nannte das Gefühl dieses Zustandes "einen grauen, nassen Schwamm im Nacken haben." Man fühlt nichts mehr, weder für sich noch für andere.
Völlig logisch stringent kann man da eine ausbleibende Motivation, selbst eine Therapie einzuleiten, dem Erkrankten zur Last legen.
Genauso wie man damit logisch stringent einem Querschnittsgelähmten (wegen Ungebührlichkeit) zur Last legen kann, dass er sich vor Gericht nicht erhebt.

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Wie im Urteil ausgeführt, ist das Ganze gutachterlich begleitet worden. Die fehlende Krankheitseinsicht (auch typisch für die Depression) wurde ihm nicht angelastet. Danach aber hätte er sich kümmern müssen. Zwar ist die Antriebslosigkeit ebenfalls Bestandteil der Erkrankung, aber es gibt verschiedene Ausgestaltungen dieser Erkrankung und wie genau sich der Fall verhalten hat, ist allein aufgrund des Urteils nicht zu ermessen. Dazu müsste man mindestens die Akte kennen, besser noch dabei gewesen sein.

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