BVerwG: Gesetzgeber muss Streikrecht der Beamten neu regeln

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 27.02.2014

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, Regelungen zum Streikrecht der Beamten zu treffen. Bislang entsprach es in Deutschland herrschender Auffassung, dass Beamten wegen Art. 33 Abs. 5 GG ein Streikrecht nicht zustehe. Das galt unabhängig von der konkret ausgeübten Funktion, also auch für diejenigen Beamten, die - wie zB Lehrer - keine hoheitliche Funktion ausüben. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR war diese Auffassung allerdings zunehmend in Frage gestellt worden. Den Widerspruch zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der EMRK und dem deutschen Verfassungsrecht könne nur und müsse der Gesetzgeber auflösen (BVerwG, Urt. vom 27.2.2014 - BVerwG 2 C 1.13).

Verfassungsrechtliches Streikverbot

Die verfassungsrechtlich geprägte innerdeutsche Rechtslage fasst das BVerwG so zusammen: "Für alle Beamten (gilt) unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich ein generelles statusbezogenes Streikverbot, das als hergebrachter Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG Verfassungsrang genießt. Dieses Streikverbot gilt auch für Beamte außerhalb des engeren Bereichs der Hoheitsverwaltung, der nach Art. 33 Abs. 4 GG in der Regel Beamten vorbehalten ist. In der deutschen Rechtsordnung stellt das Streikverbot einen wesentlichen Bestandteil des in sich austarierten spezifisch beamtenrechtlichen Gefüges von Rechten und Pflichten dar. Es ist Sache der Dienstherren, diese Rechte und Pflichten unter Beachtung insbesondere der verfassungsrechtlichen Bindungen zu konkretisieren und die Arbeitsbedingungen der Beamten festzulegen."

Europäische Menschenrechtskonvention gestattet Arbeitskämpfe auch für Beamte

"Demgegenüber entnimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als authentischer Interpret der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) deren Art. 11 Abs. 1 ein Recht der Staatsbediensteten auf Tarifverhandlungen über die Arbeitsbedingungen und ein daran anknüpfendes Streikrecht. Diese Rechte können von den Mitgliedstaaten des Europarats nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK nur für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der hoheitlichen Staatsverwaltung generell ausgeschlossen werden. Nach der Rechtsprechung des EGMR gehören nur solche Staatsbedienstete - unabhängig von ihrem Rechtsstatus - der hoheitlichen Staatsverwaltung an, die an der Ausübung genuin hoheitlicher Befugnisse zumindest beteiligt sind. Die deutschen öffentlichen Schulen und die dort unterrichtenden, je nach Bundesland teils beamteten, teils tarifbeschäftigten Lehrkräfte, gehören nicht zur Staatsverwaltung im Sinne der EMRK. Die Bundesrepublik ist völkervertrags- und verfassungsrechtlich verpflichtet, Art. 11 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR in der deutschen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen."

Diesen Widerspruch kann nur der Gesetzgeber auflösen

Zutreffend konstatiert das BVerwG, dass die deutsche Rechtsordnung damit derzeit einen inhaltlichen Widerspruch in Bezug auf das Recht auf Tarifverhandlungen und das Streikrecht derjenigen Beamten enthält, die außerhalb der hoheitlichen Staatsverwaltung tätig sind. Die Auflösung dieser Kollisionslage zwischen deutschem Verfassungsrecht und der EMRK könne nur durch den Bundesgesetzgeber erfolgen, der nach Art. 33 Abs. 5, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG das Statusrecht der Beamten zu regeln und fortzuentwickeln habe. Hierfür stünden ihm voraussichtlich verschiedene Möglichkeiten offen.

Für die Übergangszeit bis zu einer bundesgesetzlichen Regelung hält das BVerwG aber an dem hergebrachten Streikverbot fest. Die Begründung ist allerdings bemerkenswert: Den Tarifabschlüssen für die Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes komme aufgrund des Alimentationsgrundsatzes nach Art. 33 Abs. 5 GG maßgebende Bedeutung für die Beamtenbesoldung zu. Die Besoldungsgesetzgeber im Bund und in den Ländern seien verfassungsrechtlich gehindert, die Beamtenbesoldung von der Einkommensentwicklung, die in den Tarifabschlüssen zum Ausdruck komme, abzukoppeln. Dieser Satz dürfte in zahlreichen Bundesländern Auswirkungen auf die Beamtenbesoldung haben, die zuletzt - teilweise deutlich - geringer angepasst worden ist als die Entgelte der Tarifbeschäftigten. In Nordrhein-Westfalen ist deswegen bereits ein Verfahren beim Verfassungsgerichtshof des Landes anhängig (VerfGH 21/13).

Ausgangsfall: Beamtete Lehrerin beteiligte sich am Streik ihrer angestellten Kollegen

Im Streit war eine Disziplinarmaßnahme, die das beklagte Land Nordrhein-Westfalen gegen die klagende Lehrerin verhängt hatte. Die Klägerin, die in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit stand, blieb im Jahr 2009 dreimal dem Unterricht fern, um an Warnstreiks teilzunehmen, zu denen die Gewerkschaft GEW während der auch von ihr geführten Tarifverhandlungen aufgerufen hatte. Die Gewerkschaft wollte  ihrer Forderung nach einer Gehaltserhöhung von 8 % und deren anschließender Übernahme in die Beamtenbesoldung Nachdruck verleihen. Die Klägerin hatte ihr Fernbleiben der Schulleiterin angekündigt, die sie auf das beamtenrechtliche Streikverbot hingewiesen hatte.

Das beklagte Land verhängte gegen die Klägerin durch Disziplinarverfügung eine Geldbuße von 1.500 € wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst. Die Anfechtungsklage ist in der Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht erfolglos geblieben. Die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht dem Grunde nach zurückgewiesen. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung dürfen sich beamtete Lehrer auch weiterhin nicht an Streiks beteiligen, zu denen die Gewerkschaften ihre angestellten Kollegen aufrufen. Das BVerwG hat jedoch die Geldbuße auf 300 € ermäßigt.

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