Helau und Alaaf: Busengrapschen jetzt erlaubt?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 16.02.2015

Nein, so wollte der Zweite Senat sein jetzt veröffentlichtes Urteil vom vergangenen November sicher nicht verstanden wissen. Und deshalb sei allen, die glauben, den Berichten der Tagespresse Gegenteiliges entnehmen zu können, gesagt: Es handelt sich um einen Einzelfall, der nicht als Freibrief für sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz missverstanden werden darf.

Der Kläger ist seit 16 Jahren bei der beklagten Arbeitgeberin als Kfz.-Mechaniker beschäftigt. Im Juli 2012 traf er in den Sozialräumen auf eine ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens (Frau M). Nachdem zwei Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat. Einige Tage später bat die Arbeitgeberin den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen. Gleichwohl kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis noch am gleichen Tag fristlos. In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M und zahlte ihr ein Schmerzensgeld. Frau M nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Mit seiner Klage gegen die außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB) blieb der Kläger beim Arbeitsgericht ohne Erfolg. LAG und BAG gaben ihm dagegen recht: Zwar habe er Frau M sexuell belästigt und damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Gleichwohl sei es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht:

Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31.7.2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

(BAG, Urt. vom 20.11.2014 - 2 AZR 651/13, BeckRS 2015, 65741)

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

3 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Es kommt nicht selten vor, daß die  Tagespresse (vielleicht um Aufsehen oder Beachtung oder Empörung zu erregen) etwas nicht richtig darstellt.

Leider findet sich oft niemand, der den Mut findet, die Sachen dann richtig zu stellen (und damit indirekt die Tagespresse zu kritisieren). 

Umso mehr gebührt denen Dank, die sich nicht bei der (massenmedialen) Presse Liebkind machen wollen, sondern die Bürger aufklären.

4

ist leider ein trauriges Beispiel dafür, dass in Deutschland das AGG, das auch Schutz vor sexuellen Belästigungen gewährleisten soll, überhaupt keine Lobby hat. Eine sexuelle Belästigung und damit eine Diskriminierung wegen des Geschlechts wird offenbar nicht in ausreichender Form als "Unrecht" gewürdigt. Während jegliche Form der Bagatellkriminalität ausreicht, um einen außerordentlichen Kündigungsgrund grundsätzlich sozialgerechtfertigt erscheinen zu lassen, werden elementare Menschenrechtsverletzungen einfach entdramatisiert.

 

Ist das unsere Werteordnung? Ein Mensch der zwanzig Jahre lang im Arbeitsverhältnis stand, muss ggf. mit einer außerordentlichen/ordentlichen Kündigung rechnen, wenn er einen Kugelschreiber mitgehen lässt? Ein Busengrabscher nicht? Jeder, der schon einmal selbst Opfer von sexuellen Übergriffen war, wird bestätigen können, dass dies eine Pervertierung unseres "Unrechts-Bewusstseins" darstellt.....

2

Wenn ein Gericht sich den jeweiligen Einzelfall genau ansieht, und alles was als entscheidungsrelvant in Betrecht kommt berücksichtigt, dann ist das sehr verantwortungsvoll und sehr begrüßenswert, und stärkt das Vertrauen in Recht und Gerechtigkeit.

Wenn ein Gericht so etwas tut, obwohl es damit rechnen muß, dafür von der oft empörungsfreudigen Boulevardpresse und oder von oberflächlichen Populisten gescholten zu werden, dann ist das schon fast ein bischen heldenhaft.

Es tut immer wieder gut, zu sehen, daß bei Weitem längst nicht Alle, die Verantwortung tragen, bloß um selbst "gut auszusehen", ihre Fähnchen verantwortungslos und opportunistisch in den Wind hängen, sondern sich vielmehr ernsthaft und ehrlich und gewissenhaft um Gerechtigkeit auch in ungewöhnlichen Einzelfällen bemühen, und dabei in Kauf nehmen, dafür von manchen Leuten schief angesehen und gescholten zu werden.

5

Kommentar hinzufügen