EuGH stärkt den Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen bei Kündigung

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 03.07.2024
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|473 Aufrufe

Die Kündigung einer schwangerer Arbeitnehmerin ist nach § 17 MuSchG nur zulässig, wenn sie von der zuständigen Behörde auf Antrag des Arbeitgebers ausnahmsweise für zulässig erklärt worden ist. Nicht ganz selten ist der Fall, dass im Zeitpunkt der Kündigung die Arbeitnehmerin noch keine Kenntnis von der bereits bestehenden Schwangerschaft hat. So verhielt es auch im Ausgangsfall, der nun zu einer Entscheidung des EuGH geführt hat. Hier klagt eine Pflegehelferin beim ArbG Mainz gegen ihre Kündigung. Sie hatte erst einen Monat nach ihrer Kündigung erfahren, dass sie schwanger ist. Die dreiwöchige Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG war somit bereits abgelaufen. In diesem Fall kommt eine nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG in Betracht. Nach Absatz 3 dieser Vorschrift kann der Antrag nur innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt werden. Auch diese Frist hatte die klagende Arbeitnehmerin versäumt. Das ArbG Mainz, dass die verspätete Klage eigentlich hätte abweisen müssen, hatte indes Bedenken, ob das deutsche Recht in diesem Punkt mit der Mutterschutz-Richtlinie im Einklang steht und rief den EuGH an. Der EuGH (27.06.2024 – C-284/23, BeckRS 2024, 14691) teilt die Bedenken des vorlegenden Gerichts.

Der EuGH urteilt: „Art. 10 und 12 der RL 92/85/EWG (Mutterschutz-Richtlinie) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine schwangere Arbeitnehmerin, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der für die Erhebung einer Klage gegen ihre Kündigung vorgesehenen Frist Kenntnis erlangt hat, eine solche Klage nur dann erheben kann, wenn sie binnen zweier Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellt, sofern die Verfahrensmodalitäten im Zusammenhang mit diesem Zulassungsantrag insoweit nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes genügen, als sie Nachteile mit sich bringen, die geeignet sind, die Umsetzung der Rechte übermäßig zu erschweren, die Art. 10 dieser Richtlinie schwangeren Arbeitnehmerinnen vermittelt.“

Der EuGH führt hierzu aus: „Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die in § 5 KSchG vorgesehene Frist von zwei Wochen vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen zu Verfahrensnachteilen zu führen scheint, die gegen den Grundsatz der Effektivität und damit gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch die RL 92/85 verliehenen Rechte verstoßen können. Diese Frist, die deutlich kürzer ist als die in § 4 KSchG vorgesehene ordentliche Frist, scheint nämlich in Anbetracht der Situation, in der sich eine Frau zu Beginn ihrer Schwangerschaft befindet, besonders kurz zu sein und es der schwangeren Arbeitnehmerin sehr schwierig zu machen, sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage sowie die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen, zumal Unsicherheiten hinsichtlich des Beginns dieser Zweiwochenfrist und der Kumulierung von Pflichten nicht auszuschließen sind, für die jeweils unterschiedliche Fristen gelten und die teils gegenüber dem Arbeitgeber, teils gegenüber einem Gericht zu erfüllen sind.“ Ob das tatsächlich so ist, muss noch offenbar noch abschließende das nationale Gericht prüfen. Hier wird man also künftig eine richtlinienkonforme Auslegung erwägen müssen.

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