Drogenfahrt: Ganz schön schwierig für einen ungelernten Bauhelfer = notwendige Verteidigung!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.10.2015
Rechtsgebiete: PflichtverteidigungStrafrechtVerkehrsrecht2|2491 Aufrufe

Einfache Verkehrsstrafsachen rechtfertigen in der Regel keine Pflichtverteidigung. Das LG Gera hat das jetzt in einem Fall einer Drogenfahrt - § 316 StGB - anders gesehen. Damit kann man als Verteidiger sicher gut argumentieren:

Mit Anklageschrift vom 27.04.2015 wirft die Staatsanwaltschaft Gera dem Angeklagten vor, am 28.12.2014 gegen 11:10 Uhr auf der Bundesstraße 90 bei Heinersdorf den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen SOK - ... geführt zu haben, obwohl er drogenbedingt fahruntüchtig gewesen sei. Die ihm um 12:40 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen Methamphetamingehalt von 510 ng/mL. Infolge der drogenbedingten Fahruntüchtigkeit habe der Angeklagte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und sei 600 m nach dem Ortsausgang Wurzbach in einer Rechtskurve von der Fahrbahn abgekommen.

Im polizeilichen Sachverhalt (Bl. 4 - 5 d. A.) ist vermerkt, dass der nunmehr Angeklagte auf die Frage nach einem freiwilligen Speicheltest mittels DrugWipe damit nicht einverstanden gewesen sei und eine Blutentnahme durchgeführt werden solle. Vor der Rettungswache in Bad Lobenstein angekommen habe der Angeklagte angegeben, dass er keine Blutentnahme mitmache. Mit Beschluss vom 19.05.2015 hat das Amtsgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft Gera vom 27.04.2015 zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Pößneck, Zweigstelle Lobenstein, eröffnet.
Mit Schriftsatz vom 13.05.2015 hat der Verteidiger dargetan, dass sich der Angeklagte u. a. damit zu verteidigen gedenkt, dass die Entnahme einer Blutprobe gemäß § 81 a StPO entgegen dem Richtervorbehalt lediglich durch Polizeibeamte angeordnet worden sei und deshalb ein Verwertungsverbot bestehe. Des Weiteren bestehe ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der angeblich vom Angeklagten gemachten Angaben gegenüber der Polizei anlässlich deren Klingeins an der Wohnungstür wegen Verstoßes gegen die Belehrungspflicht aus § 163 a Abs. 4 StPO i. V. m. § 136 Abs. 1 StPO.
Schließlich könne aus der Methamphetaminbeeinflussung von 510 ng/mL nicht auf eine tatbestandserfüllende Fahruntüchtigkeit i. S. d. § 316 StGB geschlossen werden.

Mit Schriftsatz vom 26.06.2015 hat der Verteidiger mitgeteilt, dass das Wahlmandat für den Angeklagten geendet habe. Zugleich wird - im Auftrag des Angeklagten - beantragt, den Unterzeichner, Rechtsanwalt Heinrich, als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO zu bestellen. Zur Begründung hat der Verteidiger die Ausführungen aus dem Schriftsatz vom 13.05.2015 zusammenfassend wiederholt.

Mit Beschluss vom 30.06.2015 hat das Amtsgericht Pößneck, Zweigstelle Lobenstein, die Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 02.07.2015 hat der Verteidiger Beschwerde im Auftrag des Angeklagten gegen den Beschluss vom 30.06.2015 eingelegt und geltend gemacht, dass die Rechtslage nicht nur wegen der Frage der Verwertbarkeit der Blutprobe, sondern auch wegen der Befragung des Angeklagten durch die Polizeibeamten, ob insoweit die „Belehrungsschwelle“ erreicht gewesen sei und wenn ja, dass ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der gemachten Angaben zu Protokoll erklärt werden müsse, weil die Täterschaft des Angeklagten fraglich sei und auch geklärt werden müsse, ob ein betäubungsmittelbeeinflusster Fahrfehler oder ein „Jedermannsfehler“ vorgelegen habe, schwierig sei.
Mit Beschluss vom 03.07.2015 hat das Amtsgericht Pößneck, Zweigstelle Lobenstein, der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren über die Staatsanwaltschaft Gera dem Landgericht Gera vorgelegt.

II.
Die gemäß §§ 304 Abs. 1, 305 Satz 2 StPO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung ist begründet.

Es liegt zwar ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 StPO nicht vor.

Jedoch ist ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO gegeben, da die Schwierigkeit der Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers nach Auffassung der Kammer gebietet. Schwierigkeit der Rechtslage sind dann gegeben, wenn bei Anwendung des materiellen oder des formellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt bislang nicht ausgetragenen Rechtsfragen entschieden werden müssen, aber .z. B. auch, wenn fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2009, Az: 5 Ss OWi 401/09 zit. nach juris Rdz.13; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 26.01.2009, Az. 5 Ws 7/09 zit nach juris Rdz. 2 f; OLG Köln, Beschluss vom 27.10.2011 Az:. 1 RBs 253/11 zit. nach juris 9; LG Meiningen Beschluss vom 08.03.2010, Az.: 2 Qs 74,10 zit. nach juris Rdz. 7 ff; LG Münster Urteil vom 10.01.2012 Az.: 3 Qs 1/12 zit. nach juris Rdz. 3; LG Gera, Beschluss vom 18.07.2011 Az: 1 Qs 244/11- nicht veröffentlicht; LG Gera, Beschluss vom 04.07.2011 Az: 1 Qs 241/11- nicht veröffentlicht) oder wenn die Subsumtion unter die anzuwendende Vorschrift des materiellen Rechts Schwierigkeiten bereiten wird (vgl. Meyer Goßner, Kommentar zur StPO, 57. Aufl, § 140 Rdz. 27a).

Vorliegend sind nicht ausgetragenen Rechtsfragen bei Anwendung des materiellen oder des formellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt zu entscheiden.

Zum einen ist zu klären, ob auch das Ergebnis eines auf einer Blutentnahme beruhenden toxikologischen Gutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt. Die Kammer folgt insoweit den Ausführungen der vorgenannten Gerichte, wonach von einem Fall der notwendigen Verteidigung auszugehen ist, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich ist, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2009, Az: 5 Ss OWi 401/09 zit. nach juris Rdz. 13; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 26.01.2009, Az. 5 Ws 7/09 zit nach juris Rdz. 2 f; OLG Köln, Beschluss vom 27.10.2011 Az:. 1 RBs 253/11 zit. nach juris 9; LG Meiningen Beschluss vom 08.03.2010, Az.: 2 Qs 74,10 zit. nach juris Rdz. 7 ff; LG Münster Urteil vom 10.01.2012 Az.: 3 Qs 1/12 zit. nach juris Rdz. 3; LG Gera, Beschluss vom 18.07.2011 Az: 1 Qs 244/11- nicht veröffentlicht; LG Gera, Beschluss vom 04.07.2011 Az: 1 Qs 241/11- nicht veröffentlicht).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung mag zur Frage, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts verwertet werden kann, in den Grundzügen eine weitergehende Klärung herbeigeführt worden sein (vgl. aber Meyer Goßner, Kommentar zur StPO, 57. Aufl, § 81 a Rdz. 25 b „die uneinheitliche Rechtsprechung kaum noch übersehbar“), dennoch sind in einem solchen Fall umfangreiche und komplizierte Erwägungen anzustellen, was auch für das auf einer Blutentnahme beruhendem toxikologischen Gutachtens gilt (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2009, Az.: 5 Ss OWi 401/09 zit. nach juris Rdz. 13).

Zum anderen sind bei dem Vorwurf des Führens eines Kraftfahrzeugs unter berauschender Wirkung von Methamphetamin angesichts der Frage der für die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes erforderlichen Feststellungen umfangreiche und komplizierte Erwägungen anzustellen, was auch für die entsprechende Beweiswürdigung gilt (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2009, Az.: 5 Ss OWi 401/09 zit. nach juris Rdz. 13 m. w. N.), so dass auch dieser Gesichtspunkt hinkommt.

Insofern kann dahinstehen bleiben, ob bereits die Verletzung des Richtervorbehalts, die Frage des weiteren Beweisverwertungsverbots oder die Prüfung der Frage der Tatbestandsmäßigkeit für sich genommen vorliegend eine schwierige Sach- und Rechtslage begründen können. Jedenfalls ist nach einer Gesamtwürdigung aller vorliegend zu berücksichtigenden sachlichen und rechtlichen Umstände von einer vom Normalfall abweichenden schwierigen Sach- und Rechtslage auszugehen, was die Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO rechtfertigt.
Im Ergebnis sind umfangreiche und komplizierte Erwägungen anzustellen, zu denen die Verteidigungsfähigkeit des 31 jährigen Angeklagten, der nach einem Besuch der Grundschule als ungelernter Bauhelfer auf Vermittlung einer Zeitarbeitsfirma tätig ist, nicht ausreichen werden. Dass es hier ausnahmsweise anders verhalten sollte, ist durch nichts belegt.
 

LG Gera, Beschluss vom 05.08.2015 - 9 Qs 313/15

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