Final: 60.000 Euro Schmerzensgeld für aussagepsychologisches Gutachten

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 23.09.2018
Rechtsgebiete: StrafrechtWeitere ThemenMedizinrecht8|10003 Aufrufe

Der Streit um Schmerzensgeld für ein mit gravierenden Fehlern erstelltes Gutachten der Psychologin Frau Dr. R.-J. vom 21.8.2003 ist abgeschlossen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 23.11.2017 – 4 U 26/15 hatte die psychologische Gutachterin (Beklagte) zu den Schmerzensgeldzahlungen verurteilt und eine Revision nicht zugelassen. Dagegen hatte sich die Psychologin mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den Bundesgerichtshof (BGH) gewandt. Dazu „Beck aktuell“.

Die Beschwerde der Psychologin wurde nun zurückgewiesen. Schon die Berufung hat sich für die Beklagte nicht ausgezahlt. Wegen eines grob fahrlässig erstellten Glaubwürdigkeitsgutachtens hatte die Vorinstanz, das LG Saarbrücken, Urteil vom 29.01.2015 – 3 O 295/13 die Sachverständige zu 50.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.

Verurteilung zu Unrecht

Der Fall ist tragisch. Ein Justizirrtum. Der Kläger, ein damaliger Bundeswehrbeamter, saß zwei Jahre wegen schwerem sexuellem Kindesmissbrauchs unschuldig im Gefängnis (siehe: LG Saarbrücken, Urteil vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03)). Ihm wurde zur Last gelegt, seine damals 10jährige Pflegetochter mehrfach sexuell missbraucht zu haben. Aufgrund der Aussage des Pflegekindes kam es zur Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren. Die Aussage des Mädchens wurde im Strafprozess durch ein aussagepsychologisches Gutachten der beklagten Psychologin überprüft. Solche Glaubwürdigkeitsgutachten werden von den Gerichten in Strafprozessen, vor allem wenn es um Sexualstraftaten geht, eingeholt.

Abgewiesene Schmerzensgeldklage des angeblichen Missbrauchsopfers

683 Tage hatte der Verurteilte bereits abgesessen. Ein Wiederaufnahmeantrag nach dem anderen scheiterte. Erst mit dem dritten Wiederaufnahmeantrag gelang es dem Kläger, seinen Fall vor dem Strafgericht neu zu verhandeln. Vorausgegangen war wiederum ein Zug durch die Instanzen. Diesmal vor den Zivilgerichten. Das damalige vermeintliche Missbrauchsopfer strengte ihrerseits eine Schmerzensgeldklage gegen ihren angeblichen Peiniger an. Die Zivilrichter waren nicht überzeugt. Sie wiesen die Klage ab. Dagegen legte das Mädchen Berufung ein. Das OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - 9, 1 U 32/08  forderte ein neues Glaubwürdigkeitsgutachten an. Es stellte sich heraus, dass das Kind gelogen hatte. Als nicht erlebnisbegründet stufte der von den Zivilrichtern hinzugezogene Sachverständige die Aussage des Mädchens ein. Der Sachverständige wies auf eine Vielzahl methodischer Fehler des aussagepsychologischen Gutachtens der Frau Dr. R.-J. hin.

Der zu Unrecht Verurteilte wurde im November 2013 freigesprochen.

Das fehlerhafte aussagepsychologische Gutachten

Auf 64 Seiten begründete das OLG Saarbrücken warum das schriftliche Gutachten zahlreiche gravierende Fehler aufwies. Diese hätten sich dann im mündlichen, vor dem Strafgericht erstatteten, Gutachten manifestiert. Die Gutachterin hätte Fehler sowohl im Berichtsteil als auch in den Schlussfolgerungen gemacht und dadurch die vom BGH im Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 618/98 aufgestellten Mindestanforderungen nicht eingehalten. Methodische Defizite in Fragetechnik, Einschätzung der früheren Lügen des Kindes, Erklärung der fehlenden Realitätskennzeichen mit der geringen Intelligenz des Mädchens, waren nur einige der ausführlich dargestellten Mängel des Gutachtens. Für den Vorwurf der grob fahrlässigen Falschbegutachtung war schließlich der Umstand ausschlaggebend, dass sie die Grundregeln eines methodisch wissenschaftlichen Vorgehens, hier das Konzept der Nullhypothese (der Sachverständige nimmt zunächst an, die Aussage des Zeugen sei unwahr) nicht beachtet hatte.

Medizinrechtliche Praxis

In der medizinrechtlichen anwaltlichen Tätigkeit bietet das ärztliche Sachverständigengutachten immer wieder Diskussionsstoff. Für die medizinische Expertise ist der Gutachter wichtig. Er beurteilt u.a., ob der Facharztstandard eingehalten wurde, ob die Dokumentation ausreichend war oder ob der Gesundheitsschaden auch bei ordnungsgemäßer Behandlung eingetreten wäre. In der Regel verlässt sich das Gericht auf die medizinischen Ausführungen, ist aber in seiner Beweiswürdigung frei (§ 286 ZPO).

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8 Kommentare

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Dies auch zum Thema: "Beschuldigt ist noch längst nicht bewiesen." Ein ewiges Thema. In vielen Zusammenhängen.

"Für den Vorwurf der grob fahrlässigen Falschbegutachtung war schließlich der Umstand ausschlaggebend, dass sie die Grundregeln eines methodisch wissenschaftlichen Vorgehens, hier das Konzept der Nullhypothese (der Sachverständige nimmt zunächst an, die Aussage des Zeugen sei unwahr) nicht beachtet hatte. Für den Vorwurf der grob fahrlässigen Falschbegutachtung war schließlich der Umstand ausschlaggebend, dass sie die Grundregeln eines methodisch wissenschaftlichen Vorgehens, hier das Konzept der Nullhypothese (der Sachverständige nimmt zunächst an, die Aussage des Zeugen sei unwahr) nicht beachtet hatte."

Wenn das Gutachten derart elementare Schwächen zeigte, so stellt sich natürlich die Frage, warum das Strafgericht dies nicht selbst erkannt hatte (immerhin sind die Grundsätze für ein solches Gutachten seit 1999 bekannt und vom BGH so festgelegt). Bei Offensichtlichkeit der Mängel wäre es die Pflicht des Strafgerichts gewesen, einen geeigneteren Gutachter zu wählen. Warum wird jetzt nur der Gutachter zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt, die Fehler der ebenso schuldigen Richter aber bleiben ohne Sanktion?

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Bei JUristen mit Kenntnisstand etwa des 3. Semesters würde bedacht: § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB; § 339 StGB. falls "ebenso schuldig" = grob fahrlässig = nicht vorsätzlich = nicht strafbar = keine Haftung. Recht kann so einfach sein. Kenntnisse immerhin des 3. Smesters sollten allerdings schon vorhanden sein.

Ihr Kommentar bezieht sich offenbar auf mich ("Richter ebenso schuldig"). Ja, ich habe keine 3 Semester Jura, da ich kein Jurist bin, sondern Chefarzt. Als solcher bin ich selbst oft genug Leidtragender unsäglich dummer Rechtsprechung, die sich aus diesem "so einfachen Recht" ergibt, und insbesondere Leidtragender unsäglich dummer Juristen, die ihre Arbeit schlichtweg schlampig und fehlerhaft ausüben. Ich halte das vorliegende Urteil für gut und richtig, aber ich erwarte auch von einem Gericht, dass es seinen Job vorher gut erledigt, gerade wenn es um die Existenz eines Menschen geht. Ich kann mich auch nicht herausreden, dass eine Hilfskraft wie z.B. eine OP-Schwester ihren Job nicht gut gemacht hat, wenn mit der OP etwas schiefgeht. Verantwortlich für die OP bin immer noch ich. Leider sehen die Juristen, zumindest Richter, das anders. Sie übernehmen praktisch niemals die Verantwortung für Fehler und Fehlurteile, so auch hier.

Das ist bedauerlich, sehr bedauerlich, und es stünde um das sehr "einfache Recht" viel besser, wenn endlich auch bei den Gerichten ein QM eingeführt würde, was solche grob elementaren Fehler unterbindet und ggf. auch ahndet. Schadenersatz durch die Haftpflichtversicherer von Richtern sollte das Mindeste sein - warum soll das nicht möglich sein, was man den Medizinern auch abverlangt? Das Gericht hat offensichlich nicht leitliniengerecht gearbeitet. Die Leitlinien betreffen zwar in erster Linie den Gutachter, jedoch muss ein Gericht zumindest solch elementare Rechtsprechung des BGH kennen und erkennen, dass das vorliegende Gutachten wegen Missachtung der Leitlinien völlig unbrauchbar ist. Statt dessen haben die Richter kaltlächelnd einen unschuldigen Menschen seiner Freiheit beraubt, und das konnten, das mussten sie sehen. Sie hatten zumindest bedingten Vorsatz der Freiheitsberaubung, da sie damit rechnen mussten, dass sie bei diesem ganz offensichtlich grob fehlerhaften Gutachten einen Unschuldigen verurteilen.

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Ach, Herr Gast,, was glauben Sie, wie oft ein Rechtsanwalt mit seiner Partei "Leidtragender unsäglich dummer Rechtsprechung" ist. Eigentlich stets, wenn eigene Anträge zurückgewiesen worden sind  :-). Hat man nur Teilerfolg gehabt, so ist die Rechtsprechung vielleicht nicht unsäglich, aber im abgewiesenen Teil immer noch dumm :-). Misslich für Richter nur, dass bei meinem Erfolg sie die gleiche Beurteilung von der unterlegenen Gegenseite erhalten :-). - Da wir derzeit, auch in Folge der causa Sami-Touristik - eine von eher mehr, manchmal weniger, bisweilen unsäglich dummer Seite geblasene "Rechtsstaats"-Debatte haben - das sog. "Richterprivileg" ist  nun einmal geltendes Gesetz. Und vielleicht ist das letztlich auch gut so. Sehen Sie - wenn sich Richter und Richteroide aufplustern und von Pflichtverletzung von Anwälten reden und "Anwaltshaftung", so empfehle ich Selbstbescheidung und man sollte da auch in Ansprachen auch mal sagen: "Verehrte Damen und Herren  Rechtsbrecher". Denn - was liegt vor, wenn die höhere Instanz ändert oder aufhebt? Meistens Rechtsverletzung. Nach Auffassung der eben von oben judizkackenden Obervogelwelt im Baum. Das können nacheinander Amts-  ( der Amtsrichter kann immerhin noch auf den Rechtspfleger kacken ), Land-, Oberlandesgericht, BGH und das allweistumskundige BVerfG sein. Selbst dieses muss neuerdings nach oben sehen, oder wie auch  immer, umschauen, ob da ein EuGH-Vögelchen und/oder ein EGMR-Vögelchen auch ihm aufs Köpfchen kacken kann. Etwas ernster: Man höbe die Möglichkeit der Kontrolle durch höhere Instanzen auf, wenn ernsthaft stets ein Richter für Fahrlässigkeit haften würde.

Sehr geehrter Herr Dr. Preus, persönlich haftende Chefärzte mit anschließender Entlassung aus dem Dienst, mit dem Entzug der Approbation und mit mindestens 1 Jahr Haftstrafe sind auch sehr selten, ich vermute mal fast so selten wie wegen Rechtsbeugung verurteilte Richter.

Beides wäre m.E. gleichwertig.

Wenn Sie, oder Ihr chefärztlicher Vorkommentator, hierzu eine Statistik (oder andere Zahlen) vorlegen könnten, mit einer Prozentzahl pro Berufsgruppe und Jahr, hätten wir doch eine wundervolle Diskussions-Basis.

Daß Abgeordnete für schlechte Gesetzgebung nicht gleichwertig haften, dürfte wohl unumstritten sein, darunter leiden ja alle Berufsgruppen.

Aber antworten Sie mir bitte nicht nur mit "Konsens" ........ ;-)

 

 

Aber es gibt auch andere Nachrichten in diesen Tagen zu fehlerhaften psychiatrischen Gutachten:

Gutachter verurteilt

Ein Berufsgericht hat den Gutachter deshalb wegen vorsätzlicher Falschbegutachtung zu einer Geldbuße von 12 000 Euro verurteilt. Die Fahnder haben daraufhin den Gutachter und das Land Hessen auf Schadenersatz verklagt. Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt gewannen die Beamten: Der Gutachter musste ihnen insgesamt 226 000 Euro Schadensersatz zahlen. Damit war höchstrichterlich eine für die Verwaltung und Politik äußerst unrühmliche Geschichte bewiesen -- die Geschichte von vier Beamten, die ihren Job nachweislich gut machten, bis sie plötzlich als verrückt gelten sollten.

Quelle: http://www.fnp.de/rhein-main/Steuerfahnder-Affaere-ist-beendet;art801,31...

Steuerfahnder als Steuerberater, das hat doch was .......

(Den Gutachter konnte ich übrigens auch im Gerichtssaal einige Male erleben .... )

Sehr geehrter Herr Rudolphi, so sehr es den bisweilen unterlegenen Rechtsanwalt auch wurmt - als Verfassungsrechtler kann ich nur sehen, dass die Gerichtsbarkeit immerhin eine verfassungsrechtliche, dritte Gewalt ist. Chefärzte, Anwälte, Notare , jedwede sonstige Leistungserbringer eben nicht. Ähem - Leistungserbringer. Sprachlich-begrifflich könnte man ja Gesetzesproduzenten auch darunter fassen. Was die (sich) leisten ...........Immerhin werden deren Produkte von der Verfassungsgerichtsbarkeit kontrolliert. Diese  natürlich ihrerseits ................ Nun ja. Es könnte sich für die Volkswirtschaft als günstig erweisen, wenn geringfügig unter 100% der Leute mit zirkulärer Haftungsprozessinanspruchnahme befasst sind.

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