Zum Urteil im Regensburger Prozess um Vorteilsannahme/Vorteilsgewährung

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 04.07.2019
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Ich hatte heute im Justizgebäude zu tun – mündliches Examen der Ersten Juristischen Prüfung. Zwei Stockwerke unter uns wurde währenddessen das Urteil in der Strafsache gegen Wolbergs u.a. verkündet. Erst ab mittags konnte ich in persona Teile der (mündlichen) Urteilsbegründung anhören.

Folgende Fragen haben nicht nur die Regensburger Juristenwelt seit drei Jahren in Atem gehalten: Haben die Regensburger (darunter auch ich) 2014 einen Vorteil annehmenden oder gar bestechlichen Oberbürgermeister gewählt? Oder hat Regensburg eine aus dem Ruder laufende Staatsanwaltschaft, die rechtschaffene Bürger und Politiker zu Unrecht verdächtigt und sogar schikanös verfolgt? Oder gar, man mag es sich nicht ausdenken, stimmt sogar beides zu einem gewissen Teil? Die Wirtschaftsstrafkammer hatte sich nach 59 Tagen Hauptverhandlung jedenfalls äußerst bedeckt gehalten, welches Urteil sie fällen würde. Und diese Ergebnisse wurden gestern verkündet:

Der SPD-Fraktionsvorsitzende H. wurde freigesprochen.

Der Unternehmer T. wurde verurteilt zu 10 Monaten Freiheitsstrafe (zur Bewährung ausgesetzt); daneben wurde ihm auferlegt 500.000 Euro zu zahlen.

Ein ehemaliger Geschäftsführer des Unternehmens, W., wurde zu 180 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt.

Der Oberbürgermeister der Stadt Regensburg wurde wegen zwei Fällen der Vorteilsannahme (Vorteile im Gesamtwert von 150.000 Euro) verurteilt, von einer Strafe wurde nach § 60 StGB abgesehen.

Es folgt eine kleine Besprechung, vor allem zu den objektiven und rechtlichen Gesichtspunkten des Urteils, aufgeteilt in Zustimmung (I.) und Kritik (II.).

I. Zustimmung

1. Freispruch

Nach allem, was ich mitbekommen habe von den Vorwürfen gegen den Fraktionsvorsitzenden der SPD-Stadtratsfraktion, den Angeklagten H., kam nur ein Freispruch in Betracht. Ein bewusstes Zusammenwirken mit dem OB oder dem Bauunternehmer konnte nicht nachgewiesen werden und alles, was er politisch im Hinblick auf die Ausschreibung des Bauareals Nibelungenkaserne unternahm, mag zwar für den einen oder die andere politisch kritikwürdig gewesen sein, einen Straftatbestand erfüllte es nicht. Der Freispruch ist aus meiner Sicht überzeugend.

2. Verstoß gegen das Parteiengesetz – „Strohmannspenden“

Die Strafkammer hat sich in ihrem Urteil hinsichtlich des Bauunternehmers nicht irritieren lassen von den selbst für die Beteiligten selbst kaum zu durchschauenden Kapriolen: Erst wurde den Mitarbeitern ein Betrag – exakt berechnet nach brutto und netto – überwiesen, diese Beträge knapp unter der Veröffentlichungsgrenze spendeten sie dann und  später soll der Spendenbetrag wieder von ihren Gewinnbeteiligungen abgezogen worden sein. Die Kammer hat festgestellt, dass diese Vorgehensweise nur der Verdeckung eines Strohmannsystems diente, um seitens des Unternehmens an den dritten  Bürgermeister, ab 2014 Oberbürgermeister, zu spenden, ohne die für eine Demokratie unerlässliche gesetzliche Transparenzpflicht einzuhalten. Dass eine solche Umgehung des Parteiengesetzes auch dann nicht akzeptiert werden kann, wenn sie besonders schlau eingefädelt wird und auch noch behauptet wird, dies sei in Deutschland inzwischen gängige Praxis, hat das Gericht zutreffend beurteilt. Insofern ist der Verurteilung des Bauunternehmers und des Geschäftsführers, der dieses System einrichtete und am Laufen hielt, zuzustimmen. Dass auch ein anderer, der nicht Mitglied der Partei ist, durch „Bewirken“ einer falschen Erklärung sich nach § 31d Abs.1 Nr.1 PartG strafbar machen kann, dem kann ich folgen.

3. Vorteilsgewährung

Der Würdigung des Gerichts stimme ich zu: Aus der Zulässigkeit einer Parteispende folgt nicht die Rechtmäßigkeit einer Vorteilsgewährung. Ein rechtswidriger (Dritt-)Vorteil liegt vor, wenn damit die Dienstausübung eines Amtsträgers beeinflusst werden soll. Zudem braucht der Vorteil (der ohnehin nicht unbedingt ein Vermögensvorteil sein muss) auch nicht aus dem Vermögen des Gewährenden direkt stammen. Ein Vorteil liegt auch darin, andere zum Spenden aufzufordern und zwar so, dass die Transparenzregeln umgangen werden können, die gelten würden, wenn der Unternehmer direkt den Gesamtbetrag spendete. Ich hatte dies in meinem Beitrag vom 26.11.2018 ähnlich beschrieben:

„Der Vorteilsbegriff des § 331 StGB setzt keine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer voraus. Wenn T. sich dafür einsetzte, dass seine Mitarbeiter jährlich aus ihrem eigenen Vermögen spenden, könnte allein darin schon der angebotene, versprochene oder gewährte Vorteil liegen. Wenn T. Einfluss auf seine Mitarbeiter ausübte, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob er persönlich Großspender gestückelter Spenden ist oder ob er nur seine Mitarbeiter dazu motivierte, aus ihrem eigenen Vermögen zu spenden. Im Hinblick auf eine evtl. Unrechtsvereinbarung könnten sie dann im Sinne des § 25 Abs.1 Alt.2 StGB als Tatmittler („vorsatzlose Werkzeuge“) des Unternehmers gehandelt haben.“

 

4. Keine Bestechung/Bestechlichkeit

Eindrucksvoll bis ins Detail gehend hat die Vorsitzende in ihrer mündlichen Urteilsbegründung dargelegt, dass die Indizien für eine Strafbarkeit nach den §§ 332, 334 StGB entweder gar nicht vorlagen (Sparkasse) oder der Kammer nicht hinreichend erschienen, um diesen Vorwurf zu belegen (andere angeklagte Fälle von Vorteilen, die lt Anklage mit dienstpflichtwidrigen Handlungen des OB verknüpft gewesen sein sollen). Schon im Eröffnungsbeschluss hat das Gericht dies so gesehen und daran hat sich durch die Beweisaufnahme nichts geändert. Auch wenn ich die entsprechenden Beweisaufnahmen nur bruchstückhaft verfolgt habe, so überzeugt mich die Urteilsbegründung insofern.

5. Vorteilsannahme hinsichtlich der Spenden nach der Wahl (2015 und 2016)

Das Gericht hat die Rechtslage hinsichtlich solcher Spenden, die nach der Wahl zum OB gewährt und angenommen wurden, im Ergebnis so beurteilt wie ich dies in meinem Beitrag vom 4. 6.2019 ausgeführt habe:

„Dem ist entgegenzuhalten, dass jedenfalls hinsichtlich der Spenden, die nach dem Wahltag an den vom OB kontrollierten Ortsverein geleistet wurden, die Kremendahl-Rechtsprechung nicht greift, denn diese bezieht sich ja nur auf „Wahlkampfspenden“, nicht allgemein auf Parteispenden. Nur Spenden im bzw. für den Wahlkampf sollen privilegiert sein, weil sonst Amtsträger bei der Wahl benachteiligt seien. Mit dieser Begründung wäre es unvereinbar, auch Spenden an einen Amtsträger, die erst nach der Wahl geleistet werden, ebenfalls als privilegiert anzusehen. Auch die Annahme, im vorliegenden Fall seien Kosten des Wahlkampfs mit weiteren „Wahlkampfspenden“ nachträglich aufgefangen worden, zieht hier wohl nicht. Mit einer solchen Konstruktion würde nämlich ein Einfallstor für Vorteilsgewährungen geschaffen, die dann regelmäßig als Spenden für (frühere oder künftige) Wahlkämpfe deklariert werden könnten. Selbst wenn man der Verteidigung also dahingehend folgt, die Spenden bis zum Wahltag blieben nach Kremendahl II straflos, weil keine konkreten Diensthandlungen damit beeinflusst werden sollten, kann dies nach meiner Auffassung nicht für die Vorteile gelten, die erst nach der OB-Wahl im März 2014 versprochen oder gewährt bzw. angenommen wurden.“

Nach der Wahl durfte der OB keine Spenden aus Richtung des Unternehmers mehr annehmen, denn es war erkennbar, dass diese Spenden sich auf seine Dienstausübung als Oberbürgermeister bezogen. Es geht dabei um rund 150.000 Euro. Ohne das Ermittlungsverfahren wären über das Strohmannsystem des Bauunternehmers wohl auch noch weiter Spenden geflossen, möglicherweise bis heute.

II. Kritik am Urteil

1. Keine Strohmannspenden, wenn Spendenbetrag nicht zuvor auf das Konto der Mitarbeiter überwiesen worden ist?

Dass die Kammer das vom Bauunternehmer eingerichtete System der Spendenstückelung nur dann als strafbar bejaht, wenn die Spendenbeiträge bereits vor der Spende auf das Konto des jew. Mitarbeiters überwiesen wurde, nicht aber, wenn dies erst nach der Spende geschehen sei, ist eine gekünstelte Unterscheidung, nahezu eine Anleitung zur Umgehung der Anwendung des Parteiengesetzes. Selbstverständlich ist es auch dann eine Spendenstückelung, wenn einem Mitarbeiter die spätere Rückzahlung des Spendenbeitrags zugesagt wurde. Und Indiz für eine solche Zusage ist die tatsächliche Ausgleichszahlung in eben der Höhe, in der gespendet wurde. Der Eingangszeitpunkt auf dem Konto des Mitarbeiters dürfte keinerlei Rolle spielen. Diesen Teil der Urteilsbegründung des Gerichts sollten an intransparenten Spenden interessierte Unternehmer schnell wieder vergessen, denn man kann prophezeien, dass der BGH eine solche Differenzierung nicht durchgehen lässt.

2. Kein Vorsatz des angeklagten OB beim Verstoß gegen das Parteiengesetz?

Nach der Würdigung des Gerichts hatte der OB bei der Annahme der vielen auf 9900 bzw. 9990 Euro lautenden Spendensummen keinen Vorsatz dahingehend, dass diese aus der Richtung des angeklagten Unternehmers stammten, der dafür ein Strohmannsystem eingerichtet hatte. Deshalb soll nach Würdigung der Kammer bei ihm der Vorwurf, gegen das ParteienG verstoßen zu haben, entfallen. Es ist aber nicht Voraussetzung für die Annahme eines dolus eventualis, dass der OB genau wusste, wie das System auf der Seite des Unternehmers organisiert wurde, weshalb Vorsatz meines Erachtens hier relativ nahe lag. Ich bin daher vom Freispruch diesbezüglich nicht überzeugt.

3. Keine Vorteilsannahme bei den Spenden von 2011 bis 2014?

Die Kammer hat die Vorteilsannahme für diese Jahre mit dem Argument verneint, die verschiedenen Ämter (als dritter Bürgermeister und als späterer OB) bewirkten, dass die Annahme sich nur auf die Dienstausübung des jeweilig innegehabten Amtes beziehe. Als dritter  Bürgermeister sei er aber nicht mit der Bauwirtschaft befasst gewesen. Die Idee, dass die Vorteilsannahme nur „für die Dienstausübung“ des im Moment der Annahme innegehabten Amtes gelte, aber nicht für die Dienstausübung in einem (potentiell) späteren Amt, stammt aus der Diskussion um die Kremendahl-Entscheidung. Ich hatte dies hier schon einmal erwähnt:

„Die überwiegende Meinung im Schrifttum folgt dem BGH in dieser grundsätzlichen Ausrichtung. Jedoch zeigen sich die vom BGH angedeuteten Schwierigkeiten nun auch im Regensburger Fall: Der OB Regensburgs war, anders als der Wuppertaler OB, nicht bereits vor der Wahl in diesem Amt. Er war allerdings bereits dritter Bürgermeister, also Amtsträger. Hier wird das Gericht ggf. entscheiden müssen, inwieweit § 331 für denjenigen Amtsträger eingeschränkt gilt, der sich auf ein anderes Wahlamt bewirbt, wenn die Spende erst die Dienstausübung in dem neuen Amt beeinflussen soll. Eine durchaus beachtliche Meinung zu dieser Konstellation vertreten Beckemper/Stage (NStZ 2008, 35): Eine Wahlkampfspende, die im Hinblick auf die Dienstausübung des erst künftigen Amtes gewährt werde, werde von § 331 StGB gar nicht erfasst. Insofern bestehe auch kein Unterschied zwischen Amtsinhabern und anderen Kandidaten um ein Wahlamt.“

Ich bevorzuge hinsichtlich der weit vor oder nach der Wahl von 2014 angenommenen Spenden allerdings eine andere Lösung, nämlich diejenige des BGH in der Kremendahl-Entscheidung (damals allerdings ging es um die Wiederwahl in dasselbe Amt). Wahlkampfspenden sind, sofern sie nicht mit einem konkreten Projekt verbunden sind, keine Vorteile im Sinne der §§ 331, 333 StGB. Die weit vor dem Wahlkampf (also 2011 und 2012) sind ebenso wie die nachher (2015 und 2016) eingeworbenen und angenommenen Vorteile in der strafbaren „Zone“, soweit damit die künftige Dienstausübung beeinflusst werden sollte. Ein Amtsträger darf insgesamt nicht "den Anschein der Käuflichkeit" erwecken, ganz gleich ob für das momentane Amt oder für (mögliche) spätere Ämter. 

Aus der Lösung, die die Kammer für richtig hält, folgt nämlich, dass für spätere Ämter aussichtsreiche Personen, die schon ein anderes Amt innehaben (z.B. der jüngere Stellvertreter eines Behördenchefs, der für die Chefrolle vorgesehen ist, wenn dieser in Ruhestand geht), auch außerhalb von Wahlkämpfen „angefüttert“ werden könnten - und zwar potentiell sogar mit Vorteilen im Millionenbereich, nach dem Motto: Wir gehen davon aus, dass Sie sich erkenntlich zeigen, wenn Sie erst einmal "Chef" der Behörde sind. Zudem werden noch ganz andere Umgehungen ermöglicht, nämlich z.B. dass eine Parteispende „offiziell“ an einen Amtsträger derselben Partei geht, wie derjenige, dessen Dienstausübung tatsächlich beeinflusst werden soll.

Ich bin gespannt, wie der BGH diese Rechtsfrage beurteilt, wenn er die Gelegenheit dazu wahrnimmt.

4. Strafmilderung aufgrund Verbotsirrtum?

Dass der OB sich keiner Schuld bewusst war und tatsächlich glaubte, die Spenden annehmen zu dürfen, hat er immer wieder betont und das Gericht hat ihm geglaubt. Rechtlich stellt dies einen Verbotsirrtum dar, der allerdings nur im Falle der Unvermeidbarkeit die Schuld entfallen lässt (§ 17 StGB). Die Strafkammer hat zwar nicht die Unvermeidbarkeit angenommen, aber offenbar eine erhebliche Strafmilderung nach § 17 S. 2 StGB vorgenommen. Dies ist bei einem Amtsdelikt ungewöhnlich. Die (rechtliche) Problematik bei der Annahme von Vorteilen seitens eines Bauunternehmers, mit dem man dienstlich zu tun hat, liegt auf der Hand; dass es in Ausnahmefällen erlaubt ist, Spenden mit Bezug zum Dienst anzunehmen, kann jetzt nicht zu einer generellen Entlastung führen, nach dem Motto: Das durchschaut ja keiner, also handelt der Annehmende im schuldmindernden Verbotsirrtum. Als Bürgermeister  standen dem  Angeklagten viele Möglichkeiten offen Rechtsrat einzuholen. Er war zudem in seinen Ämtern umgeben von Juristen, die teilweise schon sehr lange in der Verwaltung arbeiten. Eine erhebliche Strafmilderung wegen des Verbotsirrtums erscheint deshalb recht fernliegend, ja beinahe skandalös, auch wenn man berücksichtigt, wie regelmäßig in anderen Fällen von Amtsdelikten geurteilt wird.

5. Die Strafzumessung - insbesondere das Absehen von Strafe nach § 60 StGB (Update vom 4.7.2019)

Richtig war es  in die Strafzumessung auch die strafverfahrensrechtlichen Folgen der Tat einfließen zu lassen. Insbesondere war es richtig, die Verfahrensfehler der Staatsanwaltschaft strafmildernd zu berücksichtigen, wozu die in der Form unangemessene Untersuchungshaft, die fehlerhafte TKÜ-Durchführung und auch die m.E. schwerwiegende Verletzung des Fair-Trial-Gebots durch die Stückelung der Anklagen gehören.

Deutlich anders als das Gericht sehe ich jedoch das Absehen von Strafe (§ 60 StGB) als Reaktion auf die beiden Fälle der Vorteilsannahme, die das Gericht als strafbar angesehen hat.

§ 60 StGB, der für die Strafzumessung bei dem OB herangezogen wurde, lautet:

„Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.“

Ein Absehen von Strafe nach der Ausnahmevorschrift § 60 StGB ist in der Praxis ein sehr seltenes Ereignis, das im Jahr 2017 bei nur 176 von 656000 Verurteilungen eintrat, das sind 0,02 %. Typische Anwendungsfälle sind solche, in denen die Tat unmittelbar (auch) den Täter so substantiell getroffen hat, dass diese Schädigung als selbst zugefügte Strafe genügt – ein Beispiel wäre ein vom Täter verschuldeter Unfall, in dem der Ehepartner oder sein eigenes Kind getötet oder er selbst schwer verletzt wurde. Ich habe bisher keinen Strafrechtler getroffen, der in dem hiesigen Fall § 60 StGB als Anwendungsfall ernsthaft in Betracht gezogen hätte, also in einem Fall der Vorteilsannahme durch einen Amtsträger und Politiker, der durch die Ermittlungen, die U-Haft, diverse Ermittlungsfehler und die Berichterstattung schwer belastet wurde und praktisch sein Amt eingebüßt und seine politische Karriere beschädigt hat. Wer mich kennt, weiß, dass ich hinsichtlich der Wirkung strafrechtlicher Sanktionen generell eher skeptisch bin und regelmäßig eher zu harte als zu weiche Strafen kritisiere. Deshalb würde ich mir wünschen, dass auch § 60 StGB generell häufiger angewendet wird als dies in Deutschland derzeit geschieht. Dennoch erscheint mir die Anwendung der Norm im vorliegenden Fall nicht sachgerecht. Meine Einwände im Konkreten:

a) Nicht das Delikt selbst, sondern erst dessen Aufdeckung hat den Schaden beim OB ausgelöst, der nun von der Kammer als so erheblich angesehen wird, dass eine "Strafe offensichtlich verfehlt" wäre. Zwar können mit "Folgen der Tat"  auch die (psychischen) Belastungen durch das Verfahren gemeint sein, es gibt in der Kommentarliteratur einige wenige Fälle. Jedoch ist eine erweiterte Anwendung kaum im Sinne des Gesetzes, weil das Ermittlungsverfahren die übliche Folge eines Straftatverdachts ist und typischerweise Menschen immer schwer dadurch beeinträchtigt werden (Durchsuchungen, Telefonüberwachung, U-Haft). Ein Ermittlungsverfahren würde quasi gegen sein eigenes Ziel geführt - das erscheint mir systematisch fragwürdig, weshalb es eine Ausnahme innerhalb der Ausnahme bleiben sollte.

b) Der Sinn des § 60 StGB wird in dieser Entscheidung grob missachtet. Denn von einem „offensichlichen" Verfehltsein einer Strafe kann nur die Rede sein, wenn ein Strafzweck (positive und negative Generalprävention, Spezialprävention) mit der Strafe nicht mehr erreicht werden kann, weil die Folgen der Tat z.B. dem Täter (und als Signal nach außen auch der Allgemeinheit) schon eine „Lehre“ erteilt haben, die eine zusätzliche Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe als völlig überflüssig erscheinen lässt.

Hier scheint aber gerade der umgekehrte Zweck erreicht zu sein: Der Verurteilte hat sich nicht etwa durch die Folgen der Tat dahingehend beeindrucken lassen, er habe Schuld auf sich geladen. Im Gegenteil, er nimmt das Absehen von Strafe als nachträgliche Bestätigung seiner Haltung, er sei unschuldig, obwohl er schuldig gesprochen wurde. D.h. eine Strafe (und sei sie auch angesichts der strafmildernd anzurechnenden Belastungen gering) hätte möglicherweise noch spezialpräventive Wirkung entfaltet, auch wenn das Gericht ihn von den meisten Vorwürfen der Anklage zutreffend freigesprochen hat.

Mit der negativen Generalprävention sieht es nicht anders aus: Die Allgemeinheit und andere Amtsträger erhalten aufgrund des Absehens von Strafe den Eindruck, die Annahme von immerhin 150.000 Euro durch den Oberbürgermeister sei kaum von Bedeutung. Es wird von vielen Medien von „Quasi“-Freispruch“ gesprochen und die Schuldfeststellung praktisch unterschlagen bzw. ins Gegenteil verkehrt.

Auch der Zweck der positiven Generalprävention würde durch eine Strafe noch gestützt und wird durch das Absehen missachtet: Indem die Vorsitzende ihren eigenen Schuldspruch zur Vorteilsannahme (und auch das Strohmannspendensytem des anderen Angeklagten) nicht als „Korruptionsaffäre“ bezeichnen wollte, hat sie kaum versteckt geäußert, eigentlich zu bedauern, § 331 StGB überhaupt anwenden zu müssen. Damit hat sie der positiven Normakzeptanz des Korruptionsstrafrechts einen Bärendienst erwiesen. Wie kann einer Verwaltung (hier und in anderen Kommunen) noch klar gemacht werden, dass es zutreffend strafbar ist, wenn Vorteile für die Dienstausübung angenommen werden und wenn Gelder, die für den eigenen Wahlkampf verwendet werden, eigentlich als "Drittvorteile" nicht so sehr ins Gewicht fallen? Auch der Zweck "positive Generalprävention" hätte durch eine (zumindest symbolische) geringe Strafe noch gefördert werden können.

Alle diese Zwecke wären durch eine (wenn auch schuldangemessen geringe) Strafe noch erreicht worden. Strafe hätte ihren Zweck eben nicht verfehlt, schon gar nicht wäre eine Strafe „offensichtlich“ verfehlt.

Um es zusammenzufassen: Ich halte die Entscheidung in diesem Punkt (Absehen von Strafe) für rechtsfehlerhaft.

Update in eigener Sache (9.7.2019):

E-Mail als "Offener Brief"   Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Wolbergs,  

in einem Interview mit TVA, das am 5. Juli 2019 aufgenommen wurde, aber nach wie vor auf der Website des Senders zum Abruf verfügbar ist, behaupten Sie, ich hätte im podcast (Mittelbayerische Zeitung, aufgenommen am 4. Juli 2019) das Gericht zurechtgewiesen, weil es die Staatsanwaltschaft kritisiert hat. Sie bezeichnen meine angebliche Äußerung auch als unbegreiflich arrogant.

Ihre Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. Im Gegenteil habe ich mich positiv dazu geäußert, dass das Gericht die Staatsanwaltschaft kritisiert hat. Ich habe lediglich mein Erstaunen darüber bekundet, dass das Gericht sich so geäußert hat, weil ich selbst so etwas in vielen Hauptverhandlungen noch nie erlebt habe. Ich habe aber das Gericht ausdrücklich nicht kritisiert, sondern es sogar positiv bewertet, dass damit die Unabhängigkeit zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft dokumentiert wird und dass in diesem Prozess keine „Kumpanei“ zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft erkennbar war.

Da es eine meiner zentralen Anliegen seit jeher ist, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften möglichst getrennt voneinander agieren und ich mich z.B. seit jeher gegen den in Bayern verbreiteten Personalwechsel zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaften ausspreche, trifft mich Ihre falsche Darstellung besonders. Ich fordere Sie hiermit auf, diese Wiedergabe zu berichtigen und in künftigen Interviews eine falsche Wiedergabe meiner Äußerungen zu unterlassen.

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller

Dieser Brief ging als E-Mail heuteMittag (9.7.19) an den Oberbürgermeister; eine evtl. eintreffende Antwort wird, falls von ihm gewünscht, ebenfalls an dieser Stelle veröffentlicht.

Update 3.11.2021

Morgen wird in Leipzig (BGH) über den Fall Wolbergs verhandelt, möglicherweise sogar über beide Urteile. Selsbtverständlich werde ich den Verlauf und das Ergebnis dieser Verhandlung  auch hier im Beck-Blog zeitnah kommentieren.

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95 Kommentare

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Das Urteil scheint mutig, aber gerecht. Das Theater der Staatsanwaltschaft war einfach schlecht und zu dünne. Das Theater des Wolbergs war aber eines OB auch unwürdig. Es ist gut, dass das jahrelange gegenseitige Aufschaukeln durch das Urteil im Wesentlichen beendet wurde. Selten zeigte sich mehr, dass zu einem glänzenden Helden auch ein glänzender Gegner gehört. Aus kleinkarierten Streitern erwächst kein großer Streit.

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Herrn Wolbergs kann man natürlich seine physische Statur und auch seine Physiognomie nicht zum Vorwurf machen, wer sich aber dann auch noch in den Medien und im Gericht unter den anderen Anzugs- und Krawattenträgern  auch optisch und akustisch so hemdsärmelig präsentiert, dem fehlt m.E. der Stil eines OB für eine Stadt mit fast 150 Tausend Einwohnern. Ein Vertreter der Exekutive muss Respekt vor der Justiz zeigen und seine öffentlichen Worte mässigen, wenn er mit ihr in der Form der StA nicht zufrieden ist. So grob schimpfen und beleidigen wird wahrscheinlich vom Wähler auch nicht honoriert werden, weil diese Bilder eines unbeherrschten und aggressiven OBs noch länger im Gedächtnis bleiben werden, der sich auch nicht clever vorher bei seiner Rechtsabteilung, oder bei externen Beratern rechtlich abgesichert hatte, was ihn dann entlastet hätte.

Mit den Medien generell kann ein Politiker schnell wie im Aufzug hochfahren, aber auch schnell wieder herunter.

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Verbotsirrtum? unvermeidbar?

Wurde W. nicht per Mail von einem SPD-Schatzmeister o.ä. daraufhingewiesen, dass Annahme von Parteispenden aus der Immobilienwirtschaft höchst problematisch ist?

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Zu Ziffer 4:

Jeder kleine Hansel, der in der Verwaltung anfängt, unterschreibt eine Belehrung über das Verbot der Annahme von Geschenken und Belohnungen und das  wird in regelmäßigen Abständen wiederholt.

Nur der Herr OB unterlag laut Kammer einem Verbotsirrtum... sehr sehr fernliegend.

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U-Haft und die Folgen im Zusammenhang mit den "Folgen der Tat"

In der MZ, NewsBlog, zitiert man die Vorsitzende der Kammer:
Inhaftierung "aus heutiger Sicht unverhältnismäßig".

U-Haft darf bekanntlich nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht, § 112 I2 StPO.

Weiter MZ:

"Wolbergs könne lediglich vorgeworfen werden, dass er sich nicht eingehender über die komplexe Rechtslage informiert habe. Escher spricht von einem geringen Verschuldungsgrad. Umgekehrt sei Wolbergs gesundheitlich, finanziell und beruflich schwer von den Ermittlungen betroffen. Die Tatfolgen, die Wolbergs im Zuge des Verfahren getroffen haben, hätten Wolbergs genug getroffen."

So gesehen hat das Gericht die "Folgen der Tat" iSd § 60 StGB WEIT ausgelegt. Auch im Hinblick auf den laut Gericht dann verfassungswidrigen Entzug der Freiheit (Artikel 2 und 104 GG) samt den damit einhergehenden Folgen für die Gesundheit des susp. OB sowie den Reaktionen der Regensburger Bürgerschaft auf die Anordnung der U-Haft.

Trefflich insoweit Frau Stadträtin Kunc, Urgestein der Grünen, die sagte (MZ):

"Allerdings beschäftigt mich auch eines: Als die Staatsanwaltschaft die U-Haft bekannt gegeben hat, haben sich viele davon beeinflussen lassen. Auch ich habe mich davon beeinflussen lassen und das tut mir leid."

Überhaupt: Der Frage, ob bei der Verhängung der U-Haft die gesetzlichen Voraussetzungen (Gefahr der Flucht, der Verdunkelung) vorlagen, wurde kaum nachgegangen. Herr Tretzel, hat er nicht in einem Schlusswort diesbezüglich von Freiheitsberaubung gesprochen und Konsequenzen angedeutet?

Zu bedenken wäre insoweit auch, dass das Gericht davon sprach, die "Sache" hätte mit einem Strafbefehlsverfahren erledigt werden können ....

P.S.

Die österr. Interrimsregierung ließ ein Gesetz verabschieden: Unternehmensspenden limitiert auf 7500 EUR im Jahr. Keine Partei darf pro Jahr mehr als 750TEURO insgesamt annehmen. Jede Spende ab 2500 EUR ist öffentlich zu machen.

Kann und wird der Bundestag davon lernen? Gar das zur Umgehung des ParteienG ausufernde Parteiensponsoring verbieten? Die gesamte Gesetzeslage ist von Heuchelei  ("marktkonforme Demokratie") und mangelnder Klarheit der Normen durchsetzt. Ob die Grünen, wer auch immer, die Gesetzesinitiative ergreifen?

 

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Die LTO-Presseschau:

LG Regensburg zu korruptem OB: Nach Bericht von SZ (Andreas Glas/Kassian Stroh) und community.beck.de (Henning Ernst Müller) ist der Prozess um den in korrupte Geschäfte involvierten Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs abgeschlossen, ohne dass für diesen trotz Schuldspruch wegen Vorteilsnahme ein Strafmaß verkündet wurde. Die Richterin begründete den Verzicht auf eine Strafe mit § 60 Strafgesetzbuch, da "die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre". Dazu zähle unter anderem die sechswöchige Untersuchungshaft. Außerdem sei sich Wolbergs nicht bewusst gewesen, dass er die Spenden nicht habe annehmen dürfen und insofern einem Verbotsirrtum unterlegen.

Dazu zähle unter anderem die sechswöchige Untersuchungshaft.

Diese war nach Urteilsbegründung unverhältnismäßig gewesen, war aber m. W. vom OLG NÜrnberg vorher bestätigt worden. Als "apokrypher" Haftgrund scheint doch eine "Aussageerpressung" bei einem Angeklagten, der ja sehr viel ausgesagt hatte und gerade nicht geschwiegen hatte, sondern sehr gesprächig war, für mich völlig abwegig zu sein.

Welchen "apokryphen" Haftgrund vermuten denn nun im Fall Wolsberg die Theoretiker dieser Konstruktion?

(Der Herr Professor Dr. Müller kann mich übrigens auch mit meinem Klarnamen ansprechen, falls er nun darauf antwortet.)

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Bisher hat hier noch niemand von einem "apokryphen Haftgrund" gesprochen. Wie kommen Sie darauf? Eine unverhältnismäßige U-Haft ist kein "apokrypher Haftgrund". Im übrigen käme als "apokryphen Haftgrund" theoretisch der Umstand in Betracht, dass Gerichte sehr schwer zu bewegen sind, einen Angeklagten (völlig) freizusprechen, wenn vorher eine U-Haft stattgefunden hat, also "apokryph" eine Vorverurteilung bezweckt war, auch ggü. der (Fach-) Öffentlichkeit, die doch eigentlich immer davon ausgeht, dass etwas an der Sache dran sein müsse, wenn U-Haft stattfindet.

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Eine Verdunkelung wurde doch für möglich / wahrscheinlich gehalten, und das ist ein normierter Haftgrund gewesen.

Hinterher stellte sich die Sache mit der Verdunkelung eben etwas anders dar.

Das ist aber nicht "apokryph", sondern so etwas kommt vor.

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dass Gerichte sehr schwer zu bewegen sind, einen Angeklagten (völlig) freizusprechen, wenn vorher eine U-Haft stattgefunden hat, also "apokryph" eine Vorverurteilung bezweckt war, auch ggü. der (Fach-) Öffentlichkeit, die doch eigentlich immer davon ausgeht, dass etwas an der Sache dran sein müsse, wenn U-Haft stattfindet.

Das unterstellen Sie hier ernsthaft?

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Der Begriff des "apokryphen" Haftgrunds hatte doch eine verdeckte Absicht unterstellt, aber eine Verkettung von ungewollten, also unbeabsichtigten  Ereignissen außen vor gelassen.

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Das Konstrukt war doch bisher: Wo keine normierten Haftgründe vorhanden sind, gibt es "apokryphe" Haftgründe, Prof. Müller und andere hatten ja einige genannt.

Hier aber gibt es offenbar weder normierte, noch "apokryphe" Haftgründe, aber nur rein retrospektiv.

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Ich habe (ohne Akteneinsicht) das so mitbekommen - man korrigiere mich, wenn es anders war: Die StA hatte wg Bestechung/Bestechlichkeit ermittelt und während der laufenden Ermittlungen die Telefone der Tatverdächtigen überwachen lassen. Daraus ergab sich, dass die Beschuldigten sich mit einem Zeugen treffen wollten. Dies begründete nach Ansicht der StA eine Verdunkelungsgefahr, die dann als Haftgrund herangezogen wurde. OLG Nürnberg bestätigte den Haftbefehl. Im Prozess wurde vorgetragen, die Verdunkelungsgefahr sei vorschnell angenommen worden, die Gespräche seien falsch- oder missverstanden worden. Eine Einschätzung, die die Strafkammer offenbar teilte, zumal sie ja schon bei der Eröffnung nicht mehr von Bestechlichkeit ausging.
Hier geht es offenbar um die Frage, ob eine Gefahrprognose richtig getroffen wurde und um die Verhältnismäßigkeit der Haft. Ob auch apokryphe Haftgründe (zB "Weichkochen") eine Rolle spielten, kann ich weder bestätigen noch ausschließen.

Das Absehen von Strafe gem § 60 StGB kommt nicht nur bei unmittelbaren, sondern auch bei mittelbaren Tatfolgen in Betracht, insbes. auch bei erst durch die Strafverfolgung bewirkten Folgen (Fischer, StGB, § 60 Rdnr. 4 m. w. N.). Richtig mag sein, dass § 60 StGB insoweit eher selten zur Anwendung kommt. Es ist aber auch nicht jeder Prozeß so kafkaesk, wie der vorliegende.

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Den § 60 gibt es aber, um von einer Strafe abzusehen, wenn die schweren Folgen für den Angeklagten als Strafe genug abschreckend wirken und eine staatliche Strafverhängung daneben sozusagen verblassen würde (nach dem Gesetzeswortlaut "offensichtlich verfehlt" wäre). Hier ist aber doch das genaue Gegenteil der Fall: JW fühlt sich als Sieger und betont bei jeder Gelegenheit, dass er alles richtig gemacht habe.

Abgesehen davon: eine übereifrige Staatsanwaltschaft, lange Ermittlungsverfahren, hohe Verteidigungskosten und ja, auch leichte psychische Probleme, gibt es doch bei vielen schweren Tatvorwürfen. Und auch berufliche Konsequenzen sind bei Straftaten, die mit eben jenem im Zusammenhang stehen wohl eher die Regel als die Ausnahme. Warum diese Gründe grade bei JW zur Strafabsehung führen sollen, ist mir unverständlich.

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War etwas zur Kostenfestsetzung im mündlichen Urteil schon zu erfahren, da ja ursprünglich schwerere Tatvorwürfe der Bestechlichkeit und teilweise der Vorteilsannahme gegen J. W. fallengelassen wurden?

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Der BGH dürfte sich auch zur besonderen "Haftempfindlichkeit" noch äußern, die die Kammer bei J. W. gesehen hatte.

Da ist der Grundsatz "ohne Ansehen der Person" die bestehenden Gesetze immer anzuwenden, berührt.

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Hallo Herr Prof. Müller,

vielen Dank, dafür dass Sie sich die Mühe machen verschiedene juristische Themen mit ausgesprochen lesenswerten Beiträgen zu kommentieren.

Lässt es sich zeitlich eingrenzen,  ab wann eine Entscheidung des BGH über die Revision zurechnen ist?

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These:

Keine U-Haft, keine Suspendierung, keine im Ergebnis unmenschliche "Folgen der Tat", die die Kammer als tragisch erkannte.

Ausgangspunkt:

Für den ehemaligen Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg Erardo Cristoforo Rautenberg verträgt sich der Anspruch der Staatsanwaltschaft, im Strafverfahren objektiv und unparteiisch zu agieren (vgl. § 160 Abs. 2 StPO), nicht mit ihrer Weisungsabhängigkeit vom Justizminister und damit von der politische Interessen verfolgenden Regierung, was er unter Angabe zahlreicher Quellen ausführlich begründet.31
[31] Carsten/Rautenberg (2015), S. 503 ff.; siehe auch Rautenberg (2016).

Mehr dazu: Wikipedia, StA-Deutschland

Die Verteidigung beantragte bekanntlich die Einvernahme des die U-Haft verfügenden Ermittlungsrichters. Sie wollte von ihm wissen, welches Aktenmaterial im vorlag, als er in die Freiheit von Wolbergs und Tretzel ua. eingriff. Die Verteidiger mutmaßten, dass ihm u.a. inhaltlich fehlerhafte TKÜ-Verschriftungen, nicht der vollständige Wortlaut der abegehörten Telefonate etc. vorlag, woraus er dann in rechtlich nicht haltbarer Weise die gesetzlichen Voraussetzungen der U-Haft (siehe meinen Beitrag oben) zu erkennen glaubte.

Die Strafkammer hat diesen Antrag abgeschmettert. Warum? U.a. mit der erinnerlichen Begründung, sie, die Mitglieder der Kammer, würden sich selbst ein Bild über die Frage der Rechtmäßigkeit der verhängten U-Haft machen.

Dieses "Bild", das die Vorzitzende in ihrer zwei Tage währenden, aussergewöhnlich langen und ausführlichen mündlichen Urteilsbegründung zeichnete, ist es in diesem für mich sehr entscheidenden Punkt nicht erstaunlich "karg"? Bei aller Entschiedenheit im Fazit: U-Haft nicht verhältnismäßig. Mithin steht damit nach Auffassung der Kammer fest, dass die Verhängung der U-Haft verfassungswidrig war. Daran kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Wer aber trägt Verantwortung für eine verfassungswidrig verhängte U-Haft? Mithin für den damit untrennbar verbundenen Entzug der Freiheit der betroffenen Mitbürger? Zumal die Kammer der Ansicht war, die gesamte Causa hätte mit einem Strafbefehlsverfahren über die Bühne gehen können. Ist hier nicht etwas total aus dem Ruder gelaufen, unter den Augen des CSU-Minsteriums, ggf. mit dessen Begleitung und Weisung, worüber ich gewiss nicht alleine Auskunft begehre und ggf. nach der BV Eingaben machen werde.

Soweit das OLG Nürnberg die U-Haft für rechtens erklärt hatte, ist die den dortigen Richtern wohl gar nicht gestellte und somit auch nicht beantwortete Frage die gleiche: Welches Aktenmaterial lag ihnen vor? - siehe vorstehend. Im Übrigen ist das OLG Nürnberg nicht Revisionsinstanz, was für das, was noch kommt, von Bedeutung ist.

Fragen an Professor Müller und die geschätzten "Gäste":

1. Wie kann man das Wissen des Ermittlungsrichters, der OLG - Richter (darüber, was ihnen die Staatsanwaltschaft, ständig in ihrer Abhängigkeit begleitet durch das politische Weisungspersonal der Justizministeriums) für die die Justiz kontrollierende Öffentlichkeit ans Licht tragen? Erinnert sei insoweit daran, dass die Regensburger StA den Verteidigern die umfängliche Einsicht in das abgehörte Datenmaterial mit all ihren Verfassungsbrüchen nicht gewährte; es bedurfte insoweit eines Beschlusses der Escher-Kammer, der insoweit den Verstoß der StA gegen Fairness, Transparenz und Waffengleichheit einer Korrektur zuführte. Verteidiger Ufer hat in seinem Pladoyer, ich war vor Ort, speziell auf Folgendes kaum Berichtetes hingewiesen. Es habe einen Schriftwechsel mit der StA gegeben. Darin habe man ihm angekündigt, er werde nach dem damals bevorstehenden Abschluss der Ermittlungen umfängliche Akteneinsicht erhalten, worauf er die Sicht der Verteidigung vortragen könne, was sich auch so gehört. Was geschah aber ? Die Ankündigung wurde nicht umgesetzt, sondern ´aus heiterem Himmel` Anklage erhoben. Ist das nicht ein verfahrensrechtliches NO-GO, um beim Kammer-Wortlaut zu bleiben?

2. Wie kann man den potentiell weisungsgetränkten Hintergrund eines solchen sich selbst widersprechenden Verhaltens der StA für ALLE öffentlich machen?

3. Im Okober 2018 fand die Landtagswahl statt. Wahlkampfzeit. Auf die von GenStA Rautenberg angesprochenen politischen Interessen der weisungsgebenden CSU-Politik sei erinnert.

4. Unterstellt: Dem Ermittlungsrichter lag unzulängliches Aktenmaterial vor, dass die Angeklagten bereits in tatsächlicher Hinsicht falsch belastete; die Angeklagten Entlastendes wurde ihm seitens der StA vorenthalten, a) nur objektiv  oder   b) grob fahrlässig unwissend  oder   c) gar subjektiv wissend.

Was kann der Ermittlungsrichter heute tun, um sein Wissen und seine Verantwortung um das Zusammenwirken mit der StA in die Öffentlichkeit zu tragen, verfahrensfest zu machen? Gibt es auch in der Justiz, unter Hinweis auf die ständigen Wechsel von der StA zur Richterschaft und zurück, einen "Kameraden-Kodex", wie bei der Polizei?

5. Was kann die Verteidigung auch öffentlichkeitswirksam tun, um im vorstehenden geschilderten Umfang Licht in die Verhältnisse zu bringen?

6. Gibt es nicht auch auf EU-Ebene etc. politische Bestrebungen, die Weisungsgebundenheit der StA von der Politik, wenn man sie schon zum "Schutz der eigenen politischen Interessen" (siehe Causa Schaidinger 2007/2008: Millionendeal am Donaumarkt) nicht freiwillig abschaffen will, jedenfalls im Nachhinein öffentlich zu machen? Und zwar vor dem Hindergrund eines Satzes des BVerfG:

"Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes, Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was geschieht, ist nicht möglich." - BVerfGE 40, 296, 327.

In dem Vorstehenden sehe ich akuten Handlungsbedarf; es muss aufgeklärt werden. Und zwar an entscheidenden Punkten der Weichenstellungen, den Ablauf des gesamten Verfahrens betreffend, das ein rechtskonformes zu sein hatte. Die Bindung der StA als "vollziehender Gewalt" und "der Rechtsprechung" an "Gesetz und Recht" (Artikel 20 Abs. 3 GG) ist nicht verfügbar.

Insoweit hat bis heute leider auch die sog. vierte Gewalt wenig bis nichts beigetragen.

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Sehr geehrter mkv,
danke für Ihre Fragen. Ich werde versuchen zu antworten, sobald ich wieder (nach Dienstreise) am Schreibtisch sitze. Nur vorab: Ich glaube nicht, dass die aufgeworfenen Fragen mit der mangelnden Unabhängigkeit der StA zu tun haben. Die Regensburger Staatsanwaltschaft hat offenbar eher ZU unabhängig agiert in diesem Fall, keineswegs irgendwie "von oben gesteuert".
Besten Gruß
Henning Ernst Müller

1. Wie kann man das Wissen des Ermittlungsrichters, der OLG - Richter (darüber, was ihnen die Staatsanwaltschaft, ständig in ihrer Abhängigkeit begleitet durch das politische Weisungspersonal der Justizministeriums) für die die Justiz kontrollierende Öffentlichkeit ans Licht tragen? Erinnert sei insoweit daran, dass die Regensburger StA den Verteidigern die umfängliche Einsicht in das abgehörte Datenmaterial mit all ihren Verfassungsbrüchen nicht gewährte; es bedurfte insoweit eines Beschlusses der Escher-Kammer, der insoweit den Verstoß der StA gegen Fairness, Transparenz und Waffengleichheit einer Korrektur zuführte. Verteidiger Ufer hat in seinem Pladoyer, ich war vor Ort, speziell auf Folgendes kaum Berichtetes hingewiesen. Es habe einen Schriftwechsel mit der StA gegeben. Darin habe man ihm angekündigt, er werde nach dem damals bevorstehenden Abschluss der Ermittlungen umfängliche Akteneinsicht erhalten, worauf er die Sicht der Verteidigung vortragen könne, was sich auch so gehört. Was geschah aber ? Die Ankündigung wurde nicht umgesetzt, sondern ´aus heiterem Himmel` Anklage erhoben. Ist das nicht ein verfahrensrechtliches NO-GO, um beim Kammer-Wortlaut zu bleiben?

Ja, ich halte es auch für unsäglich, wenn man zuvor die Möglichkeit der verteidigenden Stellungnahme in Aussicht stellt, dann aber überraschend Anklage erhebt. Ich habe schon öfter von solchen Fällen gehört. Wahrscheinlich wird seitens der StA argumentiert, die Stellungnahme könne ja im Zwischenverfahren eingebracht werden. Insofern war die Verteidigung ja auch außergewöhnlich erfolgreich, indem der größte Vorwurf (Bestechung/Bestechlichkeit) vom Gericht gar nicht erst eröffnet wurde. Ich würde daher sagen: Dieser Vorwurf an die StA besteht zu Recht, ist aber verfahrensrechtlcih überholt.

2. Wie kann man den potentiell weisungsgetränkten Hintergrund eines solchen sich selbst widersprechenden Verhaltens der StA für ALLE öffentlich machen?

Das machen Sie doch gerade.

3. Im Okober 2018 fand die Landtagswahl statt. Wahlkampfzeit. Auf die von GenStA Rautenberg angesprochenen politischen Interessen der weisungsgebenden CSU-Politik sei erinnert.

Ich verstehe die Frage nicht. Erinnert mich aber an den Versuch, in das Verfahren parteipolitische Interessen irgendwie hineinzugeheimnissen. Ich denke, die CSU hat potentiell am meisten zu verlieren, wenn es um die Untersuchung von kommunaler Korruption geht, denn sie stellt doch die politischen Verantwortungsträger in den meisten Gemeinden. Und bezüglich der Verhältnisse in Regensburg ist die CSU eher daran interessiert, die Verbindungen des früheren OB mit demselben Bauunternehmer unter der Decke zu halten. Es liegt auf der Hand, dass nicht die CSU, sondern (wie ja auch in der Realität) eher Sozialdemokraten die zu große Nähe zwischen Baubranche und Politik für problematisch halten.

4. Unterstellt: Dem Ermittlungsrichter lag unzulängliches Aktenmaterial vor, dass die Angeklagten bereits in tatsächlicher Hinsicht falsch belastete; die Angeklagten Entlastendes wurde ihm seitens der StA vorenthalten, a) nur objektiv  oder   b) grob fahrlässig unwissend  oder   c) gar subjektiv wissend.

Was kann der Ermittlungsrichter heute tun, um sein Wissen und seine Verantwortung um das Zusammenwirken mit der StA in die Öffentlichkeit zu tragen, verfahrensfest zu machen? Gibt es auch in der Justiz, unter Hinweis auf die ständigen Wechsel von der StA zur Richterschaft und zurück, einen "Kameraden-Kodex", wie bei der Polizei?

Ja, letzteres gibt es in gewisser Weise. Aber auch das glatte Gegenteil davon, wie wir gerade hier beobachten. Auch wenn ich die gerichtliche Entscheidung kritisiere, bin ich (positiv!) überrascht, wie unabhängig die Kammer von der staatsanwaltlichen Voreinschätzung und Anklage geurteilt hat. Inwieweit das auch für vorherige Entscheidungen gilt, insbesondere die U-Haft-Entscheidung, darüber will ich nicht spekulieren, da ich die Akten nicht kenne und auch nicht die Entscheidungsgrundlagen zum Zeitpunkt der Entscheidung.

5. Was kann die Verteidigung auch öffentlichkeitswirksam tun, um im vorstehenden geschilderten Umfang Licht in die Verhältnisse zu bringen?

Da müssen Sie die Verteidigung fragen. Diese war bislang außerordentlich erfolgreich. Ich hingegen bin kein Strafverteidiger und habe daher nur zu den rechtlcihen Argumenten Stellung genommen. Allerdings hat ja schon das dazu geführt, dass mir der Verteidiger des OB den Mund verbieten wollte (siehe den ersten Kommentar zum vorherigen Beitrag).

6. Gibt es nicht auch auf EU-Ebene etc. politische Bestrebungen, die Weisungsgebundenheit der StA von der Politik, wenn man sie schon zum "Schutz der eigenen politischen Interessen" (siehe Causa Schaidinger 2007/2008: Millionendeal am Donaumarkt) nicht freiwillig abschaffen will, jedenfalls im Nachhinein öffentlich zu machen? Und zwar vor dem Hindergrund eines Satzes des BVerfG:

"Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes, Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was geschieht, ist nicht möglich." - BVerfGE 40, 296, 327.

In dem Vorstehenden sehe ich akuten Handlungsbedarf; es muss aufgeklärt werden. Und zwar an entscheidenden Punkten der Weichenstellungen, den Ablauf des gesamten Verfahrens betreffend, das ein rechtskonformes zu sein hatte. Die Bindung der StA als "vollziehender Gewalt" und "der Rechtsprechung" an "Gesetz und Recht" (Artikel 20 Abs. 3 GG) ist nicht verfügbar.

Ja, Transparenz ist eine berechtigte Forderung in einer Demokratie. Aber Sie unterstellen politisch motivierte Weisungen aus München, für die ich keinen Anhaltspunkt sehe.

Und wenn Sie mich danach fragen: Der hier verhandelte Fall gibt für die grundsätzliche Diskussion über die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft gar nichts her.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Das klingt für mich fast nach einer Anregung / Wunsch für einen Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags in der causa Wolbergs.

Ein Fünftel der Mitglieder (205 seit 2018) wären dafür notwendig.

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..... verträgt sich der Anspruch der Staatsanwaltschaft, im Strafverfahren objektiv und unparteiisch zu agieren (vgl. § 160 Abs. 2 StPO), nicht mit ihrer Weisungsabhängigkeit vom Justizminister und damit von der politische Interessen verfolgenden Regierung, was er unter Angabe zahlreicher Quellen ausführlich begründet .......

Ob es aber Weisungen gegeben hatte, ist unklar und das wäre auch extrem töricht gewesen.

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Keine U-Haft, keine Suspendierung, keine im Ergebnis unmenschliche "Folgen der Tat", die die Kammer als tragisch erkannte.

Das könnte dann auch noch den EGMR in Straßburg beschäftigen, wenn "unmenschliche" Tatfolgen zuträfen. Ist m.E. schon sehr hoch gegriffen.

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Glauben/Nichtglauben - das ist nicht der Punkt. Zu fragen ist: Wie schafft man Transparenz, ob der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit der Ausübung (externen) Weisungsrechts (Justizministerium --> GenStA --> für den jeweiligen Fall zuständige StA).

Zur politischen Forderung, auch und gerade des Deutschen Richterbundes: " .... nutzte der Deutsche Richterbund die Gelegenheit, um seine seit einigen Jahren mehrfach geäußerte und bereits in einem Gesetzentwurf formulierte Forderung zu erneuern, das Weisungsrecht der Justizminister gegenüber den Staatsanwälten des Bundes und der Länder abzuschaffen. Dies fand viel Anklang unter den Rechtspolitikern und wurde auch in den Zeitungen breit diskutiert."

Quelle:

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/weisungsrecht-staatsanwalt-justiz-politik-extern-generalbundesanwalt-generalstaatsanwalt/

Des weiteren: Grundsätzlich zum Weisungsrecht, der daran zu übenden Kritik u.a. , ein gut leserbarer Essay von  Sebastian Beining, wo es auch heißt (Seite 549 rechte Spalte, unter IV):

"Allein der böse Schein beschädige schon das Ansehen von Staatsanwaltschaft und Justiz und laufe darüber hinaus den Interessen der politisch Verantwortlichen zuwider."

Quelle:

http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2015_6_952.pdf

Endlich: Stellungnahme NEUE RICHTERVEREINIGUNG vom Juli 2014

Quelle:

https://www.neuerichter.de/fileadmin/user_upload/lv_schleswig-holstein/2014_07_NRV_LV_SH_Anhoerung_LT_Weisungsrecht.pdf

Daraus ein Zitat:

Bereits heute kann das Weisungsrecht rechtlich nicht unbegrenzt eingesetzt werden. Zum einen sieht das in § 152 Abs. 2 StPO geregelte Legalitätsprinzip unabhängig von allen Weisungen einen Verfolgungszwang gegen jeden Verdächtigen und bei Vorliegen dergesetzlichen Voraussetzungen auch einen Anklagezwang vor. Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, bei zureichenden Anhaltspunkten für verfolgbare Straftaten einzuschreiten. Tut sie das nicht, oder schreitet sie umgekehrt ein, wenn gar kein Anhaltspunkt für eine Straftat besteht, läuft sie Gefahr, sich wegen Strafvereitelung im Amt oder umgekehrt wegen Verfolgung Unschuldiger strafbar zu machen. Nur innerhalb dieser gesetzlichen Vorgaben können auch externe Weisungen erteilt werden, andernfalls liefe der anweisende Minister selbst Gefahr, sich nach den genannten Vorschriften strafbar zu machen.

Zitatende, soweit die Theorie

Der Inhalt des Zitats wird erhellt durch die Causa Wolbergs und (gegenläufig, auch was die hiesige und dortige Intervention der Regierung der Oberpfalz, als Arm der Exekutive, betrifft) durch die 2007-Causa Schaidinger: "... die Justiz als eine Art “Wurmfortsatz der jeweiligen Landesverwaltung"?? .. , so der Bundesvorstand der Neuen Richtervereinigung.

Quelle: https://www.aktionboss.de/plaedoyer-fuer-unabhaengige-staatsanwaelte

Ganz zum Schluss: "Der politische Staatsanwalt"

Christian Trentmann handelt auf der Seite 135 f  alles Wissenswerte ab, von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats bis zur EU-Kommission.

Quelle: http://www.zis-online.com/dat/artikel/2016_2_987.pdf  , siehe auch Fußnote 44 zu RAUTENBERG

Vor dem Hintergrund dieser "Lage" erscheint es geboten, demokratischen Einblick zu erstreiten, wie es zu dem auch wenig rechtsförmigen Agieren der StA mit den bekannten Verfassungsbrüchen, dem sturren Festhalten an einmal gefassten Einschätzungen unter Negierung der Beweiserhebung sowie der eingeschränkten Zulassung der Anklage mit einer total überzogenen Strafforderung von 4,5 Jahren. Usw.usf.

Ich wiederhole meine Frage:

Gab und gibt es konkreten weisungsgebenden Einfluss auf die Arbeit der StA seitens des Ministeriums? Falls ja: Wer steht wodurch in Verantwortung? Das Gebot der Transparenz macht die Beantwortung dieser Fragen unverzichtbar.

Nicht Glauben, nein: Wissen, was tatsächlich war, als originäre Aufgabe auch der MEDIEN, ist gefragt.

Ein Zitat von Prof. Müller, mit Hinweis auf den letzten Satz, aus einem Parallel-BeckBlog:

“Inwieweit sind Staatsanwälte bzw. Staatsanwaltschaften unabhängig oder sollten dies sein? Geltendes Recht ist § 147 GVG, wonach Staatsanwälte in ihrer Behörde NICHT unabhängig agieren/entscheiden und die Behördenhierarchie über die Generalstaatsanwälte bis hinauf in die jeweilige Landesregierung (Justizministerium) reicht. Dieser gesetzliche Zustand wird einerseits beklagt, und dies über das ganze Parteienspektrum hinweg, und es wird gefordert, die Staatsanwälte müssten (ähnlich wie Richter) unabhängig ermitteln und entscheiden dürfen, die gesamte „Justiz“ müsse unabhängig sein.

Andererseits (und zu dieser Ansicht bekenne ich mich) wird eher eine stärkere Trennung zwischen Staatsanwaltschaften und Gerichten angestrebt. Eine Zusammenführung in einer einzigen Behörde/Institution namens Justiz vermischt nämlich die ganz unterschiedlichen Prozessrollen im Strafrecht und damit auch den Unterschied zwischen Judikative und Exekutive (zu letzterer gehören auch die Staatsanwaltschaften). Die Weisungsbefugnis bringt auch automatisch politische Verantwortung für das Agieren der Staatsanwaltschaften mit sich und diese Verantwortung führt auch zu einer demokratischen Anbindung – die Regierenden sind als Spitzen der Exekutive ja letztlich dem gewählten Parlament verantwortlich.

Zitatende

Der letzte Satz eröffnete für die Mitglieder des Bayerischen Landtags ggf. von alleine den Weg der Einschlagung eines Untersuchungsausschusses - von dem oben ein GAST schrieb.

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Wenn es irgendwelche Anhaltspunkte für eine politische Einflussnahme im Regensburger Prozess gäbe, wäre ich auch dafür, dies zu untersuchen. Für bloße Fehlgriffe und Verfahrensfehler der Staatsanwaltschaft in Regensburg erscheint mir ein U-Ausschuss sicherlich etwas zu hoch gegriffen.

In dem Ruf nach einem U-Ausschuss offenbart sich ein Widerspruch, wenn man zugleich die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft fordert, für wünschenswert hält oder gar schon für geltendes Recht hält. Eine unabhängige Staatsanwaltschaft ist und wäre selbstverständlich der Politik gar nicht verantwortlich und müsste sich auch nicht einem U-Ausschuss stellen.

Und man muss berücksichtigen: das Verfahren läuft ja noch - ist also nicht rechtskräftig abgeschlossen, zudem gibt es weitere Verfahren, im Oktober beginnt eine weitere Hauptverhandlung. Parallel einen U-Ausschuss einzurichten, der das Verhalten der Anklagebhörde untersuchen soll, kommt zur Unzeit.

Weg der Einschlagung eines Untersuchungsausschusses

Nach Lage der Dinge (Kräfteverhältnisse) in Bayern kämen dafür die Gelben plus die Grünen in Frage.

Die Partei-Strategen beider Parteien werden diese Konstellation vermutlich auch sehr interessant finden, bei dem Thema mal eine gemeinsame Interessenslage zu haben. Die Crux dabei wäre, da geht es dann eventuell wieder hauptsächlich um politische Interessen aus Parteiensicht.

Wolbergs will ja selber die Revision, also auch da wird der Kampf dann noch länger weitergehen.

Eine Auszeit zur Beruhigung und Besinnung scheint also erst einmal nicht gewollt zu sein.

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Was hinzukäme, die Blauen würden einen Antrag für einen Untersuchungssausschuss dann vermutlich auch noch unterstützen, darum glaube ich selber nicht wirklich daran, dass es zu einem Untersuchungsausschuss in der causa kommt.

Die Komplexität des Nibelungenkomplexes wird also unter Umständen noch komplexer, denn auch die rechtliche Materie selber ist komplex bei dem ganzen Komplex, die politische dann aber ebenfalls.

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Zu Punkt 2 der Ausführungen von Prof. Müller - Strohmann-Spenden. Ich verlinke auf einen interessanten Beitrag von

4. Juli 2019 von Annette Sawatzki
Regensburg-Urteil: Schärfere Parteispenden-Regeln schützen vor solch Ungemach
https://www.lobbycontrol.de/2019/07/regensburg-urteil/

Die Autorin dürfte sich freilich irren, soweit sie uneingeschränkt schreibt:
“ Spenden über Strohleute geschleust
…… Über Jahre hinweg hatten Tretzels Mitarbeiter und Familienangehörige regelmäßig Beträge gespendet – stets in Höhe von 9.900 Euro, also knapp unterhalb der Veröffentlichungsschwelle von 10.000 Euro. Das Geld dafür bekamen sie von Tretzels Firma vorab überwiesen. Die tatsächliche Herkunft der Mittel wurde so verschleiert.”

Objektiv soll es nach den Prozess-Berichten (Es gilt, die schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten) so gewesen sein, dass auch etliche Einzelspenden zuerst geleistet wurden, erst danach erfolgte eine Zahlung des Unternehmers (zum Konto-Ausgleich). Hinzu kommt, dass nach Darstellung der Verteidigung, diese Ausgleichszahlungen am Ende des Jahres im Zusammenhang mit “Gewinnbeteiligungen oder Provisionszahlungen verrechnet” wurden.

Die Ansicht der Kammer, die Frage der (Un)Zulässigkeit der je knapp unter 10.000 EUR angesiedelten Einzelspenden vom Datum der Ausgleichszahlung (vorher-nachher) abhängig zu machen, kann nicht überzeugen. Denn das Datum der Ausgleichszahlung mag auf zufällige Umstände der das Geld anweisenden internen Zahlungsstelle des Unternehmens zurückzuführen sein. Daran die Frage der (fehlenden) Strafbarkeit zu knüpfen, erscheint doch willkürlich und damit sachlich-rechtlich nicht haltbar.

Die Revision beim BGH sollte insoweit für Klarheit sorgen. M.E. wird es darauf ankommen, ob die jeweiligen Einzelspenden unterm Strich aus dem Vermögen der einzelnen Mitarbeiter stammten. Wären danach die Einzelspenden zulässig, kann der Unternehmer Tretzel als Folge davon keinen falschen Rechenschaftsbericht iSv § 31d Abs. 1 Ziffer 1 PartG “bewirkt” haben.

BVerfGE, 85, 264 (323 f.)
“Beträgt der Wert einer Spende mehr als 1000 DM, so darf sie nach dem Gesetz nur dann von einer Partei entgegengenommen werden, wenn dieser [Parteihorizont*] der wirkliche Spender bekannt ist.”
Urteil des Zweiten Senats vom 9. April 1992, 2 BvE 2/89

(*So Prof. Saliger in: Parteiengesetz und Strafrecht, Seite 103

Insoweit auch der Beitrag der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, dort Ziffer 3.4

https://www.bundestag.de/resource/blob/554938/07d9b67c5fdd3a45452aa31d81f1556c/WD-3-097-18-pdf-data.pdf

Frage der "Erkennbarkeit" beim Verbot der sog. Strohmannspenden gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 6, 2. Alt. PartG

Ich denke daher, dass die Frage der Strohmann-Spenden, ja oder nein, auch bei der Revision eine Rolle spielen wird.

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Die Revision beim BGH sollte insoweit für Klarheit sorgen. M.E. wird es darauf ankommen, ob die jeweiligen Einzelspenden unterm Strich aus dem Vermögen der einzelnen Mitarbeiter stammten.

Ein Bauunternehmer wird es danach nur noch geschickter anstellen, Mitarbeiter oder Familienangehörige zu Spenden zu bewegen, die allen dann nützlich erscheinen, unter dem Stichwort: "Wir sitzen alle im gleichen Boot"

Nachdem es auch einen Verein gibt für sog. "Justizgeschädigte", der sogar noch den e.V. -Status hat und dessen Mitglieder auch auf die Berichterstattung einwirken wollen durch "unterstützende Öffentlichkeitsarbeit" und "Einflußnahme auf die Gesetzgebung und sonstige Meinungsführer", sehe ich da noch ein weites Feld in der Zukunft, denn auch Foren und Blogs spielen ja eine gewisse Rolle inzwischen bei der Meinungsbildung.

Ein sehr interessantes Thema, da heute auch schon Medienanwälte im Gerichtssaal sitzen, wird das kein Einzelfall bleiben. So schnelle und auch ausführliche Presseerklärungen nach einem Urteil sind schon sehr beachtlich, immerhin ging es ja nicht um Mordfälle, das sind immer noch die schwersten Verbrechen.

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Es mag ketzerisch klingen, wenn ich mir auch noch Gedanken über die Ressourcen der Justiz mache angesichts der Dauer und der Länge dieses Verfahrens vor einer Wirtschaftsstrafkammer des LG Regensburg, zumal ich auch dabei an Verfahren in Mordfällen vor Schwurgerichtskammern denke.

Über der Presseerklärung des LG Regensburg steht als Motto: Justiz ist für die Menschen da

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Off topic: Der Herr Prof. Müller hatte mal berichtet, dass er viele Stunden im Kriminalgericht verbrachte beim Fall des Ulrich Schmücker.

Der Fall des Bruno Lüdge wäre m.E. kriminalhistorisch noch interessanter und bemerkenswerter gewesen.

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Wikipedia sagt allerdings, dass ihm nie ein Prozess gemacht wurde.Und da Lüdke schon im Jahr 1944 gestorben ist, hätte ich aus biologischen Gründen auch kaum an dessen Hauptverhandlung teilnehmen können, selbst wenn sie stattgefunden hätte.

Ein an historischen Verfahren interessierter Kriminologe darf doch auch mal länger zurückschauen, auch nach der Einführung des GG in den 3 westlichen Zonen galt er noch als großer Massenmörder, auch Rudolf Augstein dachte noch so, der bekannte Film mit Mario Adorf tat ein Übriges.

Auch Medien spielen eben eine große Rolle beim "öffentlichen Interesse".

Was Wolbergs damit nun erreicht, Medien für sich einzusetzen, bleibt also auch abzuwarten.

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Herr Wolbergs ist im Wahlkampf-Modus, das wurde ja vollkommen klar. Das Urteil war aber kein Freispruch in allen Punkten, die Revision wird auch keinen Freispruch mehr ergeben, diese Prognose wage ich. Nun versuchen Wolbergs und seine Anwälte der Sache noch einen höheren Sinn zu geben, nämlich die Rechtssicherheit zu erhöhen für alle Amtsträger, auch noch für Horst Seehofer. Auch diese Strategie wird aber nicht aufgehen in dem Sinne, dass es nach der OB-Wahl im März 2020 noch einen OB Wolsberg gibt. Auch diese Prognose wage ich.

Denn wenn Wolsberg seiner Sorge Ausdruck gab in der Pressekonferenz, die SPD könnte nun in Richtung 5 % marginalisiert werden, so frage ich, mit welcher Logik er ihr dann mit seinem Verein Konkurrenz bei der nächsten OB-Wahl macht?

Horst Seehofer bekannte übrigens schon mal, dass Politik wie eine Droge ist.

Hier: https://www.nordbayern.de/region/horst-seehofer-politik-ist-schon-ein-suchtmittel-1.8432908

Auch Herr Wolbergs scheint so ein Süchtiger nach Macht und Wichtigkeit zu sein, der von dem Suchtmittel nicht lassen kann. Die Wähler werden ihn spätestens ab März 2020 auf den harten Entzug setzen, auch diese Prognose wage ich, denn der weiche Entzug wäre ein selbstbestimmter Rückzug aus der Politik für geraume Zeit gewesen.

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Herr W. Ebner war von einer Löschung betroffen, auch dagegen wehrte er sich argumentativ.

Ehemalige Soldaten wissen es aber auch noch: "Alles hört auf mein Kommando" ist nicht nur eine Filmkomödie, sondern auch in der Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses (Vorgesetztenverordnung - VorgV) im §6 enthalten als eigene Erklärung zum Vorgesetzten mit Befehlsgewalt.

Für einen Zivilisten, sei er OB, RA oder Journalist, oder auch Moderator usw. gilt das so aber nicht.

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Wenn jemand durch eine glückliche Fügung des Schicksals freigesprochen wurde, sollte er seinem Herrn in einer stillen Kapelle auf Knien danken und nicht öffentlich den Großen Macker spielen, wie Recht er doch angeblich hatte. Es hätte auch anders kommen können und es kann immer noch anders kommen...

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