Corona und Insolvenzverschleppung - Diskussion zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (COVInsAG)

von Markus Meißner, veröffentlicht am 23.08.2020
Rechtsgebiete: CoronaInsolvenzrecht1|3346 Aufrufe

Als eine der frühen Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Deutschland hat der Bundesgesetzgeber durch das zum 1. März 2020 in Kraft getretene COVID-10-Insovenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) u.a. die sich aus § 15a InsO ergebende – strafbewehrte – Pflicht des Vertreters einer juristischen Person, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, befristet bis zum 30. September 2020 ausgesetzt, sofern die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Den Unternehmen sollte damit Zeit gegeben werden, sich auf die unverschuldete Krisensituation einzustellen, ihre Finanzen zu ordnen, Vereinbarungen mit ihren Gläubigern zu treffen und/oder durch die Inanspruchnahme staatlicher Hilfsprogramme frisches Geld einzuwerben, um die wirtschaftliche Krise zu überwinden.[1]

Blickt man auf die aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes hat diese Maßnahme offensichtlich „gewirkt“. So ist die Zahl der gemeldenten Insolvenzen trotz der Coronakrise im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken – zum Teil um fast 30 Prozent.[2]

Verängerung bis Ende März 2021?

Während die im März 2020 beschlossene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nahezu keinen öffentlichen Widerspruch erfuhr, sind nach der kürzlich erfolgten Ankündigung der Bundesjustizministerin Lambrecht, von der in § 4 COVInsAG bereits angelegten Möglichkeit, via Verordnungsermächtigung die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht über den 30. September 2020 hinaus „bis Ende März 2021“ zu verlängern[3], in bestimmten Fallkonstellationen Gebrauch machen zu wollen, kontroverse Diskussionen entstanden. Diese betreffen einerseits die Dauer einer Verlängerung. So spricht sich die die CDU/CSU-Fraktion aktuell für eine Verlängerung längstens „bis zum Jahresende 2020“ aus.[4] Insbesondere in Branchenkreisen wird jedoch auch die Sinnhaftigkeit und Wirkung einer solchen Maßnahme an sich thematisiert.[5]

Die Pläne des Bundesjustizministeriums – Differenzierung zwischen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

Nach den nunmehr bekannt gewordenen Plänen des Bundesjustizministeriums wird im Hinblick auf eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und damit einhergehend auch das Strafbarkeitsrisiko für den gesetzlichen Vertreters einer juristischen Person zu unterscheiden sein, ob das Unternehmen pandemiebedingt überschuldet und/oder zahlungsunfähig ist.

- Vorrang des Gläubigerschutzes bei Vorliegen des Insolvenzgrundes der „Zahlungsunfähigkeit“

Ist ein Unternehmen zahlungsunfähig und damit nicht in der Lage, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen, soll es ab Oktober 2020 verpflichtet sein, innerhalb der gesetzlichen 3-Wochen-Frist des § 15a InsO einen Insolvenzantrag zu stellen - unabhängig davon, ob die Zahlungsunfähigkeit auf den Folgen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie beruht. Nichts anderes wird gelten, wenn neben der Zahlungsunfähigkeit auch noch der Insolvenzgrund der Überschuldung hinzutritt.

- Weitere „Schonfrist“ für Unternehmen, bei denen ausschließlich der Insolvenzgrund der „Überschuldung“ vorliegt

Ist ein Unternehmen nicht zahlungsunfähig, jedoch pandemiebedingt[6] überschuldet, soll die Insolvenzantragspflicht weiterhin bis 31.03.2021 ausgesetzt bleiben, was insbesondere überschuldeten Unternehmen helfen soll, die sich aktuell wieder im Aufwind befinden und über ausreichende liquide Mittel verfügen, bei denen aber aufgrund der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten bezüglich der weiteren Entwicklung der Pandemie keine positive Fortbestehensprognose getroffen werden kann.

Kritik der Insolvenzverwalter: Vermeidung von Zombie-Unternehmen im Interesse des Gläubigerschutzes

Abgelehnt wird eine solche Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht insbesondere von Seiten der Insolvenzverwalter. So würde der Rückgang der Zahlen der gemeldenten Insolvenzen zeigen, dass ganz offensichtlich auch solche Unternehmen durch die Aussetzung der gesetzlichen Regelungen geschützt werden, die nicht pandemiebedingt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind. sondern deren Geschäftsmodell an sich z.B. nicht tragfähig ist. Nach Auffassung des Vorsitzenden des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter Deutschland (VID), Christoph Niering, sei die „schrittweise Rückkehr zur Insolvenzantragspflicht“ vor diesem Hintergrund „nicht der richtige Weg“.[7] In dieselbe Richtung äußerte sich auch der Insolvenzrechtsexperte Lucas Flöther, der im Handelsblatt wie folgt zitiert wird[8]:

„Wir die Aussetzung weiter verlängert, vertrauen sich die Unternehmen nicht mehr: weil sich keiner mehr sicher sein kann, ob sein Gegenüber nicht bereits pleite ist und nur deswegen noch nicht Insolvenz angemeldet hat, weil er nicht muss.“

Demgegenüber befürwortet der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e.V. (BDU) in einem aktuellen Positionspapier die Pläne des Bundesjustizministeriums, ausschließlich für überschuldete Unternehmen die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nochmals zu verlängern, wohingegen eine solche Verlängerung bei Zahlungsunfähigkeit über den 30. September 2020 nicht erfolgen solle.[9]

Diskussion um Änderungen im materiellen Insolvenzrecht facht wieder auf – Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie muss bis spätestens Juli 2021 erfolgen

Einigkeit besteht letztendlich darin, dass es sich bei einer solchen Velängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht lediglich um eine kurzfristige Maßnahme handeln kann, welche die erforderlichen Änderungen im materiellen Insolvenzrecht keinesfalls ersetzen kann, sondern bestenfalls zu einem zeitlichen "Aufschub" des Problems führt.

Bereits im Rahmen des Koalitionsausschusses im Juni diesen Jahres hatte sich die Große Koalition im Rahmen eines „Konjunkturpaketes“ auf die Einführung eines „vorinsolvenzrechtlichen Restrukturierungsverfahrens“ verständigt, nachdem hier auch eine entsprechende europäische Richtlinie bis Juli 2021 umzusetzen ist.[10] In diesem Zusammenhang heißt es in dem bereits zitierten Positionspapier des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater e.V. (BDU):[11]

„Von höchster Bedeutung ist auch, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJJ) schnellstmöglich die Umsetzung des von der EU vorgegebenen präventiven Rstrukturierungsrahmens sicherstellt. Gerade dieses Sanierungsinstrument ist nach allem, was wir wissen, sehr gut geeignet, ohne die Schäden eines Insolvenzverfahrens befürchten zu müssen, sanierungs- und zahlungsfähige Unternehmen, die sich gleichwohl in Schwierigkeiten befinden, zu rstrukturieren. Es ist damit wie geschaffen für überschuldete Unternehmen. Der präventive Restrukturierungsrahmen sollte daher spätestens am 1 April 2021 in Kraft treten, wenn die Aussetzung der Antragspflicht wegen Überschuldung endet. Denn nur so ist die nächste Insolvenzwelle zu vermeiden.“

 

[1] zum COVInsAG vgl. ausführlichen Blog-Beitrag vom 23.03.2020, https://community.beck.de/2020/03/23/gesetzgeber-plant-umfangreiche-aend...

[2] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/firmenpleiten-insolvenz...

[3] https://www.bmjv.de/SharedDocs/Zitate/DE/2020/081020_Insolvenzantragspfl...

[4] https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/gesunden-unternehmen-hel...

[5] Zum Überblick der einzelnen Positionen vgl. https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/laengere-schonfrist-fue...

[6] vgl. hierzu gesetzliche Vermutung des § 1 S. 3 COVInsAG, nach der ein kausaler Zusammenhang der Insolvenzreife mit der COVID-19-Pandemie dann vermutet wird, wenn der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war

[7] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/firmenpleiten-insolvenz...

[8] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/firmenpleiten-insolvenz...

[9] https://www.bdu.de/media/354916/insolvenzantragspflicht-positionspapier.pdf

[10] Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäishen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019

[11] https://www.bdu.de/media/354916/insolvenzantragspflicht-positionspapier.pdf

 

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Die Aussetzung der Insolvenzpflicht dient der Verschleierung der wirtschaftlichen Folgen durch das wissenschaftlich nicht zu rechtfertigtende Herunterfahren der Wirtschaft, mithin der Haftungsverpflichtung der Politiker. Ergo werden sie diese Maßnahme so lange verlängern, wie sie aus ihrer Sicht dem Zweck der Verschleierung dient. Insolvenzverwaltern gefällt das nicht? Wie überraschend. Warum wohl? Es wird doch nichts damit zu tun haben, dass ihnen die Millionen, die sie zu Lasten der Gläubiger zu eigenem Vorteil aus Insolvenzmassen ziehen, verloren gehen?

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