BGH zur Abgrenzung von Bandenmitgliedschaft und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bei Betäubungsmitteldelikten

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 05.12.2021

Der BGH ist in einer lesenswerten Entscheidung detailliert auf die Abgrenzung von Bandenmitgliedschaft und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bei Betäubungsmitteldelikten eingegangen (BGH Beschluss vom 2.6.2021 – 3 StR 33/21, BeckRS 2021, 33674).

Es ging um eine Tätergruppierung, die wie folgt in großem Umfang mit Cannabis Handel trieb: Der Angeklagte vereinbarte mit zwei Personen aus seinem sozialen Umfeld, dass diese ihn fortan auf unbestimmte Zeit bei seinen Aktivitäten unterstützten, und zwar die eine Person durch eine Mitwirkung bei der Lagerung von Betäubungsmitteln und deren Abgabe an Käufer, die andere durch eine Entgegennahme von Kaufgeldern und deren Weiterleitung an den Angeklagten. Beide sollten hierfür vom Angeklagten durch Erhalt von Cannabis zum Eigenkonsum fortlaufend entlohnt werden. Entsprechend dieser Übereinkunft bezog der Angeklagte unter Mitwirkung der beiden Helfer in einem Fall Haschisch in nicht geringer Menge und verkaufte es gewinnbringend weiter. Zudem erwarb der Angeklagte eine weitere größere Betäubungsmittelmenge, um diese entsprechend der getroffenen Abrede ganz überwiegend gemeinsam mit seinen Helfern gewinnbringend weiterzuverkaufen und ihnen einen geringen Anteil als Tatlohn zu überlassen. Hierzu kam es jedoch nicht, weil der Angeklagte zuvor verhaftet worden war.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweier tateinheitlicher Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG), jeweils in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) und mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) verurteilt.

Der 3. Strafsenat änderte den Schuldspruch dahingehend, dass die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung entfällt. Denn die getroffenen Feststellungen belegten keine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Gründung oder mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 StGB. Die weitergehende Revision verwarf er 3. Strafsenat u.a. mit folgender Begründung:

„a) Eine Vereinigung ist nach § 129 Abs. 2 StGB in der Fassung des seit dem 22. Juli 2017 geltenden Vierundfünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2440) ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses (vgl. dazu BT-Drucks. 18/11275 S. 11). Danach müssen ein organisatorisches, ein personelles, ein zeitliches und ein interessenbezogenes Element gegeben sein (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 19; Beschluss vom 2. Juni 2021 - 3 StR 61/21, juris Rn. 8; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 14a ff.).

Zwar hat die Legaldefinition den Vereinigungsbegriff im Vergleich zum bisherigen Begriffsverständnis (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009- 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 23 mwN) bewusst ausgeweitet, indem die Anforderungen an die Organisationsstruktur und die Willensbildung abgesenkt wurden. Indes muss ein organisierter Zusammenschluss von Personen bestehen, was zumindest eine gewisse Organisationsstruktur sowie in gewissem Umfang instrumentelle Vorausplanung und Koordinierung erfordert. Notwendig ist darüber hinaus das Tätigwerden in einem übergeordneten gemeinsamen Interesse (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 20).

Wie bereits nach der früheren Rechtslage können Tätergruppierungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ebenso wie sonstige Zusammenschlüsse aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität unter den neuen Begriff der kriminellen Vereinigung fallen (vgl. BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 21; vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 42; BT-Drucks. 18/11275 S. 11). Dies gilt auch für den Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Erforderlich hierfür ist - neben den weiteren aufgezeigten Voraussetzungen - jedoch, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgt. Lediglich individuelle Einzelinteressen der Mitglieder der Gruppierung genügen nicht. Das gemeinsame Interesse muss insbesondere über die bezweckte Begehung der konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 21 ff.; Beschluss vom 2. Juni 2021 - 3 StR 61/21, juris Rn. 9; s. zudem BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - AK 3/21 und 4/21, NStZ-RR 2021, 136, 137; Urteile vom 14. Juni 2018 - 3 StR 585/17, BGHSt 63, 138 Rn. 22; vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 42; LG Köln, Beschluss vom 9. November 2020 - 101 Qs 72/20, NStZ-RR 2021, 74 ff.; BT-Drucks. 18/11275 S. 11; LK-StGB/Krauß, 13. Aufl., § 129 Rn. 40 f.; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 22; SK- StGB/Stein/Greco, 9. Aufl., § 129 Rn. 15; SSW-StGB/Lohse, 5. Aufl., § 129 Rn. 18).

Ein solches übergeordnetes gemeinsames Interesse liegt bei Zusammenschlüssen zur Verfolgung weltanschaulich-ideologischer, religiöser oder politischer Ziele regelmäßig bereits mit Blick auf diese Zielsetzung vor (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 21 mwN). Bei der gemeinsamen Begehung von Taten, die - wie vorliegend - auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind und damit letztlich vor allem dem jeweils beteiligten Individuum wirtschaftliche Vorteile bringen sollen, ist dies allerdings nicht ohne Weiteres der Fall. Insbesondere bei solchen Taten ist zu beachten, dass gleichgerichtete, von verschiedenen Personen verfolgte Ziele nicht bereits ein übergeordnetes gemeinsames Interesse darstellen. Ansonsten wäre ein solches bei der Verwirklichung eines Bandentatbestandes angesichts des übereinstimmenden Willens zu künftiger Straftatbegehung regelmäßig gegeben und hätte dies zur Folge, dass eine Bande häufig, wenn nicht gar im Regelfall auch eine Vereinigung darstellt. Daraus ergäbe sich ein weitgehender Gleichlauf von Bande und Vereinigung, der sich nicht in die Gesamtsystematik des materiellen Strafrechts einfügte (näher hierzu BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 23 ff.).

Mithin ist aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob sich mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses oder lediglich zur Durchsetzung ihrer jeweiligen - gegebenenfalls gleichgerichteten - Individualinteressen zusammengeschlossen haben. Zur Ermittlung des für eine Vereinigung konstitutiven übergeordneten gemeinsamen Interesses können im Rahmen einer Gesamtwürdigung die äußeren Tatumstände herangezogen werden. Hierzu zählen insbesondere der Umfang und das Ausmaß genutzter - gegebenenfalls auch grenzüberschreitender - organisatorischer Strukturen sowie sachlicher Mittel, eine festgelegte einheitliche Willensbildung, eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinschaftliche Regeln, die Anzahl der Mitglieder, ein von den konkreten Personen losgelöster Bestand, eine etwaige Gemeinschaftskasse, die Beanspruchung quasistaatlicher Autorität und die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure. Je ausgeprägter solche Kriterien vorliegen, desto eher lässt sich der Schluss ziehen, dass es den einzelnen Personen - gerade im Bereich allgemeiner, auf Gewinnerzielung ausgerichteter Kriminalität - nicht lediglich um ihre individuellen Vorteile, sondern um weitergehende Ziele geht wie beispielsweise den eigenständigen Fortbestand der Organisation um ihrer selbst willen oder ein spezifisches Machtstreben. Da eine Gesamtbetrachtung geboten ist, müssen allerdings nicht sämtliche Merkmale in besonderer Weise vorliegen. Entscheidend ist, ob sie insgesamt den Schluss auf die Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses und die damit einhergehende vereinigungstypische Dynamik zulassen (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 33).

b) Nach diesen Maßstäben war die Gruppierung des Angeklagten und seiner beiden Helfer zwar eine Bande gemäß § 30a Abs. 1 BtMG, jedoch keine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB. Denn die Bandenmitglieder verfolgten kein übergeordnetes gemeinsames Interesse, sondern jeweils nur ein individuelles Einzelanliegen. Sie agierten allein um des jeweiligen persönlichen materiellen Vorteils willen. So erklärten sich die beiden Helfer zur Mitwirkung bereit, weil sie vom Angeklagten als Entlohnung Betäubungsmittel zum Eigenkonsum erlangen wollten. Keiner der drei hatte ein Interesse an dem Bestand ihres Zusammenschlusses, das über die Begehung der vereinbarten Straftaten hinausging. Zudem wies der Zusammenschluss abgesehen davon, dass jeder Helfer bestimmte Unterstützungsaufgaben für den Angeklagten erfüllen sollte, keine organisatorische Struktur auf, die auf ein übergeordnetes gemeinsames Interesse der Beteiligten hindeuten könnte.

3. Weitergehende Feststellungen, die eine Strafbarkeit gemäß § 129 Abs. 1 StGB begründen könnten, sind nicht zu erwarten. Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung entfällt. § 265 StPO steht dem nicht entgegen.“

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