Sichtung von kinderpornographischen Bildern kein Dienstunfall

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 20.08.2023

Bei der Sichtung von kinderpornographischem Material müssen Ermittler Bilder und Videos auswerten, die mitunter schwerste sexuelle Misshandlungen an Kindern zeigen. Solche Szenarien können traumatisieren und eine psychische Krankheit auslösen. Als Dienstunfall qualifiziere diese psychisch belastenden Tätigkeit nicht, entschied das VG Braunschweig, Urteil vom 10.08.2023 - 7 A 140/22.  

Auch eine, dem Dienstunfall gleichgestellte, Berufskrankheit sieht das Gericht nicht.

Der Fall

Ein 46-jährige Polizeikommissar ist seit Ende des Jahres 2021 aufgrund von Dienstunfähigkeit im Ruhestand. 2017 begann er eine Wiedereingliederung nach längerer Krankheit. Während der Rückkehr ins Arbeitsleben war der Polizeibeamte vier Monate lang mit der Sichtung kinderpornografischem Bild- und Videomaterials betraut gewesen. Dies führte bei ihm u.a. zu Symptomen wie Schlaflosigkeit und Albträumen. Ein Psychiater bescheinigte ihm eine spezifisch stressassoziierte Störung. Die Anerkennung der psychisch belastenden Tätigkeit als Dienstunfall und ein damit verbundenes höheres Ruhegehalt lehnte der Dienstherr ab. Dagegen klagte der Polizeibeamte.

Die Entscheidung

Mit seiner Klage hatte der Ex-Kommissar keinen Erfolg.

Kein Dienstunfall

Das Gericht hielt die psychische Belastung des ehemaligen Polizeikommissars für plausibel. Ein Dienstunfall nach dem Niedersächsischem Beamtengesetz liege trotzdem nicht vor. Ein Dienstunfall sei ein auf einer äußeren Einwirkung beruhendes, plötzliches, zeitlich und örtlich bestimmbares Ereignis, das einen Körperschaden verursacht. Schädliche Dauereinwirkungen über mehrere Monate fielen nicht unter das Merkmal eines plötzlichen Ereignisses.

Obwohl der Kläger angab, ein ganz spezielles Video verfolge ihn bis heute in seinen Träumen, sah das Verwaltungsgericht eine konkrete einzelne Sichtung nicht allein als krankheitsauslösend an. Weder vom Kläger selbst, noch von den behandelnden Therapeuten und insbesondere nicht durch den psychiatrischen Fachgutachter sei eine bestimmte einzelne Begutachtung oder ein Diensttag als allein krankheitsauslösend und damit als ein plötzliches Ereignis identifiziert worden, urteilte das VG Braunschweig.

Keine Gleichstellung als Berufskrankheit

Die Erkrankung des Klägers sei nach der geltenden Rechtslage auch nicht als Berufskrankheit einem Dienstunfall gleichgestellt. Das Niedersächsische Beamtenversorgungsgesetz verweise hierzu auf die Berufskrankheiten-Verordnung des Bundes, die von der  Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wird (§ 9 Abs.1 SGB-VII). In diese seien bislang keine psychischen Erkrankungen aufgenommen worden.

Exkurs Berufskrankheiten

Derzeit umfasst die Liste 82 anerkannte Krankheitsbilder. Dazu zählen insbesondere: Krankheiten, die durch chemische Einwirkungen (wie Gase, Lösungsmittel) verursacht wurden, Krankheiten, die durch physikalische Einwirkungen (wie Druckluft, Lärm, Tragen schwerer Lasten) verursacht wurden, Krankheiten, die durch Infektionserreger oder Parasiten (wie Infektionskrankheiten, einschließlich einer Erkrankung durch Covid-19, sofern der oder die Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Labor tätig ist und der Infektionsgefahr besonders ausgesetzt war) verursacht wurden, Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und Bauchfells und der Eierstöcke (beispielsweise durch Quarzstaub, Asbest, Nickel), Hautkrankheiten (beispielsweise ausgelöst durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthracen, UV-Strahlung).

Zum 01.08.2021 trat die Fünfte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung in Kraft. Die Hüftgelenksarthrose (Koxarthrose) und Lungenkrebs wurden in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen.

Fazit

Obwohl es keine zeitliche Festlegung gibt, was als kurzer Zeitraum im Sinne eines plötzlichen Ereignisses anzusehen ist, fallen psychisch herausfordernde Dauerereignisse im Arbeitsleben nicht in die Kategorie Dienstunfall. Erschwerend kommt hinzu, dass die psychischen Symptome erst Monate nach der traumatisierenden Tätigkeit ausgelöst werden. Zu überlegen ist, ob der Ärztliche Sachverständigenrat die Aufnahme von psychischen Erkrankungen in die Berufskrankheiten-Liste empfehlen soll. Denn Beschäftigte, wie hier der Polizeikommissar, sind durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung dem Risiko einer psychischen Erkrankung ausgesetzt.

Weiterführende Rechtsprechung:

OVG Münster, Urteil vom 30.01.2020 - 1 A 992/15 - Mobbing als einem Dienstunfall gleichzusetzendes Ereignis, BeckRS 2020, 1472,

VGH München, Beschluss vom 15.11.2016 - 3 ZB 13.396 - "Plötzliches Ereignis" im Sinne des Dienstunfallrechts, BeckRS 2016, 55685.

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