Reformbedarf im Familienrecht

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 24.01.2024
Rechtsgebiete: Familienrecht1|2360 Aufrufe

Ein Gastbeitrag von Dr. Norbert Kleffmann, RA, FAFamR und Notar, Hagen/Dortmund.

Eine nachhaltige Familienrechtsreform, nicht nur im Abstammungsrecht, Kindschaftsrecht, sondern insbesondere im Unterhaltsrecht ist dringend erforderlich. Zur Zeit steht insbesondere die Reform des Unterhaltsrechts im Fokus. Dies kann nicht verwundern, wenn man bedenkt, dass das deutsche Unterhaltsrecht nach allgemeiner Meinung zu den kompliziertesten in Europa zählt.

Kindesunterhalt

Der Gesetzgeber kann sich der Tatsache nicht verschließen, dass sich ca. 80 % der Eltern immer wieder Gedanken über die Konsequenzen bei Unterhaltszahlungen machen. Lösungen können von Eltern und oftmals auch Anwälten und Gerichten nicht oder nur sehr eingeschränkt beurteilt werden, weil Detailfragen weitgehend noch ungeklärt sind.

»Eckpunktepapier« des BMJ
Das Bundesministerium der Justiz hat nunmehr, man kommt nicht umhin zu sagen: endlich (!), Reformpläne zur Modernisierung des Unterhaltsrecht vorgelegt.

Das sogenannte »Eckpunktepapier« des BMJ sieht im Einzelnen vier Regelungsbereiche vor: zum einen werden Berechnungsvorschläge im sogenannten asymmetrischen Wechselmodell und zur Reform beim Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB unterbreitet.

Des Weiteren soll der notwendige Selbstbehalt rechtlich verankert sowie §1629 BGB zur Geltendmachung von Kindesunterhalt im symmetrischen Wechselmodell neu gefasst werden. Das Eckpunktepapier zielt auf mehr Rechtssicherheit ab, entspricht elementaren praktischen Bedürfnissen und erfüllt einen Großteil der in Literatur, Wissenschaft und familiengerichtlicher Praxis erhobenen Forderungen. Das Eckpunktepapier beschränkt sich allerdings auf das asymmetrische Wechselmodell. Will man Rechtssicherheit, für die Praxis taugliche und somit einheitliche, für die Betroffenen verständliche Berechnungsformen schaffen, sollten alle Betreuungsformen und damit auch das zeitanteilig gleiche paritätische Betreuungsmodell von der Reform erfasst werden. Immerhin stellt das »Eckpunktepapier« des BMJ eine erste Grundlage für die gebotene Diskussion zur Reform des Unterhaltsrechts dar.

Trennungsunterhalt
Eine Reform des Trennungsunterhalts ist jedoch nicht minder geboten. Es erscheint unbillig, während der gesamten Trennungszeit den vollen Unterhalt entsprechend den ehelichen Lebensverhältnissen sowie den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten zu gewähren, obwohl die Ehegatten nur kurz zusammengelebt oder aufgrund einer langen Trennungszeit sich die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse bereits vollständig entflechtet haben. Ferner scheint es unbillig, die Einforderung der Übernahme eigener Verantwortung aus Gründen scheitern zu lassen, die mit der Ehe nichts zu tun haben wie beispielsweise eine nicht ehebedingte Erkrankung oder Erwerbslosigkeit.

Durch die Verweisung auf das Verzichtsverbot nach § 1614 BGB schließt das geltende Recht eine selbstbestimmte Ausgestaltung des Trennungsunterhalts praktisch aus. Dies ist nicht mehr zeitgemäß. Wissenschaft, anwaltliche und gerichtliche Praxis werden sich mit Fragen zu beschäftigen haben wie der Fixierung eines Zeitpunkts, ab dem das Verzichtsverbot des § 1614 Abs. 1 BGB nicht mehr gilt, eine bislang nur für den nachehelichen Unterhalt geltende Vorschrift des § 1578b BGB (Begrenzung und Befristung) analog auf den Trennungsunterhalt anzuwenden oder der Trennungsunterhalt für ehevertragliche Vereinbarungen zugänglich ist.

Erhielten die Ehegatten die Option, autonom ihre finanzielle Lebensgestaltung zu regeln, ware dem Schutz des schwächeren Ehegatten regelmäßig durch das Erfordernis der notariellen Beurkundung und der Inhalts- und Ausübungskontrolle gedient.

Erweiterung der Reformvorschläge
Neben den Reformvorschlägen zum Kindesunterhalt, zum Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB und des Selbstbehalts sollte
eine Neugestaltung des Trennungsunterhalts nicht unterbleiben.

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1 Kommentar

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Sehr geehrter Herr Dr. Kleffmann,

ich kann Ihrer Einordnung nur zustimmen, möchte folgende Punkte aber noch ergänzen:

- Die Düsseldorfer Tabelle wird gesetzesgleich angewandt, hat als "Leitlinie" aber keine rechtsstaatliche Legitimation. Auch haben sich die Sätze so weit von der Reallohnentwicklung entkoppelt, dass der Unterhalt in 50% der Fälle nicht und in weiteren 25% nicht vollständig gezahlt werden kann (Studien des DIW 2014 und DJI 2020).

- Die Bedarfe des Kindes beim mitbetreuenden Elternteil werden im Unterhaltsrecht ignoriert. Eine zeitanteilige Berücksichtigung der Bedarfe muss für alle Betreuungsmodelle erfolgen. Es ist sachlich überhaupt nicht nachvollziehbar, warum ein Kind in 60% Betreuungszeit 100% Bedarf haben soll und in den anderen 40% gar keinen. Die sozialrechtliche Regelung der "temporären Bedarfsgemeinschaft" bietet hier eine erprobten und etablierten Lösungsansatz.

- Die vorgeschlagenen Stufen bei 30% und 50% setzen Streitanreize - insbesondere an den Stufengrenzen. Eltern sollten ihr individuelles Betreuungsmodell jedoch möglichst frei von sachfremden Fehlanreizen vereinbaren können. Dies leistet nur ein lineares Unterhaltsmodell - ohne Stufen.

Insgesamt besteht für die Professionen bei den lange verschleppten Reformen im Familienrecht die Herausforderung, die notwendigen Maßnahmen mehr von der gesellschaftlichen Wirkung her zu denken und weniger von den bisherigen liebgewonnenen Usancen.

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