Amphetamine bei der Fahrt: Fahrerlaubnisentziehung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.09.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|126 Aufrufe

Der Betroffene fährt gerne mal unter Amphetamineinfluss. Das ist natürlich nicht schön. Seine Fahrerlaubnis will er deshalb aber auch nicht verlieren....aber das wird Gott sei Dank kaum abwendbar sein:

 

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen – 5. Kammer – vom 14. März 2024 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

 Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.

 Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

 Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

 Gründe: 

 I.

 Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklassen 2, 3, 4 und 5.

 Bei zwei Verkehrskontrollen am 02.08.2021 und 06.10.2021 wurde bei dem Antragsteller Amphetamin im Blut festgestellt (270 ng/ml und 48 ng/ml).

 Mit Anhörungsschreiben vom 14.04.2022 kündigte die Antragsgegnerin die Entziehung der Fahrerlaubnis an, weil sich der Antragsteller durch den Konsum harter Drogen als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Der Antragsteller erwiderte mit anwaltlichem Schreiben vom 20.05.2022, dass er seit dem letzten Vorfall vom 06.10.2021 keine Drogen konsumiert habe. Er sei bereit, an Drogentests teilzunehmen.

 Mit weiterem Schreiben vom 20.02.2023 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller aufgrund der seit der Fahrt verstrichenen Zeit die Gelegenheit, seine Eignung im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nachzuweisen und forderte ihn auf, ein entsprechendes Gutachten zu der Frage „Ist zu erwarten, dass der Untersuchte (auch) zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel (z.B. Medikamente, Drogen pp.) führen wird und/oder liegen als Folge eines unkontrollierten Konsums derartiger Stoffe Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse(n) 3 in Frage stellen?“ bis zum 26.04.2023 vorzulegen.

 Da die Antragsgegnerin die Führerscheinakte der Begutachtungsstelle nicht innerhalb der Beibringungsfrist zur Verfügung gestellt hatte, wurde der Antragsteller erst am 19.07.2023 begutachtet und legt das Gutachten am 16.08.2023 vor. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass zu erwarten sei, dass der Antragsteller (auch) zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel (z.B. Medikamente, Drogen, pp.) führen werde.

 Nach Anhörung vom 28.09.2023 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 12.12.2023 die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen und gab ihm auf, seinen Führerschein binnen drei Tagen beim Bürgeramt in Bremen abzugeben und ordnete die sofortige Vollziehung an. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld angedroht. Das für schlüssig befundene Gutachten bestätige die Auffassung der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Es sei kein ausreichender Abstinenznachweis über einen repräsentativen Zeitraum vorhanden. Zudem sei eine ausreichende Auseinandersetzung mit der Entstehung und Aufrechterhaltung der Drogenproblematik nicht erkennbar, insbesondere sei der behauptete Drogenverzicht kein Ergebnis einer ausreichenden persönlichen Auseinandersetzung mit den Ursachen dieser Problematik. Die Verhaltensänderung sei nicht ausreichend stabil, um eine Fahreignung anzunehmen.

 Hiergegen hat der Antragsteller am 18.01.2024 Klage erhoben und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.

 Mit Beschluss vom 14.03.2024 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 12.12.2023 wiederhergestellt. Die Interessenabwägung falle zugunsten des Antragstellers aus, da sich der Bescheid als voraussichtlich rechtswidrig erweise. Zwar sei die Antragsgegnerin grundsätzlich berechtigt gewesen, auch nach mehr als 16 Monaten nach dem letzten nachgewiesenen Drogenkonsum die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern. Allerdings erweise sich die Beibringungsanordnung als rechtswidrig, da die Frist zur Vorlage des Gutachtens nicht ausreichend lang bemessen gewesen sei. In der vorliegenden Fallkonstellation trage die Vermutung des Verlusts der Fahreignung aufgrund eines Betäubungsmittelkonsums nicht mehr, weil seit dem letzten (nachgewiesenen) Konsum mehr als ein Jahr verstrichen sei und es der Klärung bedürfe, ob der Fahrerlaubnisinhaber im Hinblick auf den Zeitablauf seine Fahreignung wiedergewonnen habe, wofür nach den Begutachtungsleitlinien ein einjähriger Abstinenznachweis erforderlich sei. Werde die Zeitspanne, innerhalb derer ein Gutachten vorzulegen sei, so knapp bemessen, dass sich bis zu ihrem Ablauf der von Rechts wegen erforderliche Abstinenznachweis nicht führen lasse, so ziehe das die Rechtswidrigkeit der Gutachtensaufforderung nach sich, da andernfalls der negative Ausgang der Begutachtung von vornherein feststehe.

 Zur Begründung ihrer hiergegen am 03.04.2024 eingelegten Beschwerde macht die Antragsgegnerin geltend, der Antragsteller habe bereits ab Anfang 2022 mit der Möglichkeit einer Untersuchung oder der Anordnung eines Abstinenznachweises rechnen müssen. Die Untersuchungsanordnung sei ihm am 24.02.2023 zugestellt worden und die Begutachtung habe erst am 19.07.2023 stattgefunden. Damit habe der Antragsteller fünf Monate Zeit gehabt, um seine Abstinenz nachzuweisen. Durch das Abrasieren seiner Haare habe er selbst den Abstinenznachweis verhindert. Vor diesem Hintergrund habe das Ergebnis der Begutachtung aus Sicht der Behörde nicht von vornherein festgestanden. Zudem könne die Behörde nicht festlegen, welche Frist für einen Abstinenznachweis angemessen sei. Eine lang bemessene Frist würde dem Gedanken der Gefahrenabwehr zuwiderlaufen. Ohnehin könnten die Eignungsbedenken nur ausgeräumt werden, wenn zusätzlich zu der Abstinenz auch das psychologische Gespräch im Rahmen der medizinisch-psychologischen Untersuchung positiv ausgefallen wäre, was hier nicht der Fall sei.

 Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen. Das negative Ergebnis des Gutachtens beruhe maßgeblich auf dem fehlenden Abstinenznachweis. Es treffe nicht zu, dass durch das Schneiden und Färben der Haare einen Abstinenznachweis verhindert habe. Er schneide und färbe seine Haare seit 20 Jahren regelmäßig. Seit Juli 2023 seien sämtliche Untersuchungen negativ ausgefallen. Nach den Vorfällen habe der Antragsteller mehrfach Überprüfungen seiner Abstinenz angeboten. Aufgrund der langen Untätigkeit der Behörde hätte es nahegelegen, ihn auf die Erforderlichkeit eines Abstinenznachweises hinzuweisen. Weder in der Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung noch in dem Einladungsschreiben der PIMA sei aber darauf hingewiesen worden, dass Abstinenznachweise erforderlich oder gar vorzulegen seien. Der Antragsteller hat im Laufe des Beschwerdeverfahrens mehrere Abstinenznachweise vorgelegt.

 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

 II.

 Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Das Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin, das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, führt zu einer Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

 In Anwendung des von dem Verwaltungsgericht zutreffend dargestellten rechtlichen Maßstabs fällt die im vorliegenden Verfahren vorzunehmende Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus. Denn wie die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren im Ergebnis zu Recht einwendet, sprechen bei summarischer Prüfung gewichtige Gründe dafür, dass die Klage des Antragstellers keinen Erfolg haben wird, da sich der Bescheid vom 12.12.2023 als voraussichtlich rechtmäßig erweist und auch ein besonderes öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung besteht.

 1. Die Antragsgegnerin verweist in ihrem Beschwerdevorbringen zutreffend darauf, dass sich die mit Bescheid vom 12.12.2023 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers voraussichtlich als rechtmäßig erweist.

 a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

 Nach Ziffer 9.1. der Anlage 4 zur FeV entfällt die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes.

 Zu Recht hat die Fahrerlaubnisbehörde nach diesen Maßgaben angenommen, dass sich der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erwiesen hat. Insbesondere stellt das eingeholte medizinisch-psychologische Gutachten vom 16.08.2023 eine hinreichende Grundlage für diese Annahme dar und durfte – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – auch verwertet werden.

 b) Unstreitig konsumierte der Antragsteller Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (hier: Amphetamin gemäß § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III), wodurch dessen Fahreignung entfallen ist. In solchen Fällen der feststehenden Nichteignung entzieht die Behörde grundsätzlich die Fahrerlaubnis ohne die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (§ 11 Abs. 7 FeV).

 Der Senat kann offenlassen, ob er der Rechtsprechung einiger Obergerichte folgt, wonach die Vermutung wegen Betäubungsmittelkonsums verloren gegangener Fahreignung, aufgrund derer nach § 11 Abs. 7 FeV die Fahrerlaubnis ohne weitere Untersuchungen entzogen werden kann, zeitlich nicht unbegrenzt gelte und nach einem Jahr behaupteter Abstinenz eine weitergehende Aufklärungspflicht der Fahrerlaubnisbehörde bestehe (zur sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ vgl. BayVGH, Beschluss vom 05.10.2023 – 11 CS 23.1413, juris Rn. 24 und und OVG LSA, Beschluss vom 26.10.2022 – 3 M 88/22, juris Rn. 11). Die wohl mehrheitlich vertretene Ansicht geht demgegenüber davon aus, dass eine festgestellte Fahrungeeignetheit ohne Beachtung starrer zeitlicher Vorgaben fortbesteht, solange der Betroffene nicht den materiellen Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung erbracht habe (ThürOVG, Beschluss vom 09.07.2014 – 2 EO 589/13, juris 18; VGH BW, Beschluss vom 07.04.2014 – 10 S 404/14, juris, Rn. 9 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 03.09.2010 – 16 B 382/10, juris, Rn. 5 ff.; HmbOVG, Beschluss vom 24.04.2002 – 3 Bs 19/02, juris Rn. 23; OVG MV, Beschluss vom 19.03.2004 – 1 M 2/04, juris Rn. 30; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 31.10.2018 – OVG 1 S 101.18, juris Rn. 5). Jedenfalls wurde dieser Punkt von dem Beschwerdevorbringen nicht gerügt. Vielmehr ging die Fahrerlaubnisbehörde offenbar selbst davon aus, dass die Vermutungswirkung im Falle des Konsums harter Drogen gemäß Ziffer 9.1. der Anlage 4 zur FeV aufgrund des Zeitablaufs von mehr als einem Jahr keine Geltung mehr beanspruche und die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angezeigt sei.

 Die Voraussetzungen, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu verlangen, waren ungeachtet der Frage ihrer Erforderlichkeit erfüllt. Nach § 46 Abs. 3 FeV finden die §§ 11 bis 14 entsprechende Anwendung, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist. Durch den zweimaligen Nachweis von Amphetamin im Blut des Antragstellers hatte die Fahrerlaubnisbehörde Kenntnis von Tatsachen, die Bedenken gegen die Fahreignung des Antragstellers begründeten. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin die in Absatz 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt (Nr. 2), oder wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes begangen wurden (Nr. 3). Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Zeitablauf von mehr als 16 Monaten nach dem letzten nachgewiesenen Konsum der Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht entgegensteht. Die Forderung, wegen nachgewiesenen Drogenkonsums ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, ist nicht an die Einhaltung einer festen Frist nach dem letzten erwiesenen Betäubungsmittelmissbrauch gebunden. Dabei kann allerdings nicht jeder beliebig weit in der Vergangenheit liegende Drogenkonsum als Grundlage für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens herangezogen werden. Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung aller relevanten Umstände. Hier fällt entscheidend ins Gewicht, dass der Antragsteller nicht nur nachgewiesen zweimal Amphetamine konsumiert hat, sondern unter ihrem Einfluss auch zweimal ein Fahrzeug geführt hat.

 c) Auf Grundlage des vorgelegten medizinisch-psychologische Gutachtens durfte die Fahrerlaubnisbehörde – worauf die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung zutreffend hinweist – darauf schließen, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.

 Nach den gültigen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.01.2014 (Verkehrsblatt S. 110) in der Fassung vom 17.02.2021 (Verkehrsblatt S. 198) kann die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Fall von Betäubungsmittelkonsum nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Nachweis geführt wird, dass kein Konsum mehr besteht und im Rahmen einer positiven Verkehrsprognose ein tiefgreifender und stabiler Einstellungswandel festgestellt wird, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält (vgl. S. 78 ff. der Begutachtungsleitlinien).

 Der Gutachter kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel führen werde. Nach Auswertung der medizinischen Befunde sei ein ausreichender Karenzzeitraum nicht nachgewiesen worden, da keine Abstinenzbelege vorgelegt worden seien. Auch nach dem psychologischen Untersuchungsgespräch sei davon auszugehen, dass eine ausreichende Aufarbeitung der Drogenproblematik noch nicht stattgefunden habe. Um eine angemessene und stabile Verhaltensänderung zu erreichen, sei eine realistische Selbsteinschätzung des Ausmaßes und Stellenwerts des Drogenproblems notwendig, was bei der vorgetragenen Selbsteinschätzung des Antragstellers nicht angenommen werden könne. Der angegebene Drogenverzicht bestehe nicht ausreichend als Ergebnis einer nachvollziehbaren inhaltlichen Auseinandersetzung mit den persönlichen Gründen für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Drogenproblematik. Der Abstinenzentschluss stütze sich daher im Wesentlichen auf den Vorsatz, sich selbst und andere gesundheitlich nicht zu gefährden. Er sei sich der bestehenden Rückfallgefährdung in frühere Verhaltensweisen nur eingeschränkt bewusst und überschätze daher seine diesbezüglichen Kontrollmöglichkeiten.

 Diese Einschätzungen des Gutachters erscheinen dem Senat in Übereinstimmung mit der Beschwerdebegründung schlüssig und nachvollziehbar.

 d) Anders als das Verwaltungsgericht sieht der Senat keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass die Fahrerlaubnisbehörde ihrer negativen Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers das medizinisch-psychologische Gutachten zugrunde gelegt hat und darauf gestützt zu der Annahme gelangt ist, der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Auf die Frage, ob die Anordnung zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 20.02.2023 rechtmäßig war, insbesondere, ob die die Frist für die Vorlage des Gutachtens ausreichend bemessen war, kommt es nach Auffassung des Senats nicht an, denn eine fehlerhafte Anordnung zieht kein Verwertungsverbot nach sich.

 In Bezug auf das innerstaatliche Recht ist höchstrichterlich geklärt, dass die Verwertbarkeit eines beigebrachten Gutachtens nicht davon abhängt, ob die behördliche Anordnung zu Recht erfolgt ist. Hat der Betroffene das von ihm geforderte Gutachten vorgelegt oder sich einer angeordneten Prüfung gestellt, hat sich dadurch die Anordnung in der Weise erledigt, dass von seitens der Behörde rechtswidrig erlangten Erkenntnissen nicht mehr gesprochen werden kann. Zudem schafft das Ergebnis der Prüfung oder des Gutachtens eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat. Ein Verbot, diese Tatsache für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, lässt sich aus den Regelungen der §§ 11 ff. FeV oder sonstigem innerstaatlichen Recht nicht ableiten. Einem Verwertungsverbot steht auch das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben (BVerwG, Urt. v. 28.04.2010 – 3 C 2/10, juris Rn. 19; BayVGH, Beschluss vom 18.01.2022 – 11 CS 21.1767, Rn. 12). Die Frage der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung stellt sich nur dann, wenn nach § 11 Abs. 8 FeV aus der Tatsache, dass sich der Betroffene weigert, das Fahreignungsgutachten beizubringen oder er dieses nicht fristgerecht beibringt, auf die Nichteignung geschlossen wird. Der Schluss auf die Nichteignung ist dann nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, Urt. v. 09.06.2005 – 3 C 25/04, juris Rn. 19).

 Nachdem der Antragsteller der Untersuchungsanordnung nachgekommen ist und das Gutachten an die Fahrerlaubnisbehörde übermittelt hat, spielt es demnach keine Rolle, ob die Frist zur Beibringung ausreichend bemessen war oder sich die Anordnung zur Beibringung aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist. Eine Einschränkung dahingehend, dass eine fehlerhafte Anordnung zur Beibringung des Gutachtens dann zu einem Verwertungsverbot führt, wenn sich – wie hier vom Verwaltungsgericht angenommen – der Fehler auf das Ergebnis des Gutachtens möglicherweise ausgewirkt hat, lässt sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen und würde dem Allgemeininteresse, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich nach dem Ergebnis eines Gutachtens als ungeeignet erwiesen haben, entgegenstehen.

 Im Übrigen vermag der Senat aus dem Inhalt des Gutachtens auch nicht zu erkennen, dass sich der fehlende Abstinenznachweis auf das Ergebnis des psychologischen Untersuchungsbefundes ausgewirkt haben könnte. Aus Sicht des Gutachters hat der Antragsteller seine Drogenproblematik bislang nicht ausreichend aufarbeiten können. Zum einen könne der vorgetragenen Selbsteinschätzung des Ausmaßes und Stellenwerts der Drogen nur eingeschränkt gefolgt werden. Zum anderen bestehe der angegebene Drogenverzicht nicht ausreichend als Ergebnis einer nachvollziehbaren inhaltlichen Auseinandersetzung mit den persönlichen Gründen für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Drogenproblematik, sondern stütze sich im Wesentlichen auf den Vorsatz, sich und andere gesundheitlich nicht zu gefährden. Eine darüberhinausgehende intrinsische Motivation sei nicht weiter hinterlegt. Ferner sei sich der Antragsteller der bestehenden Rückfallgefährdung in frühere Verhaltensweisen nur eingeschränkt bewusst und überschätze daher seine Kontrollmöglichkeiten. Das Gutachten kommt – aus Sicht des Senats – auch losgelöst von dem fehlenden Abstinenznachweis zu dem eindeutigen Ergebnis, dass bei dem Antragsteller zur Bewältigung der Drogenproblematik eine weitergehende Auseinandersetzung erforderlich sei. Angesichts der Eindeutigkeit der Formulierung im Rahmen der Bewertung des psychologischen Untersuchungsbefundes ist daher nicht davon auszugehen, dass sich die Länge der Beibringungsfrist auf das Gutachtenergebnis ausgewirkt haben könnte.

 Vor diesem Hintergrund ist auch der Einwand der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe sich durch das Färben und Abrasieren seiner Haare einem Abstinenznachweis entzogen, nicht von Relevanz.

 2. Neben der offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, müssen Betroffene wie der Antragsteller jedoch angesichts des von Verkehrsteilnehmern, deren Fahrungeeignetheit anzunehmen ist, ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen (OVG Bremen, Beschluss vom 30.04.2018 – 2 B 75/18, juris Rn. 18 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 04.05.2023 – 16 B 1271/22, juris Rn. 34 – 35).

OVG Bremen Beschl. v. 22.7.2024 – 1 B 136/24, BeckRS 2024, 19008

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen