Chirurg operiert mit 2.29 Promille

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 21.06.2024

Kichernd und mit fahrigen Handbewegungen operierte ein Chirurg eine Patientin am Blinddarm. Ursache für dieses Verhalten war ein Alkoholpegel von 2,29 Promille. Das LG Osnabrück, Urteil vom 14.06.2024, verurteilte ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu 9 Monaten auf Bewährung.

Der Fall

Die Patientin kam mit starken Schmerzen in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Die Zeit drängte, es handelte sich um eine akute Blindarmentzündung. Das OP-Team wurde verständigt und die Patientin zur minimalinvasiven OP vorbereitet. Doch die OP verlief anders als die vergangenen Eingriffe des Arztes, der ausweislich der Zeugenaussagen seit 20 Jahren versiert operierte und als kompetent und souverän eingeschätzt wurde. Während der OP soll er ungewöhnlich aufgekratzt und heiter gewirkt haben. Auch habe er Schwierigkeiten gehabt, die Instrumente in koordinierten Bewegungen zu führen. Dadurch habe er mit einem Instrument versehentlich auch den Dünndarm verletzt. Darauf angesprochen hätte der Mediziner mit einem „Ja, ich weiß“ geantwortet, wie alle Zeuginnen des OP-Teams sagten.

Die Situation im OP-Saal spitzte sich zu als der Chirurg ansetzte, nicht mehr minimalinvasiv vorzugehen. Mit einem elektrischen Instrument wollte er der Patientin den gesamten Bauch aufschneiden. Daraufhin zog eine OP-Schwester den Stecker, die andere verständigte den Chefarzt zuhause. Dieser beorderte den Arzt sofort weg vom OP-Tisch. Auch der Oberarzt wurde verständigt. Die ebenfalls anwesende Anästhesistin wurde vom Chef aufgefordert eine Blut- und Urinprobe von dem Mediziner zu nehmen.

Die Entscheidung

Nicht überzeugte der Anwalt des Arztes mit seiner Argumentation. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass keine gefährliche, sondern nur eine fahrlässige Körperverletzung vorliege, da die Patientin eingewilligt hätte. Das ging der Richterin zu weit: "Niemand würde sich von einem betrunkenen Arzt operieren lassen," habe die Richterin in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt. Die Entschuldigung im Gerichtsaal, wenn auch erst in der Berufungsinstanz, mag ausschlaggebend gewesen sein, dass die Richterin das Strafmaß um einen Monat, von vorher 10 auf jetzt 9 Monate gesenkt hatte.

Im Nachgang

Die Patientin hatte Glück gehabt. Nach der OP war alles gut verheilt. Schmerzen bestanden so gut wie nicht mehr. Der Mediziner hat eine Beschäftigung in einem anderen Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen gefunden.

Fazit für die Praxis

In der Praxis ist oft nicht bekannt, dass mit dem Strafurteil noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Bei Strafsachen gegen Angehörige der Heil- und Gesundheitsfachberufe muss die Staatsanwaltschaft eine Mitteilung an die zuständige Berufskammern – und Behörden machen. So verlangt es die Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) – Nummer  26.  Das hat zur Konsequenz, dass auf das gerichtliche Strafverfahren ein Überprüfungsverfahren der Approbationsbehörde folgt. Die Approbation erlaubt die Ausübung der Tätigkeit als Arzt oder Ärztin in Deutschland.

In der Regel verzichtet die Approbationsbehörde auf eine eigene Beweisaufnahme und verlässt sich die auf die  Feststellungen, die im Strafurteil getroffen wurden. Eine strafrechtliche Verurteilung kann also dazu führen, dass die Approbation widerrufen wird, nämlich dann, wenn dem Arzt oder der Ärztin die erforderliche Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs abgesprochen wird (§ 5 Abs.2 der Bundesärzteordnung). Der Verlust der Approbation ist für den Mandanten:in oft folgenreicher als eine Bewährungsstrafe. Daher gilt: Die Verteidigung der Approbation beginnt im Strafprozess.

 

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1 Kommentar

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Manchmal stellt sich aber die Frage, ob die Verteidigung der Approbation im Gemeinwohlinteresse liegt.

Wer als Arzt mit 2,29 Promille noch an den Patienten tritt, braucht vielleicht erst mal eine Entwöhnung. Praktisch jeder Taxifahrer würde bei einem Trunkenheitsdelikt am Steuer lange Zeit nicht nur nicht mehr seinem Beruf nachgehen, sondern selbst Bus, U- und S-Bahn häufiger von innen sehen, als ihm lieb ist.

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