Erfolgreiche Verfahrensrüge: Zu früh entlassene Zeugin...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 29.02.2012

Verfahrensrügen zu erheben ist die hohe Kunst des Revisionsrechts. Hier hat es einmal geklappt - es ging um den Fall der Vernehmung einer Zeugin in Abwesenheit des Angeklagten. Das Gericht hat hier den - sicher auch schon  dem ein oder anderen erfahreneren Richter unterlaufenen - Fehler begangen, die Zeugin zu einem Zeitpunkt unvereidigt zu entlassen, als der Angeklagte noch (bzw. hier schon wieder ausgeschlossen war:

 

Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Das Landgericht hat für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin den Angeklagten nach § 247 Satz 2 StPO aus der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Nach Abschluss der Vernehmung hat es ihn vom wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage unterrichtet. Sodann hat es in erneuter Abwesenheit des Angeklagten über die (Nicht-)Vereidigung der Zeugin entschieden und diese "im allseitigen Einverständnis entlassen".
Da das Landgericht in Abwesenheit des Angeklagten über die Entlassung der Zeugin entschieden hat, ist der absolute Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5, § 230 Abs. 1 StPO gegeben.
Nach der durch den Großen Senat für Strafsachen (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 - GSSt 1/09, BGHSt 55, 87) bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353) gehört die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen nicht mehr zu seiner Vernehmung im Sinne des § 247 StPO, sondern bildet einen selbstständigen Verfahrensabschnitt und regelmäßig einen "wesentlichen Teil" der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der Zeugin K. angeordnet war, musste daher zur Verhandlung über die Entlassung der Zeugin wieder zugelassen wer-den. Dies ist hier ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen. Zwar wurde der Angeklagte zuvor in Abwesenheit der Zeugin über den wesentlichen Inhalt von deren Aussage unterrichtet. Dass er im Rahmen der Unterrichtung auf Fragen an die Zeugin verzichtet und sich mit ihrer Entlassung einverstan-den erklärt hat, ist indes nicht ersichtlich. Der Angeklagte wurde nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Revision vielmehr weder gefragt, ob er noch Fragen an die Zeugin stellen wolle, noch hat er von sich aus erklärt, keine Fragen mehr stellen zu wollen (dazu BGH, Großer Senat, aaO.; Urteil vom 8. April 1998 - 3 StR 463/97 - und Beschluss vom 19. August 1998 - 3 StR 290/98, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; Beschluss vom 30. März 2000 - 4 StR 80/00, NStZ 2000, 440). Im Anschluss daran wurde der Angeklagte wieder aus dem Sitzungssaal entfernt. Der im Protokoll enthaltene Vermerk, die Entlas-sung der Zeugin sei "im allseitigen Einverständnis" geschehen, kann deshalb das Einverständnis des (abwesenden) Angeklagten nicht belegen. Das Beru-hen des Urteils auf dem Verfahrensmangel wird gemäß § 338 Nr. 5 StPO ge-setzlich vermutet. Dass sich der Verfahrensverstoß vorliegend ausnahmsweise denkgesetzlich im Urteil nicht ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 4 StR 131/06, NStZ 2006, 713), ist nicht zu erkennen.

 

BGH, Urteil vom 1.12.2011 - 3 StR 318/11

 

 

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