Bilanzrecht: Der seltsame Fall des Carlos G.

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 04.01.2019

Es ist die Anhangsangabe mit dem größten Neidfaktor: Gemäß § 285 Nr. 9 HGB müssen Vergütungen und andere finanzielle Vorteile für aktive und ehemalige Organmitglieder und deren Hinterbliebene im Anhang angegeben werden.

Nach hier vertretener Auffassung ist diese Anhangsangabe zumindest für die Eigenkapital-Investoren unnütz. Denn ein Aktionär oder Gesellschafter interessiert sich vor allem für eines: die Rendite.

Bei der Angabe zur Bewertung beispielsweise der unfertigen Erzeugnisse (Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden; Pflichtangaben gemäß § 284 Abs. 2 HGB) leuchtet das Informationsbedürfnis der Eigenkapitalgeber ein: je nach Einbeziehung der Gemeinkosten kann er einen höheren Gewinn früher oder später erwarten. Vom Gewinn wiederum hängt die zu erwartende Gewinnausschüttung oder die entsprechende Kurssteigerung ab.

Auch die Angabepflicht der durchschnittlichen Zahl der während des Geschäftsjahres beschäftigten Arbeitnehmer getrennt nach Gruppen (Pflichtangabe gemäß § 285 Nr. 7 HGB) leuchtet ein. Die Änderung der absoluten Zahl wie des durchschnittlichen Personalaufwandes kann Anhaltspunkte für das Wachstum und die Profitabilität bieten. Ebenso einleuchtend ist die Aufgliederung der Umsatzerlöse nach Segmenten (§ 285 Nr. 4 HGB). Wer gerade nicht in asiatische Märkte investieren möchte, wird wohl kaum ein Interesse daran haben, in ein Unternehmen zu investieren, das dort vor allem seine Umsätze erzielt.

Der Zusammenhang zwischen Gewinnausschüttungen (Rendite) und der Höhe der Vergütungen für Management und Aufsichtsratsorgane ist nach Kenntnisstand des Verfassers aber bisher noch nicht bewiesen. Welche Information kann ein Analyst aus dieser Anhangsangabe ziehen? Außer die Verärgerung über die Höhe, wenn das Unternehmen wenig Gewinn ausschütten wird. Neid ist aber keine betriebswirtschaftliche Kategorie. Ein rationaler Investor wird sich wohl kaum aufgrund einer zu hohen oder zu niedrigen Vergütung für Vorstand und Aufsichtsrat für oder gegen den Kauf einer Aktie entscheiden. Entscheidend sind die Gewinnerwartungen. Diese hängen aber nicht mit der Höhe der Vergütung zusammen, sondern aus der Subtraktion der erwarteten Aufwendungen von den Erträgen sowie den erwarteten (positiven) Cashflows.

Zurück zum Fall des Carlos Ghosn: auch hier vermutet die Tagespresse, dass die Höhe seiner Vergütungen sowohl der japanischen Öffentlichkeit wie französischen Regierungsmitgliedern missfiel. Seine Erfolge bei Sanierung der Nissan-Gruppe wurden durch entsprechende staatliche Ehrungen anerkannt. In Untersuchungshaft kam er nach Vorwürfen, seine Vergütungen seien gegenüber den Börsenaufsichtsbehörden (und dem vorausgehend in den Geschäftsberichten) zu niedrig angegeben worden. Der Beschuldigte argumentierte demgegenüber damit, dass ihm der nicht angegebene Teil erst nach Beendigung seiner Tätigkeit zufließe.

Dies wiederum ist für den deutschen Bilanzrecht interessant: kommt es bei der Anhangsangabe nach § 285 Nr. 9 HGB auf den Zufluss oder den Anspruch auf eine bestimmte Vergütung an? Diese Frage ist - soweit bisher ersichtlich - auch von der Kommentarliteratur nicht umfassend problematisiert worden. Lediglich für den Aufwand aus der Bildung von Pensionsrückstellungen vertritt das Deutsche RechnungslegungsStandards Committee e.V. (DRSC) für nicht börsennotierte Aktiengesellschaften die Auffassung, dass diese nicht anzugeben sind (Grottel [BeckBilko] (2018) unter Hinweis auf S 1 DRS 17.19). Aus dem Wortlaut des § 285 Nr. 9 HGB ergibt sich, dass es auf das Anspruchsprinzip, nicht jedoch auf die Auszahlung ankommt. Hierfür spricht die Verwendung des Adjektivs "gewährte" im Zusammenhang mit den Gesamtbezügen (§ 285 Nr. 9 Bst. a) HGB) sowie die explizite Gleichstellung von nicht ausbezahlten, sondern umgewandelten Bezügen in § 285 Nr. 9 Bst. a), Sätze 2 und 3 HGB.

Vergleichbares gilt nach hier vertretener Auffassung für geldwerte Vorteile, im Fall des Carlos Ghosn die Übernahme offensichtlich privat veranlasster Aufwendungen für die Ausrichtung der zweiten Hochzeit. Diese sind ebenfalls in die Berechnung der Vergütungen einzubeziehen (ebenso: Grottel [BeckBilko] (2018), § 285, Rz. 253 für aktive Organmitglieder und § 285, Rz. 277 unter Hinweis auf Begr RegE VorstAG BT-Drs. 16/12278, S. 7, für ausgeschiedene Organmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften).

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