Nicht jede Steuerfreiheit ist wirklich willkommen (§ 3 Nr. 72 EStG) - FG Köln v. 14.3.2024 – 7 V 10/24

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 21.06.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|2206 Aufrufe

Kollateralschäden im Ertragsteuerrecht – die gibt es gelegentlich. Wer auf den Bestand der Steuerrechtsordnung in ihrer gegenwärtigen Form setzt, wird ab und zu enttäuscht. Nicht immer helfen Finanzverwaltung oder BFH mit Übergangsfristen bezüglich möglicher Rechtsänderungen, so wie etwa bei der jüngsten Änderung der Rechtsprechung zur Betriebsauspaltung (BFH v. 16.9.2021 – IV R 7/18, BeckRS 2021, 44488; BFH v. 22.11.2022, BStBl. 2022 I, 1528). Und selbst wenn sie helfen, stellt sich die Frage, ob diese „Hilfe“ auch dann gilt, wenn sie im Einzelfall für den Steuerpflichtigen ungünstige ertragsteuerliche Folgen hat (Heil/Pupeter, DB 2023, 546, 547).

So auch das Problem bei der Einführung des § 3 Nr. 72 EStG zur Steuerfreiheit der Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Photovoltaikanlagen. Nach § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG ist die Regelung für Einnahmen und Entnahmen anzuwenden, die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden. Werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG, ist nach Satz 2 der Regelung „kein Gewinn zu ermitteln“. Und sofort geht es los mit den Fragen rund um eine solche (vermeintlich) begünstigende Regelung: Diese sind so umfangreich, dass ein ganzen BMF-Schreiben (vom 17.7.2023, DStR 2023, 1659) erforderlich wurde, um sie alle zu beantworten. Neben Irrungen und Wirrungen rund um die gewerbliche Abfärbung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, die § 3 Nr. 72 Satz 3 EStG gerade ausschließt, und deren Wegfall (Graw, DStR 2024, 1218; Middendorf/Dotzki, DStR 2024, 1329) sind bei einer Steuerfreiheit natürlich immer auch Abzugsverbote für Betriebsausgaben nach § 3c Abs. 1 EStG zu beachten (BMF v. 17.7.2023, DStR 2023, 1659, Rz. 21).

Eine ganz besondere Problematik in diesem Kontext stellt sich bei „vorweggenommenen“ Betriebsausgaben durch Bildung eines Investitionsabzugsbetrags nach § 7g EStG für eine solche Photovoltaikanlage. Die ursprüngliche Bildung etwa im Jahr 2021 mag zulässig gewesen sein – auch wenn das Finanzamt hier bereits gerne die Einkünfteerzielungsabsicht in Frage stellt (FG Nürnberg v. 1.3.2024 – 5 V 1163/23, BeckRS 2024, 6173 (AdV); FG Baden-Württemberg v. 13.11.2023 – 10 K 646/22, BeckRS 2023, 44011). Noch fundamentaler wird es jedoch, wenn das Finanzamt an eine Anweisung der Finanzverwaltung gebunden ist, wonach (BMF v. 17.7.2023, DStR 2023, 1659, Rz. 19)

Investitionsabzugsbeträge, die in vor dem 1.1.2022 endenden Wirtschaftsjahren in Anspruch genommen und bis einschließlich zum 31.12.2021 noch nicht gewinnwirksam hinzugerechnet wurden, … nach § 7g Abs. 3 EStG rückgängig zu machen [sind], wenn in nach § 3 Nr. 72 EStG begünstigte Photovoltaikanlagen investiert wurde.

Insoweit wird mithin das „Regime“ des § 7g Abs. 3 EStG „aktiviert“, das eigentlich dazu dient, „nicht bis zum Ende des dritten auf das Wirtschaftsjahr des jeweiligen Abzugs folgenden Wirtschaftsjahres“ in Anspruch genommene Investitionsabzugsbeträge wieder rückgängig zu machen. Vergünstigungen bei rückwirkenden Ereignissen, wie einen nach § 233a Abs. 2a AO gehemmten Anlauf der Vollverzinsung, verweigert der Gesetzgeber hierbei (§ 7g Abs. 3 Satz 4 EStG). Auch die Bestandskraft des Steuer- oder Feststellungsbescheids wird gezielt durchbrochen (§ 7g Abs. 3 Satz 3 EStG).

Jetzt trifft diese Regelung jedoch Steuerpflichtige, die die durch § 7g Abs. 1 EStG gerade zu fördernde Investition durchgeführt haben – und nun von der Einführung des § 3 Nr. 72 EStG überrascht worden sind. In einem AdV-Beschluss sieht das FG Köln jedoch bei der darin gebotenen „summarischen Prüfung“ keine Verstöße gegen geltendes Recht (FG Köln v. 14.3.2024 – 7 V 10/24, BeckRS 2024, 6603). Die Voraussetzungen des § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG sieht es als aufgrund der Gesetzesänderung mit Wirkung zum 01.01.2022 erfüllt an: Der Antragsteller konnte ab dem Veranlagungszeitraum 2022 eine gewinnerhöhende Hinzurechnung i.S.d. § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG nicht mehr vornehmen, da es ihm gemäß § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG verwehrt war, eine Gewinnermittlung für seinen Betrieb zu erstellen. Auch eine verfassungsrechtliche Problematik unzulässiger Rückwirkung lehnt das FG Köln ab, da die eigentlich in Rede stehende Norm des § 3 Nr. 72 EStG ja begünstigend wirke.

Tough love! Da hilft nur die Änderung des „Umfangs des Betriebs“, um aus Satz 2 des § 3 Nr. 72 EStG rauszukommen (z.B. Rothe, FR 2023, 878, 886).

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